Zunächst hatte es so ausgesehen, als würde der Prozess um den aufsehenerregenden Kokain-Fund im Neu-Ulmer Fruchthof Nagel glatt über die Bühne gehen. Die sechs vor dem Landgericht Memmingen angeklagten Albaner und ihre Verteidiger hatten der Justiz einen sogenannten Deal angeboten: Geständnisse und damit ein rascheres Verfahren gegen einen vorher ausgehandelten Strafrahmen. Doch dann stellte sich am Donnerstag heraus, dass es zumindest der eine oder andere Angeklagte bei seinen Einlassungen mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte. Damit ist manches wieder offen.
Die Große Strafkammer des Landgerichts Memmingen, die unter dem Vorsitzenden Richter Christian Liebhart nun zum vierten Mal in der Stadthalle unter Corona-Bedingungen tagte, hatte am vorhergehenden Verhandlungstag eine „Verständigung“ zwischen allen Prozessparteien akzeptiert: Wenn alle Angeklagten ein „umfassendes und überprüfbar glaubhaftes“ Geständnis ablegen würden, so lautete der Deal, dann kämen sie nach einem abgekürzten Verfahren mit Strafen zwischen fünfeinhalb und sechseinhalb Jahren davon; ein Vorbestrafter hätte mit bis zu sieben Jahren rechnen müssen.
Kokain-Prozess: Geständnisse von drei Angeklagten nicht vollständig oder auch unwahr
Zu Beginn der Verhandlung gab Richter Liebhart aber bekannt, dass die zuvor abgegebenen Erklärungen überprüft worden waren. Bei drei der Angeklagten habe sich herausgestellt, die Geständnisse seien nicht vollständig oder auch unwahr gewesen. So habe ein Angeklagter verheimlicht, dass er vor mehreren Jahren wegen eines Rauschgiftdeliktes in Belgien zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Das dort gefällte „Abwesenheitsurteil“ sei erst jetzt aus Belgien ans Gericht in Memmingen gemeldet worden.
Ein anderer hatte erklärt, er sei nur als Fahrer und nicht im Inneren des Bananenlagers dabei gewesen – ausgerechnet von ihm wurde aber eine eindeutige DNA-Spur in der Reifekammer gefunden. Und ein Dritter hatte seinen Verteidiger angeben lassen, er habe erst am Tatort verstanden, dass man da Kokain herausholen solle. Ihm wurde nachgewiesen, dass er schon am Vortag eingeweiht worden war – wie sich auf Nachfrage herausstellte, angeblich von der unbekannten „Person“, von der in den Geständnissen immer wieder die Rede als dem Organisator gewesen war. Er sollte nun gerade derjenige sein, dem beim SEK-Einsatz die Flucht gelungen war.
Oberstaatsanwalt Markus Schroth gab daraufhin bekannt, er werde einem neuen „Verständigungsvorschlag“ nur zustimmen, wenn man die Untergrenze des zu erwartenden Strafrahmens mindestens um eineinhalb Jahre, also auf sieben Jahre, hinaufsetze. Die Richter gaben aber zu verstehen, sie hielten einen Rahmen zwischen sechseinhalb und siebeneinhalb Jahren für angemessen. Der Vorsitzende Richter ergänzte, wenn keine Einigung zustande käme, würde man das gesamte Verfahren eben „streitig“ weiter verhandeln, was sicherlich eine Reihe von zusätzlichen Prozesstagen erforderlich mache.
SEK-Beamter soll spektakulären Zugriff im Fruchthof in Neu-Ulm schildern
Nach der Mittags- und Beratungspause hatte man sich aber geeinigt: Wie Landgerichts-Vizepräsident Jürgen Brinkmann in seiner Funktion als Pressesprecher des Landgerichts am Nachmittag mitteilte, war nun von allen Parteien der Vorschlag der Kammer mit einem Strafrahmen von sechseinhalb bis siebeneinhalb Jahren angenommen worden. Das Verfahren geht nun mit Aussagen von Sachverständigen und Zeugen weiter, wobei insbesondere der Auftritt eines leitenden SEK-Beamten, der voraussichtlich den „Zugriff“, also die Festnahme der mutmaßlichen Täter schildern wird, mit Spannung erwartet wird.
Wie berichtet, wird den Angeklagten vorgeworfen, sie hätten im Dezember des vergangenen Jahres bei einem Einbruch im Neu-Ulmer Fruchthof Nagel 500 Kilogramm hochreines Kokain, das in Bananenkisten versteckt war, herausholen und weiter schmuggeln wollen. Allerdings war der Stoff dank sorgfältiger Wareneingangskontrolle in Neu-Ulm rechtzeitig entdeckt worden. Angeblich hatte die Polizei dann das Kokain durch Attrappen ersetzt. Als die Männer versuchten, die heiße Ware in der Nacht des 14. Dezember 2019 abzutransportieren, wurden sie von einem Spezialeinsatzkommando festgenommen. Ein siebter Mann konnte fliehen.
Lesen Sie dazu auch:
- Prozess um 500 Kilo Kokain: So äußern sich die Angeklagten vor Gericht
- Kokain-Fund: Wie die Polizei Katz und Maus mit der Drogenmafia spielte
- Kokain-Krimi im Bananenlager
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.