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Neu-Ulm: Gerold Noerenberg: „Die Kanzlerin hat ihre Raute, ich hab meine Knorrigkeit“

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Gerold Noerenberg: „Die Kanzlerin hat ihre Raute, ich hab meine Knorrigkeit“

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    Für Gerold Noerenberg endet nach mehr als 16 Jahren die Amtszeit als Oberbürgermeister der Stadt Neu-Ulm. Auf die Entwicklung der Stadt blickt er mit Stolz zurück, manches hätte er dennoch anders gemacht.
    Für Gerold Noerenberg endet nach mehr als 16 Jahren die Amtszeit als Oberbürgermeister der Stadt Neu-Ulm. Auf die Entwicklung der Stadt blickt er mit Stolz zurück, manches hätte er dennoch anders gemacht. Foto: Alexander Kaya

    Herr Noerenberg, am 30. April endet Ihre Amtszeit als Oberbürgermeister der Stadt Neu-Ulm, nach mehr als 16 Jahren. Wie sehen Sie dem entgegen?

    Noerenberg: Freudig erregt. Es ist eine lange Zeit, die ich jetzt hier im Amt verbracht habe. Fast ein Vierteljahrhundert, in dem ich insgesamt im Stadtrat tätig war. Und da ist es dann an der Zeit, dass es Veränderungen gibt. Deswegen hatte ich schon vor relativ langer Zeit für mich beschlossen, dass mit dieser Periode Schluss ist. Und hatte somit die Gelegenheit, mich ein bisschen damit anzufreunden. Ist gut, wird Zeit, dass jetzt Schluss ist.

    Aber Sie hätten sich Ihren Abschied vermutlich anders vorgestellt, oder?

    Noerenberg: Ja, definitiv. Nach den neuesten Wasserstandsmeldungen dürfte es so sein, dass – wenn die Wirtschaft sich nicht im Herbst oder nächstes Jahr erholt – wir Ende nächsten Jahres möglicherweise keine Rücklagen mehr haben und so was ist natürlich bitter. Damit fehlen auch meiner Nachfolgerin Bewegungsspielräume. Das tut mir weh, denn es war von mir schon immer ein inneres Credo, dass die Stadt für die Zukunft ein positives Haushaltssaldo braucht, um auch in Zukunft handlungsfähig zu sein. Und jetzt in die Situation zu geraten, nur noch das Wichtigste tun zu können, ist schwierig. Das hätte nicht sein müssen.

    Ich meinte aber auch eine Abschiedsfeier mit schönen Reden ...

    Noerenberg: Nein, nein, nein. Da muss ich Sie absolut enttäuschen. Eigentlich hatte ich von vornherein vor, die letzte Sitzung zu leiten und dann zu sagen: Und gut war’s, tschüss. Und rauszugehen ohne jeglichen Festakt, weil ich kein Freund von derlei Festivitäten bin. Meine Frauen im OB-Büro haben mir dann sehr deutlich gemacht, dass ich das nicht kann, dass ich als OB auch die Verantwortung gegenüber anderen habe, die vielleicht ganz gerne Ade sagen wollen. Daraufhin haben wir uns zu einer etwas kleineren Version durchgerungen, bei der es eine Verabschiedung im sehr kleinen Rahmen gegeben hätte. Dann kam Corona und wir waren wieder bei null. Es gibt nun also keine Verabschiedung.

    Werden Sie Ihren Abschied vielleicht nachholen?

    Noerenberg: Nein, definitiv nicht. Wenn Schluss ist, ist Schluss. Ich bleib ja in Neu-Ulm, ich werde weiterhin bei Festen zu sehen sein. Ich bin in der Stadt. Etwas anderes wäre es, wenn wir wegziehen würden. Aber so ist es gut, ist halt so gelaufen.

    Wenn dann das Kapitel „OB“ abgeschlossen ist: Worauf blicken Sie mit Stolz zurück? Oder auch mit Freude?

    Noerenberg: Auf die gesamte Entwicklung. Neu-Ulm ist städtischer geworden. Auch ein Stück weit selbstbewusster. Dieses immer danach Schielen: „Was machen die Ulmer? Das müssen wir auch machen“, haben wir ein Stück weit ablegen können. Und das ist eine ganz gute Plattform für die nächsten Jahre. Die Stadtteile haben ihre Berechtigung, sollen sie haben, aber wir müssen uns als Gesamtes betrachten. Das gilt auch für die Region, zusammen mit der Stadt Ulm. Da haben wir, glaube ich, Riesenfortschritte gemacht. Natürlich: Bahntieferlegung, was daraus geworden ist aus dem ganzen Umfeld. Hochschule. Den ersten Bauabschnitt mit Ministerpräsident Beckstein werde ich nie vergessen. Ich hätte nie geglaubt, dass ich dann auch noch einen zweiten Bauabschnitt erlebe. Dass wir das Thema Kinderbetreuung trotz Riesenzuzugs einigermaßen hinbekommen haben. Das sind alles Punkte, wo ich sage: Das haben wir, und wenn ich sage wir, dann meine ich die Verwaltung und den Stadtrat und teilweise auch die Stadt Ulm, das haben wir schon ganz gut auf den Weg gebracht.

    Und worauf hätten Sie lieber verzichtet?

    Noerenberg: Jetzt natürlich auf das Thema Corona. Ansonsten: Jeder, der diesen Job macht, weiß, dass er nicht nur aus Rosenbeet besteht, dass es natürlich Hochs und Tiefs gibt, Auseinandersetzungen, Irrtümer, die man selber begeht, die dann nachher wehtun. Es gibt für mich da kein herausragendes Ereignis. Es ist so wie im Leben die Vielzahl von kleinen Dingen. Wenn ein arbeitsloser Mensch zu Ihnen kommt und völlig verzweifelt ist, weil er einfach keine Arbeit findet, und Sie müssen ihm sagen: Es tut mir leid, ich kann Ihnen keine Arbeit geben. Der guckt Sie dann an und sagt: Sie sind doch mein Oberbürgermeister. Das sind dann Situationen, die brauchen Sie nicht. Weil Sie da eine Art Hilflosigkeit merken und jeder Mensch will ja was Positives bewegen. Aber unter dem Strich ist es sehr bereichernd für mich gewesen. Es war eine tolle Zeit, es gab tolle Begegnungen.

    Wie sehr ärgert es Sie heute noch, dass aus der Kreisfreiheit nichts geworden ist?

    Noerenberg: Ich halte es nach wie vor für die falsche Entscheidung. Ich glaube auch nicht, dass das Problem als solches gelöst ist. Mich ärgert, dass dann einige Dinge von einigen propagiert wurden, die so schlichtweg nicht richtig waren. Es wurde immer so getan, als ob die Zusammenarbeit mit dem Landkreis, mit dem Landrat dann überhaupt nicht mehr möglich ist. Das ist ein absoluter Schmarren gewesen. Dass wir uns nicht um den Hals gefallen sind, ist klar. Fakt ist: Wir wachsen weiter. Die Frage ist, und die habe ich auch dem Innenminister gestellt: Wenn nicht bei 60000 Bürgern – bei 65000? Bei 70000? Es war wohl in München die Sorge, man tritt jetzt hier etwas los. Aber ich mache ja nicht gute Politik, indem ich Probleme auf die Seite stelle und nicht löse. Das ist das, was mich ein bisschen ärgert. Und das gebe ich auch zu, das hat mich auch, was die Landespolitik angeht, ziemlich ernüchtert. Von meinem Verständnis her muss ich auch unangenehme Dinge entscheiden und unangenehm handeln, wenn das Problem halt einfach da ist.

    Und wenn die Staatsregierung, wie angekündigt, die Großen Kreisstädte in Bayern insgesamt stärkt? Ist dann alles gut?

    Noerenberg: Das kommt darauf an, wie es nachher ausschaut. Es ist ja nicht nur eine Frage der Stärkung der Kompetenzen, es geht auch einher mit einer Finanzierung. Wenn die Finanzausstattung gut ist, wenn wesentliche Punkte, die das Selbstverständnis einer Stadt betreffen, der Stadt dann auch übertragen werden, dann kann das eine Lösung sein. Aber da muss man abwarten, was da kommt. Es ist jetzt über anderthalb Jahre her, dass das Thema „Stärkung der Kompetenzen“ mir gegenüber das erste Mal angesprochen wurde, und es wurde kein Schritt gemacht. Das kann man nicht mit der Corona-Pandemie erklären. Ich verspüre da schon wieder bei den Ministerien eine gewisse Zurückhaltung und das finde ich sehr, sehr ernüchternd, weil: Das ist eigentlich nicht das Bayern, das ich früher kennengelernt habe und das ich als meine Heimat betrachte.

    Gibt es etwas in Ihrer Zeit als OB, das Sie bereuen? Oder das Ihnen rückblickend leid tut?

    Noerenberg: Es gibt viele Dinge, die man vielleicht falsch eingeschätzt hat. Da kann ich jetzt im Detail nicht drauf eingehen. Es gibt eines, was ich sicherlich grundsätzlich falsch angegangen bin, was ich jetzt nicht in dem Sinne bereue, aber ich würde es anders machen: Wir haben seit 2004 jedes Jahr Herausforderungen gehabt, die wir meistern mussten, die wir angenommen haben, die wir in den meisten Fällen auch ganz gut gelöst haben. Und ich habe es versäumt, das auch ein Stück weit zu würdigen. Mit dem Stadtjubiläum haben wir, glaube ich, den richtigen Weg gewählt, zu sagen: So, jetzt nehmen wir uns mal Zeit, gemeinsam zu feiern. Ab und zu mal eine kleine Pause, gegenseitig auf die Schultern klopfen, Zeit nehmen für ein Glas Bier mit den Bürgern – das würde ich heute auf jeden Fall anders machen.

    Die Stimmung im Stadtrat war ja manchmal schon geladen. Sehen Sie sich da auch selber in der Verantwortung, weil Sie vielleicht zu dünnhäutig waren und überreagiert haben?

    Noerenberg: Da kann ich nur wiederholen, was ich andernorts auch schon gesagt habe: Ich bin so, wie ich bin. Und wer damit nicht kann, der hat halt Pech gehabt. Was mich ärgert an diesen Diskussionen, ist eins: Ich habe immer wieder gehört, man muss wertschätzen. Bin ich ja vollkommen dabei. Aber die Wertschätzung, die ich häufig von einigen Damen und Herren des Stadtrats erlebt habe, war: In der Öffentlichkeit die Form wahren und sehr freundlich sein und hintenrum war das alles andere als freundlich, das war nicht nur beleidigend, das war verletzend. Und da sage ich: Das ist eine Unehrlichkeit, die ich nicht haben will. Da bin ich in dem Fall ehrlich und damit muss man dann leben. Ich finde es wertschätzender, es jemandem zu sagen, wenn er aus meiner Sicht etwas Falsches sagt, tut oder plant, als zu sagen, wunderbar, schön, toller Kerl, und dann hintenrum zu sagen: Wenn der mit dem Antrag kommt, da müssen wir dann schauen, dass wir das alles runterbügeln.

    Aber es kommt natürlich auch immer auf den Ton an.

    Noerenberg: Ja. Natürlich kommt es auf den Ton an. Aber wie gesagt, auch da gilt: Ich bin, wie ich bin. Ich werde und kann mich nicht ändern. Die Kanzlerin hat ihre Raute und ich hab meine Knorrigkeit, meine Rauigkeit, ja, ist so. Interessanterweise gibt es genügend Menschen, nicht nur im Stadtrat, die damit sehr gut umgehen können, die damit keine Probleme haben.

    Angesichts der aktuellen Lage und der drohenden massiven Steuereinbrüche: Muss sich die Stadt auf harte Zeiten einstellen?

    Noerenberg: Ich habe vor Kurzem mit dem Kämmerer gesprochen und ihm gesagt, dass ich nach wie vor Optimist bin und hoffe, dass es nur eine heftige Delle wird und nicht ein langfristiger Abschwung. Mein Kämmerer ist da nicht ganz so hoffnungsfroh. Das werden wir spätestens im Sommer, Frühherbst sehen. Ja, wir werden uns zumindest auf zwei, drei harte Jahre einstellen müssen. Nein, ich hoffe nicht, dass es so schlimm kommt, dass wir in den nächsten fünf, sechs Jahren Probleme haben. Ich gehe nach dem, was der Kämmerer gesagt hat, davon aus, dass allein dieses Jahr geschätzt zwölf Millionen Euro im Verwaltungshaushalt fehlen. Ich hätte meiner Nachfolgerin bessere Startbedingungen gewünscht.

    Wie geht es Ihnen derzeit persönlich in der Corona-Krise?

    Noerenberg: Es ist langsam ein bisschen anstrengend, wenn man nicht so Kontakt halten kann, wie man sich das wünscht. Über viele Jahre habe ich sehr viel gearbeitet und viele Freundschaften und Bekanntschaften nicht so gepflegt, wie ich mir das gerne gewünscht hätte. Ich habe im Februar und März schon viele Telefonate geführt und Pläne geschmiedet: Wir treffen uns mal zum Grillen, Radfahren und so weiter. Das jetzt nicht machen zu können, ist belastend. Auf der anderen Seite: Ich glaube, Deutschland hat den richtigen Weg gewählt, sehr restriktiv zu sein. Ich habe wenig Verständnis für Lockerungsdiskussionen, die jetzt nicht an der Sache geführt werden, sondern an zukünftigen politischen Plänen. Ich muss in aller Deutlichkeit sagen: Dazu ist das viel zu groß. So sehr man sich auf den Ruhestand freut, es wäre schön, wenn wir jetzt auch hier Licht am Ende des Tunnels sehen würden. Besonders leid tut’s mir eigentlich um die Schwächsten in unserer Gesellschaft, nämlich die Kleinen und die Senioren. Es ist eine anstrengende, belastende Situation, aber weniger meine persönliche Situation, sondern wie ich die gesellschaftliche Lage wahrnehme.

    Wie werden Sie künftig Ihren Alltag verbringen?

    Noerenberg: Ich habe jetzt eines gelernt: Man kann durchaus auch sieben Stunden schlafen. Das ist eine Begleiterscheinung, die nicht wehtut. Man kann eine Zeitung auch mal länger als zehn Minuten lesen. Sodass sich allein dadurch schon ein Großteil des Vormittags erledigt hat. Ansonsten: Ich koche gerne, ich lese gerne, ich fahre gerne Rad, ich schwimme gerne, ich gehe gerne spazieren. Ich werde versuchen, wieder Schach zu spielen. Vielleicht lerne ich auch noch eine Fremdsprache. Also die wenigen Tage, die ich jetzt im März, April Urlaub nehmen konnte, waren nicht geprägt von Langeweile. Und ich lerne es gerade, dass man nach einem faulen Nachmittag kein schlechtes Gewissen zu haben braucht.

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