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Neu-Ulm / Istanbul: Anwälte von Mesale Tolu durften erstmals Anklageschrift lesen

Neu-Ulm / Istanbul

Anwälte von Mesale Tolu durften erstmals Anklageschrift lesen

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    In Ulm gehen wöchentlich einige Menschen auf die Straßen, um für die Freilassung von Mesale Tolu zu demonstrieren.
    In Ulm gehen wöchentlich einige Menschen auf die Straßen, um für die Freilassung von Mesale Tolu zu demonstrieren. Foto: Felix Oechsler (Archiv)

    In Istanbul zeigte das Thermometer in den vergangenen Wochen immer wieder um die 35 Grad. Während Kinder bei diesen Temperaturen ins Schwimmbad gehen und sich abkühlen, verharrt Serkan an der Seite seiner Mutter. Mesale Tolu Corlu wurde am 30. April von der türkischen Polizei festgenommen. Seither sitzt sie in Untersuchungshaft – ihr Sohn ist bei ihr. Wie nun bekannt wurde, haben die Anwälte der Ulmer Übersetzerin und Journalistin Einsicht in die Akten bekommen.

    Wie Baki Selcuk, Leiter des Solidaritätskreises „Freiheit für Mesale Tolu“, mitteilt, sprechen die Anwälte von einer „konstruierten Anklageschrift, die so widersprüchlich ist, dass bei einem normalen Prozess der Freispruch erfolgen könnte“. Dennoch zweifelt er an der „Normalität“, die in seinem Herkunftsland herrscht: „Richter, deren Entscheidungen der Diktatur nicht gefallen, werden sofort abgesetzt oder sogar verhaftet.“

    Prozess gegen Mesale Tolu findet außerhalb von Istanbul statt

    Nun aber fiebere Mesale Tolu, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, erst einmal dem 22. August entgegen: An diesem Tag findet nach Auskunft Selcuks eine Haftprüfung statt. „Trotz aller Umstände haben wir die Hoffnung, dass Frau Tolu bei dieser Haftüberprüfung freigelassen wird.“

    Vorläufig. Denn am 11. und 12. Oktober finde der Prozess gegen Tolu und 17 weitere Personen statt, die in derselben Nacht festgenommen worden seien.

    Anders als bislang von Freunden und Verwandten angenommen, wird der Prozess nicht in der Großstadt Istanbul sein, sondern weit außerhalb in Sivlivri: Selcuk und sein Team vom Solidaritätskreis sind sich sicher, dass dahinter ein perfider Plan steckt: „Anscheinend versucht der Richter der 29. Strafkammer durch die Verlagerung des Prozesses, etwas weniger Beteiligung und Aufmerksamkeit zu erzielen.“ Denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauere die Fahrt nach Silivri mehrere Stunden – mit dem Auto etwa eineinhalb oder zwei.

    Kleiner Sohn von Mesale Tolu ertrage Situation "mit Gelassenheit"

    Während ihre Unterstützer planen, zum Prozess nach Silivri zu reisen, versucht Mesale Tolu, im Frauengefängnis Istanbul die Hoffnung nicht aufzugeben. In einem neuen Brief an ihre Freunde und Verwandte schreibt sie von „Tausenden Frauen und Hunderten Kindern“, die dasselbe Schicksal erleben, wie sie und ihr zweieinhalbjähriger Sohn, der seit dem 16. Mai mit ihr im Gefängnis lebt.

    „Es ist erstaunlich, dass ein Kind, das fern von seinem Zimmer, seinem Bett und seinen Spielzeugen ist, diese Situation mit Gelassenheit aufnimmt.“ Serkan könne nicht auf den Spielplatz, ins Schwimmbad „oder sonst irgendwohin, wo sich Kinder an heißem Tagen aufhalten wollen, dafür spielt er auf dem Hof Fußball oder planscht in der Dusche“. All das ertrage sie, „denn ich weiß, dass ich hier festgehalten werde, weil ich mich für eine gerechte Welt eingesetzt habe“.

    Mesale Tolu bedankt sich für Solidarität aus Deutschland

    Von Gerechtigkeit ist man nach Auffassung von Selcuk im Istanbuler Frauengefängnis weit entfernt: Offenbar habe Tolu am 4. August von ihrem Recht Gebrauch gemacht, alle zwei Wochen ihre Familie für zehn Minuten anzurufen. Als Selcuk der Hörer gereicht wurde, um Tolu mitzuteilen, was die Presse in Deutschland über sie schreibt, habe die Gefängnisleitung das Telefongespräch abgebrochen.

    Auch die Besuchszeiten seien laut Selcuk auf eine halbe Stunde reduziert worden. Von diesen 30 Minuten wollen im September auch Tolus deutsche Anwälte Gebrauch machen. Sie haben nach Auskunft von Sprecher Selcuk Besuchszeit beantragt und planen, in wenigen Wochen nach Istanbul zu reisen, um den Prozess vorzubereiten.

    Mesale Tolu Corlu fühlt sich von ihrer Heimat Deutschland bestärkt „Ich erhalte wöchentlich dutzende Karten aus verschiedenen Ländern, Briefe von Abgeordneten und von ehemaligen Mitschülern. Hinter den verschlossenen Türen blicke ich – dank eurer Solidarität – in eine grenzenlose Welt.“

    Neuigkeiten zur Türkei lesen Sie auch hier in unserem News-Blog.

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