Kurz vor der Verhandlung flatterte gestern ein Brief auf den Schreibtisch von Amtsgerichtsdirektor Thomas Mayer. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass der Angeklagte gestorben sei. Eigentlich ein tragisches Ereignis – doch im Falle dieses besonderen Mannes eher ein kurioses. Denn der 75-Jährige hatte das Schreiben an Richter Mayer selbst unterzeichnet.
Der Rentner aus dem Landkreis Biberach wäre gestern Nachmittag auf der Anklagebank gesessen, weil er vergangenes Jahr eine Polizistin beleidigt und sich ihr widersetzt haben soll. Wie zu erfahren war, fühlt sich der 75-Jährige der Gruppe der „Germaniten“ zugehörig. Diese tritt für einen eigenständigen Staat innerhalb Deutschlands ein und druckt daher beispielsweise eigenes Geld, die Mitglieder stellen sich eigene Ausweise aus und geben sich ihre eigenen Namen – beispielsweise anstatt Max Müller: Max aus dem Hause Müller. Rechtlich gesehen hat all das keinen Bestand – was immer wieder Anlass zu juristischen Streitigkeiten gibt.
Gruppe der Germaniten: Für den Mann gibt es weder Polizei noch Verkehrsregeln
Dem Angeklagten scheint das als „Reichsbürger“ egal zu sein: Er erkennt den Staat nicht an, der seiner Auffassung nach 1990 erloschen sei – somit existiert für ihn keine Polizei, Justiz oder Verkehrsregel. Das machte der Mann in seinem „Todesschreiben“ auch deutlich. Seinen Namen gebe es so nicht, teilte der Rentner darin mit. Er sei „erloschen“.
Ob er zur Verhandlung am Amtsgericht auftauchen würde, blieb für Richter Mayer, die Staatsanwaltschaft und die anderen Prozessbeteiligten nur abzuwarten – auch für die sechs Polizisten bei der Einlasskontrolle. Diese kamen extra zur Verhandlung, da nicht auszuschließen war, dass der angeblich Tote doch noch auftaucht und mit ihm weitere auf Krawall gebürstete Gleichgesinnte.
Amtsgerichtsdirektor Mayer wollte einem ähnlichen Fall wie jüngst im Kaufbeurer Justizgebäude vorbeugen: Dort war es zum Eklat gekommen, weil zahlreiche „Reichsbürger“ bei einer Verhandlung den Aufstand geprobt und die Akte der Richterin gestohlen hatten. Der Angeklagte im Neu-Ulmer Fall tauchte gestern auch 20 Minuten nach Verhandlungsbeginn nicht auf.
Doch sein Scharadespiel mit der Justiz hat er wohl verloren: Er muss nun eine Geldstrafe von 4000 Euro bezahlen und die Kosten, die wegen der ausgefallenen Verhandlung entstanden sind, übernehmen. Nun kann der 75-Jährige jedoch noch Berufung einlegen. (kat)