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Neu-Ulm: Der Dickschädel schafft es über den großen Teich

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Der Dickschädel schafft es über den großen Teich

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    Die Musikschule der Stadt Neu-Ulm präsentiert ein Musical zum Mythos. Dem Neu-Ulmer Hermann Köhl gelang im Jahr 1928 mit einer Junkers 33 der erste Atlantik-Überflug in Ost-West-Richtung.
    Die Musikschule der Stadt Neu-Ulm präsentiert ein Musical zum Mythos. Dem Neu-Ulmer Hermann Köhl gelang im Jahr 1928 mit einer Junkers 33 der erste Atlantik-Überflug in Ost-West-Richtung. Foto: Dagmar Hub

    Jubel nach zweieinhalb Stunden Höchstleistung: Beim Musical „Ozeanflieger“, zum Stadtjubiläum Neu-Ulms komponiert von Markus Munzer-Dorn und Jens Blockwitz und am Wochenende mehrmals im Edwin-Scharff-Haus aufgeführt, erstaunten die jungen und die nicht mehr ganz jungen Akteure auf der Bühne des Edwin-Scharff-Hauses unter der Regie von Marion Weidenfeld mit einer Leistung, die man von einer Musikschule normalerweise auf einem so hohen Niveau nicht erwarten kann: Gerade unter den jungen Sängerinnen und Sängern gab es etliche wirkliche Entdeckungen, schauspielerisch wie gesanglich. Und die Biografie des in Neu-Ulm geborenen Ozeanfliegers Hermann Köhl gibt Stoff für ein Musical, das vor allem die Atmosphäre der 20er Jahre atmet, das aus der Kriegsbegeisterung vor dem Ersten Weltkrieg heraus ein echter Friedensappell ist und das Brücken über Zeit und Raum schlägt hin zu einem Flieger-Vorgänger Hermann Köhls, zum Schneider von Ulm.

    Hermann Köhl: Ein Musical mit Witz

    Markus Munzer-Dorn steht nicht oft selbst auf der Bühne. In „Ozeanflieger“ allerdings macht der 63-jährige Schauspielmusiker eine Ausnahme: Als Bürgermeister von New York empfängt er zu Beginn des Musicals den Piloten Hermann Köhl und seine Mitflieger James Fitzmaurice und Ehrenfried Günther Freiherr von Hünefeld vor einer - damals nach der ersten geglückten Ozeanüberquerung von Europa nach Amerika im Jahr 1928 mit der „Bremen“- Zehntausende umfassenden Menschenmenge. Das ist der Auftakt einer gespielten, gesungenen und gesprochenen musikalischen Erzählung, die ihr Publikum packt - mit ihrem Tiefgang und Witz und mit den Ohrwurm-Songs wie „Dickschädel“, „Wir sind Sternenflieger“ oder „Helden auf Eis“.

    Hermann Köhl und Albrecht Ludwig Berblinger

    Musikalisch orientierten sich die beiden Komponisten dafür ganz breit: Von der irischen Ballade über den Tango bis hin zu „Ich will ´nen Flieger als Mann“, frei nach Gitte Haennings Song von 1963, die allerdings einen Cowboy bevorzugte, spannt sich der musikalische Bogen. Und weil Markus Munzer-Dorn seit jeher ein großes Faible für die Fliegerei hat, darf ihr Urvater – Albrecht Ludwig Berblinger, der Schneider von Ulm – nicht fehlen, im Hintergrund und auf den Schultern des Ozeanfliegers Hermann Köhl, der ein Pionier war wie Berblinger. Nicht zuletzt hatte Markus Munzer-Dorn schon einmal ein Musical über Berblinger geschrieben, „Luftsprünge“ genannt.

    Zu Beginn von „Ozeanflieger“ stockt dem Zuschauer manchmal fast der Atem: Der Jubel, mit dem der Ausbruch des Ersten Weltkrieges begrüßt wird, und die Begeisterung der Soldaten für den Heldentod sind aus heutiger Sicht schwer fassbar. In die Figur Hermann Köhls packen die beiden Komponisten viel Charakter – ein bayerischer Dickschädel, unabbringbar von dem, was er sich in den Kopf gesetzt hat, sei es in der Fliegerei oder in der Liebe zur jungen Elfride Feierabend (beeindruckend gesungen von Lena Kosnopfel). Der einzige Wermutstropfen des Musicals sind anfängliche textliche Unsicherheiten von Matthias Neumann, einem Dozenten der Musikschule, der die Titelrolle singt und spielt.

    Eine Flieger-Biografie vom Zweiten Weltkrieg - da erwartet der Zuschauer Männerrollen. Doch gelang es dem Komponisten-Duo, gerade in die Rollen der Ehefrauen von Köhl und Fitzmaurice und der Verlobten von Hünefelds, zudem in die Rollen der Schwester Köhls und der Tochter von Fitzmaurice die Emotionen hineinzuschreiben, die im Musical Gänsehaut verursachen.

    Mit viel Liebe zum Detail gestalten sich Szenen und Beziehungen - die kleine Familie von James Fitzmaurice in Irland oder Leuchtturmwärterin Susan auf Greenly Island mit ihrer Töchterschar, unter denen Marie Theresa Hofele schauspielerisch glänzt und sich in die Herzen des Publikums spielt. Gesanglich ist Peter Lehmann als Darsteller von James Fitzmaurice die größte Überraschung des Abends - sicher und sehr überzeugend. Auch andere junge Darsteller wie die Flieger Willi und Franz (Yannick Schwarz und Lukas Hambloch) und Fitzmaurice-Tochter Patsy (Constanze Binder) machen musikalisch wie schauspielerisch Freude.

    Hermann Köhl und das Weihnachtswunder

    Der stärkste Gänsehaut-Moment ist die ergreifende Darstellung des „Weihnachtswunders“ von 1914, als Zehntausende Soldaten an Heiligabend 1914 ihr Heimweh nach Weihnachten in den Familien teilten und miteinander sangen – und erst zwei Tage später auf Befehl wieder aufeinander schossen. In drei Sprachen –Deutsch, Englisch und Französisch – erklingt im Musical „Stille Nacht“. Doch schon bald deutet sich der nächste Krieg an. „Für den Frieden haben wir leider keine Ausbildung.“ Sätze wie dieser sind es, die dem Musical neben allem Wortwitz Tiefe geben.

    Von Neu-Ulm über den Triumphzug durch die USA nach Pfaffenhofen und ins gesellschaftliche Abseits: Da Hermann Köhl früh mit den Nationalsozialisten bricht, zieht er sich mit seiner Frau nach Pfaffenhofen zurück, woher seine Mutter stammte. Ein bayerischer Dickschädel mit Eigensinn und Überzeugung – bis zu seinem frühen Tod 1938. Und gerade der Song „Dickschädel“ ist es, der Köhl in diesem Musical so persönlich und liebenswert macht.

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