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Landkreis Neu-Ulm: Wo Kinder in der Region Neu-Ulm trauern können

Landkreis Neu-Ulm

Wo Kinder in der Region Neu-Ulm trauern können

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    Solche sogenannten Engelskarten spielen in den Kinder-Trauergruppen der Johanniter in Neu-Ulm eine wichtige Rolle. Bei solchen Treffen lernen Buben und Mädchen, wie sie mit dem Verlust eines Elternteils oder eines engen Verwandten umgehen können.
    Solche sogenannten Engelskarten spielen in den Kinder-Trauergruppen der Johanniter in Neu-Ulm eine wichtige Rolle. Bei solchen Treffen lernen Buben und Mädchen, wie sie mit dem Verlust eines Elternteils oder eines engen Verwandten umgehen können. Foto: Alexander Kaya

    Der neunjährige Bub heulte Rotz und Wasser, seine Gefühle hatten ihn total überwältigt. Er war zum ersten Mal hier in dieser Gruppe, und es dauerte eine Zeit, bis er sich wieder gefangen hatte.

    Die anderen Kinder um ihn herum ließen ihn schluchzen und weinen. Sie kannten solche Gefühle, denn sie teilten das Schicksal des Neuankömmlings: Sie alle hatten entweder Vater oder Mutter, einen Freund oder engen Verwandten verloren und nun waren sie hier, um zu lernen, wie sie mit ihrer Trauer umgehen, wie sie mit ihr leben können. Später, als die Tränen getrocknet waren, spielte und bastelte der Bub mit ihnen, am Ende der Gruppenstunde ging er zur Betreuerin und sagte: „Ich komme wieder, das hat voll Spaß gemacht.“ Und dabei meinte er sicher nicht das Weinen.

    Kinder zeigen Trauer anders als Erwachsene

    In den Augen von Angelika Bayer war das die typische Reaktion eines Kindes, nämlich erst Trauer zu zeigen und gleich danach zu spielen. Die Sozialpädagogin leitet die Trauergruppe für Kinder, welche die Johanniter vor genau einem Jahr in Neu-Ulm ins Leben gerufen haben. In dieser Zeit hat sich wieder mal gezeigt, dass Buben und Mädchen ganz anders mit ihrem Schmerz umgehen, als Erwachsene. Nach den Erfahrungen von Angelika Bayer befinden die sich eher in einem „Strom von Trauer“, der gleichmäßig dahinfließt und vielleicht einmal dünner wird und versiegt. „Bei Kindern ist das anders, sie sind sehr viel sprunghafter. Oft sind sie ganz normal, spielen und lachen – von jetzt auf gleich springen sie plötzlich in die Trauer.“

    Oft haben die Kleinen aber niemanden, mit dem sie über ihre Gefühle reden können, nicht einmal zu Hause, denn da wollen Eltern oft nicht, dass Tränen fließen, weiß Angelika Bayer. Oft können sie auch nicht so gut darüber reden, dass plötzlich der Mensch an ihrer Seite fehlt.

    Die Trauer darf man nicht verstecken

    Doch solches Schweigen kann sich später bitter rächen, so wie bei jener Frau, die heute 50 Jahre alt ist. Mit neun verlor sie ihre Mutter an den Krebs, drei Jahre später starb ihr Bruder an Leukämie – zwei schlimme Todesfälle innerhalb kurzer Zeit. „Doch kein Mensch hat mit dem Kind darüber gesprochen, das Mädchen hat es weggepackt“, erzählt Bayer. Doch als die Frau 40 war, starb ihr Vater und alles brach auf. Ihr ging es so schlecht, dass sie sich einer Therapie unterziehen musste.

    Die Johanniter-Trauergruppe soll verhindern, dass so etwas passiert, indem sie Buben und Mädchen schon früh die Möglichkeit gibt, über ihre Gefühle, über ihren Verlust zu reden, beim Malen oder Spielen. Und natürlich dürfen auch mal die Aggressionen raus, die sich in einem aufgestaut haben, wenn die Trauer in Zorn umschlägt.

    Deutschlandweit hat die Hilfsorganisation bereits an 25 Standorten solche Kinder-Trauergruppen ins Leben gerufen und das Angebot „Lacrima“ getauft, das lateinische Wort für Träne. Der Neu-Ulmer Ableger ist der einzige in der Region, der nächste soll in Augsburg installiert werden. Bereits seit 2007 betreiben die Johanniter die „Lacrima“ -Gruppen. Dort treffen sich Eltern und ihre trauernden Kinder alle 14 Tage. Während die Erwachsenen sich in einem eigenen Nebenraum austauschen, kommen die Buben und Mädchen in einem anderen zusammen.

    Viele Betreuer für trauernde Kinder

    Dass sie genügend Ansprache haben, dafür sorgt schon die Vorgabe, dass je zwei Kindern ein Betreuer zur Seite steht. Die versehen ihren Dienst ehrenamtlich, werden vorher geschult und eng betreut. Alexander Kaya, Fotoredakteur unserer Zeitung, ist einer von ihnen. Er hat sich vor einem Jahr als Betreuer zur Verfügung gestellt und ist seither regelmäßig bei den Treffen dabei. Vier Stunden muss er sich dafür Zeit nehmen: Die Hälfte ist der Gruppenarbeit gewidmet, die übrige Zeit dient der Vorbereitung und der Nachbesprechung. „Ich dachte am Anfang, das könnte schon happig werden, doch das wurde es nicht, sagt er. Für die Ehrenamtlichen seien die Treffen „nicht so belastend, dass man das mit nach Hause nimmt. Ich kann da abschalten.“ Das liege einerseits an der intensiven Vor- und Nachbereitung der Stunden, andererseits an den Kindern selber, „die das gut wegstecken. Andernfalls wäre das sicher belastend“. Es komme viel häufiger vor, dass die Eltern weinen, nicht aber ihre Kleinen: „Da fließen regelmäßig die Tränen, bei den Kindern nahezu gar nicht.“

    An Helfern mangelte es von Anfang an nicht, sodass die Johanniter in Neu-Ulm bereits eine zweite Kindergruppe eröffnet haben. Sie trifft sich wie die erste in den Räumen der Friedenskirche im Neu-Ulmer Wiley. Das Hilfsangebot, darauf legt Angelika Bayer Wert, ist komplett spendenfinanziert und somit für die Familien kostenfrei. Trauerarbeit darf schließlich keine Frage des Geldbeutels sein: „Daran sollte jeder teilnehmen können.“

    Kontakt Weitere Informationen über „Lacrima“ in Neu-Ulm gibt es bei Angelika Bayer, 0731/92150064.

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