Der Ulmer Journalistin Mesale Tolu droht eine jahrelange Gefängnisstrafe in der Türkei: Die Staatsanwaltschaft hat 15 Jahre Haft für die junge Mutter gefordert. Dies bestätigte der Sprecher des Solidaritätskreises, Baki Selcuk, auf Nachfrage unserer Zeitung. Tolu wurde Ende April in ihrer Istanbuler Wohnung festgenommen. Der türkische Staat wirft der 33-Jährigen, die abwechselnd in Neu-Ulm und Istanbul lebt, vor, sie habe Terrorpropaganda betrieben und sei Mitglied einer Terrororganisation.
Die Forderung der Staatsanwaltschaft ist ein Schock für Freunde und Familie: „Ein so hohes Strafmaß zu verlangen, ist entsetzlich. Das hat uns alle getroffen“, sagt Selcuk. Auf der anderen Seite müsse allen klar sein, welches System in der Türkei derzeit herrsche. „Dort herrscht Diktatur, die keine abweichende Meinung akzeptiert.“ Die Anwältin, die die Akten zunächst lange Zeit nicht einsehen durfte, hat die Anklageschrift laut Selcuk als „Konstrukt der Polizei“ bezeichnet, das von der Staatsanwaltschaft lediglich unterzeichnet worden sei und voller Widersprüche stecke.
Selcuk berichtet, dass der Prozess gegen Tolu, der für den 11. und 12. Oktober angesetzt ist, nicht in Istanbul stattfinden wird. „Davon sind wir eigentlich ausgegangen.“ Stattdessen solle das Verfahren in einem Gericht verhandelt werden, dass rund ein bis zwei Stunden außerhalb der Stadt liege. Für Selcuk steckt Kalkül dahinter: „So haben sie weniger Öffentlichkeit.“ Der Ehemann von Mesale Tolu, Suat Corlu, sitzt seit dem 5. April, ebenfalls in Haft. Er weiß womöglich noch nichts von der geforderten Strafe für seine Frau, so Selcuk. Denn dies sei nur möglich, wenn ihn jemand besuche – und das sei nur einmal pro Woche erlaubt.
Hoffnung hatten sich Familie und Freunde Tolus angesichts des Termins am 22. August gemacht: An diesem Tag wird ein Richter den Fall überprüfen und entscheiden, wie es weiter geht – ob Tolu bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt wird oder weiterhin im Frauengefängnis in Istanbul bleiben muss. Während Selcuk angesichts der für ihn abstrusen Vorwürfe in der Akte – unter anderem wird Tolu der Besitz bestimmter Zeitschriften, Zeitungen und Bücher zur Last gelegt – weiterhin die Hoffnung hegt, dass Tolu frei kommt, ist sich deren Tante Silvia sicher: „Das werden die niemals machen.“ Die ganze Familie sei schockiert: „Wir wissen ehrlich gesagt nicht mehr weiter.“ Sie hofft, dass sich die deutschen Behörden jetzt noch mehr für Tolu einsetzen.
Besonders traurig sei die Situation wegen Serkan, dem zweijährigen Sohn Mesale Tolus. Er lebt derzeit bei seiner Mutter im Gefängnis, durfte auch schon seinen Vater in dessen Haftanstalt besuchen. „Wenn Mesale verurteilt wird, werden wir ihn natürlich zu uns nehmen“, so Silvia Tolu. Über ihre Nichte Mesale sagt sie: „Sie ist stark.“ Dann fügt sie hinzu: „Aber ich glaube, wir als Familienangehörige sind nicht so stark.“