1000 Anrufe am Tag: So läuft die Corona-Impfung in der Hausarzt-Praxis
Mehr als 1000 Anrufer an einem Tag in einer Praxis: Das Interesse an den Covid-19-Impfungen im Kreis Neu-Ulm ist groß. Ärzte berichten von ihren Erfahrungen.
Ein ausführliches Aufklärungsgespräch brauchen die zwei Frauen nicht. "Sie kennen mich ja", sagt die ältere. Dr. Alexander Babiak greift zu einer der Spritzen, die schon aufgezogen sind. Erst ein Piks, dann ein Pflaster bei der älteren Frau. Dann ein Piks und ein Pflaster bei der jüngeren. Nach ein paar Augenblicken ist alles vorbei. Es ist Freitagmittag, in weniger als einer Stunde wird die zweite Woche enden, in der Dr. Babiak seine ältesten Patienten gegen Covid-19 impft. "Grundsätzlich hat es gut angefangen", findet der Mediziner. Ganz ohne Ärger blieb der Auftakt der Praxis-Impfungen im Landkreis Neu-Ulm aber nicht.
Die beiden Seniorinnen sind Patientinnen in der Neu-Ulmer Gemeinschaftspraxis im Ärztehaus A4. "In die Friedrichsau oder zu Nuvisan wäre ich nicht gegangen", sagt die Jüngere über die Impfzentren in Ulm und Neu-Ulm - trotz der Freude, die sie über die Impfung empfinde. Das Vertrauen in ihren Arzt sei einfach groß. Alexander Babiak kennt noch weitere Gründe. Berichte über Warteschlangen vor Impfzentren hätten manche Menschen abgeschreckt, auch wenn diese gar nicht die Region betroffen hätten. Und: "Wer mit 89 meldet sich online für einen Termin an, wenn er nicht gerade Kinder hat, die das übernehmen?" Der Arzt ist überzeugt: "Ich glaube, wenn wir in den Praxen früher angefangen hätten, wären wir schneller durch gewesen."
Praxis in Neu-Ulm impft kommende Woche 264 Frauen und Männer
Vor Ostern startete Babiak mit 20 Impfungen, in der Woche nach Ostern waren es 30 und in der darauffolgenden Woche werden es 264 sein. Die Praxis vergibt die Termine nach dem Alter der Patienten. Anders, sagt der Hausarzt, sei das organisatorisch nicht möglich. Zudem sei das Alter nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) der größte Risikofaktor.
Die Frau, die sich in der Neu-Ulmer Praxis um die Organisation kümmert, heißt Sinem Tunc. Allein am Dienstag nach Ostern, erzählt sie, habe sie mehr als 1000 Anrufe von Impfinteressenten entgegengenommen. Auch an den Tagen davor und danach sei der Andrang riesig gewesen. Sinem Tunc hat viel erlebt: Den 27-Jährigen, der sich mit einer Impfung künftige Reisen ermöglichen will und ausfallend wird, weil er noch nicht dran ist. Und Risikopatienten, die außer sich sind vor Glück, zumindest auf die Warteliste zu kommen. "Ich hatte Telefonate, da haben Ältere vor Freude geweint", erzählt sie.
Interesse an Impfungen gegen Covid-19 ist im Kreis Neu-Ulm groß
Alexander Babiak führt schon seit Wochen Gespräche mit seinen Patienten. Im Grunde hätten die sich seit Anfang des Jahres nach Impfungen erkundigt. Ausführliche Aufklärungsgespräche unmittelbar vor der Impfung fielen in seiner Praxis entsprechend meist weg.
Eins hat der Arzt festgestellt: "Die Leute wollen Biontech haben." Wer nach einer Impfung unter Komplikationen leide, gehe zum Hausarzt. Bei AstraZeneca sei das oft vorgekommen. Fieber, Schüttelfrost: "Die Leute sind dann zwei, drei Tage krankgeschrieben." Das Vakzin von Biontech, das gerade in den Praxen verabreicht wird, sei dagegen sehr gut verträglich, beobachtet Babiak.
Ärger bei Arzt aus Bellenberg über organisatorische Probleme beim Impfen
Große Hoffnungen, großer Aufwand, große Frustration: So erlebt Horst Hennrich den Start der Impfungen in seiner Bellenberger Praxis. Der Allgemeinmediziner arbeitete seit dem Auftakt im Dezember im Weißenhorner Impfzentrum und im mobilen Impfteam mit, Anfang März machte er seine letzte Schicht im ehemaligen Feneberg-Supermarkt. Er wollte sich ganz auf seine Patienten in seiner Praxis konzentrieren. Hennrichs Praxis gehörte wie die Neu-Ulmer Praxis im A4 zu den bevorzugten in Bayern, die bereits am 31. März die ersten Dosen mit Vakzin verabreichten. Der Arzt hält es für gut und richtig, dass in den Praxen geimpft wird. Und er setzt weiter Hoffnungen in diese Strategie, allen Enttäuschungen zum Trotz.
Zum Beispiel, weil noch im April fünf Millionen Dosen des Impfstoffs von Johnson & Johnson an Praxen in Deutschland geliefert werden sollen. Hennrich hofft – und klagt über gebrochene Versprechungen. Versprechungen wie die Ankündigung, dass die Kampagne dank der in Praxen verabreichten Vakzine schneller vorankomme. 24 Dosen hat der Allgemeinarzt für die Woche nach Ostern für seine Bellenberger Praxis bestellt, 18 hat er bekommen. Für die Folgewoche orderte Hennrich wieder 24 Dosen, bekommen wird er sechs. "Das ist ein Hohn. Ich muss jeden Tag die Leute besänftigen", sagt er. Seine Warteliste umfasse 600 Patienten, berichtet Hennrich.
Kreis Neu-Ulm: Vertrauen in Hausärzte größer als in Impfzentren
Dabei sei das Potenzial groß: "Die Leute sehnen sich nach der Impfung", berichtet der Arzt. Vor allem Ältere hätten sich manchmal nicht in die Impfzentren getraut, aus Angst vor einer Ansteckung. Das Vertrauen in den Hausarzt sei größer. Und: "Ich kenne die Vorgeschichte." Er wisse, welche Medikamente welcher Patienten erhalte und worunter er leide oder gelitten habe. Hennrich macht auch bei Hausbesuchen Impfungen, noch ein Vorteil für ältere Impflinge.
An drei Tagen in der Woche investiert Horst Hennrich eine zusätzliche Stunde in die Impfungen, für seine Helferin kommen an diesen Tagen noch einmal zwei Stunden Organisationsaufwand dazu. Die Impfdosen geben in Hennrichs Praxis immerhin mehr her als sie sollen - mit einer Flasche AstraZeneca impft er elf statt wie vorgesehen zehn Personen, mit einer Flasche Biontech sieben statt sechs. Studien und Erfahrungswerte zeigten, dass das funktioniere. "Jeder, der geimpft ist, ist einer weniger, der ins Krankenhaus kommt", begründet Hennrich. Er ist mit dieser Meinung nicht allein. Der Pfuhler Hausarzt Dr. Christian Kröner, der genauso handelt, hat sogar eine Petition gegen die Verschwendung von Impfstoff gestartet. Der Neu-Ulmer Arzt Alexander Babiak dagegen orientiert sich an der offiziellen Empfehlung.
Praxis in Holzheim hat am Mittwoch mit Corona-Impfungen begonnen
In der Hausarztpraxis in Holzheim hat das Impfen am Mittwoch begonnen. "Der Start ist gut verlaufen", berichtet Ärztin Dr. Elisabeth Eisenmann. Der organisatorische Aufwand sei hingegen hoch. Zuerst würden die Ältesten geimpft. Da die Impftermine schon vor mehreren Wochen vergeben worden seien, hätten sich viele der Patienten in der Zwischenzeit in Impfzentren impfen lassen. Nun müssten die Termine an andere vergeben werden. Das Interesse der Patienten sei nach wie vor groß: "Wir haben immer genügend Patienten da", sagt die Holzheimer Ärztin. Doch das Telefonieren zur Terminvergabe und um überhaupt die richtigen Impflinge zu finden, verursache viel Arbeit.
Diese Woche hat die Praxis 18 Impfdosen bekommen. Bislang weiß Allgemeinmedizinerin Eisenmann noch nicht, wie viele Impfdosen sie in den kommenden Wochen erhalten wird. Sie hofft auf mehr, denn "mit 18 Impfdosen pro Woche zieht sich das zäh hin".
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