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Neu-Ulm: Die Geschichtsbibliothek in Neu-Ulm ist in Gefahr

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Die Geschichtsbibliothek in Neu-Ulm ist in Gefahr

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    Zufällige Begegnung in der Enge der Geschichtsbibliothek: Mitarbeiter Peter Freitag (links) und der Weißenhorner Verleger Anton H. Konrad mit Frau (rechts) im Gespräch mit dem „Schlüsselgewaltigen“ Anton Aubele.
    Zufällige Begegnung in der Enge der Geschichtsbibliothek: Mitarbeiter Peter Freitag (links) und der Weißenhorner Verleger Anton H. Konrad mit Frau (rechts) im Gespräch mit dem „Schlüsselgewaltigen“ Anton Aubele. Foto: Gerrit-R. Ranft

    Zwischen April und September 2019 feiert Neu-Ulm sein Jubiläum „150 Jahre Stadterhebung“. Die Neu-Ulmer Zeitung, die heuer 70 wird, tut in diesen Monaten ein paar Blicke in die Vergangenheit der Kommune, in ihre Gegenwart und – so weit möglich – in die Zukunft. Heute: Die Geschichtsbibliothek.

    Ein für die Stadt einzigartiges Juwel droht zu verblassen, falls es sich nicht sogar gänzlich auflöst. Die vor mehr als sechs Jahrzehnten aus winzigen Anfängen entstandene, heute mehrere Zehntausend Bände umfassende Geschichtsbibliothek, muss ihre ohnehin schon spärliche Unterkunft in den Hinterzimmern des LEW-Gebäudes am Heiner-Metzger-Platz räumen. Das Bauwerk soll im kommenden Jahr abgerissen werden – und niemand weiß bisher, wohin mit den historischen Buchschätzen. Sie in Container zu verstauen und diese – wie letzthin angeregt – irgendwo auf unbegrenzte Zeit abzustellen, lehnen die ehrenamtlichen Betreuer der Sammlung kategorisch ab. Dann ist die Bibliothek tot, sagen sie, weil sie nicht unterhalten, geschweige denn genutzt werden kann. Diesem Urteil schließt sich FDP-Stadtratsfraktion an, mit ihrem Antrag an die Stadtverwaltung, „eine Dauerlösung für die Präsenzbibliothek in geeigneten Räumen zu erarbeiten“.

    Hervorgegangen ist die heute von Forschern und Freizeithistorikern, von Genealogen, Studenten, aber auch Schülern vielfach genutzte Sammlung aus dem 1954 gegründeten „Neu-Ulmer Arbeitskreis für Kreisbeschreibungen“. Er sollte regionalgeschichtliche Grundlagenforschung treiben und aus ihren Erkenntnissen Darstellungen der Landkreise Günzburg, Illertissen, Krumbach und Neu-Ulm erarbeiten. Den Kern des Arbeitskreises um den Neu-Ulmer Rechtsanwalt und Freizeithistoriker Horst Gaiser bildeten der Kadeltshofer Pfarrer Josef Matzke, der Ulmer Historiker Albrecht Rieber, der Heidenheimer Geschichtslehrer Heinz Bühler wie auch der Straßer Oberstudienrat Anton Aubele.

    Was wird aus der Geschichtsbibliothek in Neu-Ulm?

    Binnen kurzer Zeit erschienen zahlreiche Publikationen, unter ihnen vor allem die „Kleinen Kreisbeschreibungen“ zu Neu-Ulm, Günzburg und Krumbach. Sie bilden heute die unentbehrliche Grundlage für die lokale und regionale Geschichtsforschung. Um all diese historische Arbeit leisten zu können, war entsprechende Fachliteratur naturgemäß unerlässlich. Sie weitete sich nach und nach zu einer großen, heute wegen ihrer weithin fehlenden Katalogisierung allerdings kaum überschaubaren Spezialbibliothek aus.

    Vor Kurzem erst hat die Bayerische Staatsbibliothek die Bestände der Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek in Augenschein genommen, mit dem Ergebnis, die Sammlung sei „als wissenschaftliche Spezialbibliothek mit ihrem recht großen Bestand sehr gut für eine Mitgliedschaft im Bibliotheksverbund Bayern (BVB) und für die Verzeichnung ihrer Bestände im Verbundkatalog geeignet“. Für Neu-Ulm hätte die Teilnahme am Bibliotheksverbund den großen Vorteil, dass ihre Bestände national wie auch international sichtbar würden. Die Geschichtsbibliothek könne zudem alle überwiegend kostenfreien Dienstleistungen des BVB nutzen wie einen eigenen Bibliothekskatalog, Schulungen zur Katalogisierung und Digitalisierung der Bestände. Auch der Anschluss an die bestehende Leihbibliothek in Augsburg wäre möglich.

    Allein für die Erschließung der Bestände bräuchte es mindestens fünf Jahre

    Allerdings sieht Bayern Handlungsbedarf für Neu-Ulm. Die Bestände müssten in besser geeigneten Räumen als den gegenwärtig genutzten untergebracht werden. Die teils begonnene Katalogisierung müsste abgeschlossen werden. Beide Forderungen sind nach dem Urteil des Sachverständigen Michael Beer „ohne Einstellung einer Fachkraft nicht zu bewältigen“. Allein für die volle Erschließung der Bestände rechnet der Fachmann mit einem Zeitbedarf von mindestens fünf Jahren.

    Denn was der Besucher oder auch Nutzer der Bibliothek heute vorfindet, gleicht einem einigermaßen geordneten Chaos. Bücher, Hefte, Zeitschriften, Kartons und Kisten auf Tischen, Fensterbänken und dem Fußboden längs der Wände, wohin das Auge blickt. Natürlich sind große Teile der Sammlung ordentlich in deckenhohe Holzregale eingestellt. Auch Rollregale wie im Neu-Ulmer Stadtarchiv stehen zur Verfügung. Doch die Ordnung und die Übersicht fehlen. Horst Gaiser, der sie hatte, der ganz gut ohne Katalog zurechtkam, weil er die Sammlung wesentlich aufgebaut hatte über Einkäufe, Schenkungen, Erbschaften, ist vor drei Wochen im Alter von neunzig Jahren gestorben. Nun übt Anton Aubele die „Schlüsselgewalt“ aus – mit ein, zwei Helfern.

    Geschichtsbibliothek in Neu-Ulm hat bereits einige Umzüge hinter sich

    Aber ihm und vor allem jenen, die in der Bibliothek forschen wollen, ist wenig geholfen, wenn das ganze Sammelsurium demnächst in Container wandert und auf Jahre hin nicht zugänglich ist. Immerhin hat die Bibliothek bereits einige Umzüge hinter sich. Angefangen hat sie in einem Zimmer im Rathaus, 1960 folgte der Umzug ins frühere Landratsamt an der Donau, danach ins Heimatmuseum. Erst 1991 kam sie in der ehemaligen Musikschule im LEW-Haus unter. Aber die Bibliothek war zu allen Zeiten zugänglich. „Anderthalb Kilometer Regalwände mit weit über 70.000 Bänden und einem rein materiellen Wert von mehr als einer Million Euro schließt man doch nicht einfach in ein paar Container ein“, bedauert der ehemalige Gau-Vorsitzende und heutige Mitarbeiter der Bibliothek Peter Freitag die drohende Entwicklung. „Ein einzigartiges Juwel der Stadt droht Schaden zu nehmen.“

    Lesen Sie hier weitere Teile unserer Serie zum Stadtjubiläum:

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