Seitdem in Bayern der Katastrophenfall ausgerufen wurde, ticken die Uhren im Landratsamt anders. Der Besucherverkehr in der Kupferburg ist weitgehend eingeschränkt. Auf einen Pool an 80 Mitarbeitern greift das neue Machtzentrum der Region zurück: die Führungsgruppe Katastrophenschutz.
An der Spitze das Trio Landrat Thorsten Freudenberger sowie Wolfgang Höppler (Fachbereichsleiter Brand- und Katastrophenschutz) und Kreisbrandrat Bernhard Schmidt. Ein Machtzentrum, das kein Papiertiger ist: Der örtliche Einsatzleiter als verlängerter Arm der Katastrophenschutzbehörde hat ein Weisungsrecht gegenüber allen eingesetzten Kräften – also auch der Polizei.
Beschaffung in der Mangelwirtschaft
Für Höppler und seine Mitarbeiter ist die Katastrophe fast schon Routine. „Wir üben einmal im Monat.“ Jeder wisse, was er zu tun hat, jede Position ist festgelegt. Die Schichtpläne der Führungsgruppe Katastrophenschutz mit dem an die Bundeswehr erinnernden Kürzel FüGK hängen vor dem großen Besprechungsraum. Es gibt immer einen Leiter, Assistenten und Gruppen mit Bezeichnungen wie „Einsatz“, „BuMa“ oder „KomFü“. All das hat nur ein Ziel: die Krankenhäuser der Region auf eine möglicherweise sehr hohe Anzahl an Infizierten vorzubereiten. Viel dreht sich um das Thema Beschaffung in einer „Mangelwirtschaft“, wie es Freudenberger ausdrückt. Die Nachfrage an Schutzkleidung und Beatmungsgeräten übersteigt das Angebot. Die FüGK frage ständig den Bedarf in Kliniken und bei niedergelassenen Ärzten ab und versuche den „Bestellungen“ möglichst nachzukommen. Die Feuerwehren verteilen dann die begehrte Ware an über 100 Punkten im Kreis.
Erweiterte Führungsgruppe Katastrophenschutz
Der Tag der Katastrophenschützer ist fest strukturiert. Täglich um 11 Uhr trifft sich die „Erweiterte Führungsgruppe Katastrophenschutz“ in der Aula des Lessing-Gymnasiums. Die wichtigste Neuigkeit trägt an diesem Montag Martin Küfer, der Leiter des öffentlichen Gesundheitsdiensts, vor: 132 bestätige Infektionen gebe es derzeit im Landkreis Neu-Ulm. Das seien 15 mehr als einen Tag zuvor. 50 Kontaktpersonen würden derzeit „verfolgt“, wie Küfer sagt, um die Infektionskette zu durchschlagen.
Marc Engelhard, der Stiftungsdirektor der Kreisspitalstiftung aus Weißenhorn, zählt derzeit 26 mögliche Corona-Fälle, vier davon müssten intensivmedizinisch betreut werden. In den Kliniken werden aktuell elf Patienten, bei denen die Coronavirus-Erkrankung bestätigt ist, betreut. Bei den anderen 15 Patienten handelt es sich momentan „nur“ um Verdachtsfälle.
Nachdem die neuen Infektionszahlen verkündet wurden, muss die Presse den Raum verlassen, die Sitzungen des Gremiums, dem neben Vertretern des Landratsamtes auch Repräsentanten der Blaulichtorganisationen, der Kommunen, der Kliniken und des Staatlichen Schulamts angehören, ist qua Gesetz nicht öffentlich. „Was mich motiviert: Es wird ruhig, hochprofessionell, kooperativ und sehr kollegial gearbeitet“, sagt Freudenberger. Noch bleibe hoffentlich Zeit, Zustände, wie sie im Elsass oder Italien herrschen, abzuwenden. „Doch wir werden eine sehr hohe Belastung des Systems erfahren.“ Wie hoch, das wisse allerdings niemand. Vorbereitung heißt der Auftrag mit vielen Facetten: Ein in Günzburg sitzender „Ärztlicher Leiter Führungsgruppe Katastrophenschutz“ soll etwa die Patientenströme in der Region steuern.
Darf ich noch in meinen Schrebergarten in Corona-Zeiten?
Dass die Ängste in der Bevölkerung groß sind, wissen Franziska Engelhart und Clara Götz aus beruflichen Gründen: . Mit anderen Kollegen aus dem Landratsamt besetzen die zwei fünf Leitungen im Zwei-Schicht-Betrieb des „Bürgertelefons“ rund um Fragen zum Coronavirus. 110 Anrufe pro Tag und Leitung seien keine Seltenheit. Doch langsam würde es etwas weniger. Bei strittigen Fragen stimmen sich die zu Telefonisten umfunktionierten Landratsamtmitarbeiter mit der Polizei ab. So konnte etwa die Auskunft erteilt werden, dass es keinen Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkungen darstellt, wenn man mit Personen des eigenen Haushalts in den eigenen Schrebergarten fährt. Wohingegen man sich strafbar macht, wenn vier Bekannte einem beim Umzug helfen. „Fast alle Anrufer sind freundlich“, sagt Franziska Engelhart, die eigentlich im Finanzmanagement am Landratsamt eingesetzt ist. Es gebe nur so „zwei bis drei Ausfälle“ pro Tag. Und immer auch etwas skurrile Vorschläge, die mit Vehemenz vorgebracht werden. Der Jüngste: ein Verbot für U-25-Jährige, Aufzüge zu nutzen.
Auch interessant:
Der Ausnahmezustand schlägt bei der Sparkasse durch
Bundeswehrkrankenhaus rüstet sich für Corona-Patienten