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Landkreis Neu-Ulm: Heavy Metal im Illertal: Die neue Lust auf alte Helden

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Heavy Metal im Illertal: Die neue Lust auf alte Helden

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    Bei Heavy Metal musste es wild und gefährlich zugehen, wie die Albumcover von Gravestone und Stranger zeigen. Heute sehen die Herren von Gravestone trotz der Lederjacken deutlich gesetzter aus.
    Bei Heavy Metal musste es wild und gefährlich zugehen, wie die Albumcover von Gravestone und Stranger zeigen. Heute sehen die Herren von Gravestone trotz der Lederjacken deutlich gesetzter aus. Foto: Ronald Hinzpeter

    Sicherlich, da wäre noch ein wenig mehr drin gewesen: Als Heavy-Metal-Band hatte sich Gravestone aus dem Illertal Mitte der 80er Jahre einen guten Namen erspielt. Sie trat in Frankreich auf, in Belgien, in Deutschland sowieso. Die Alben verkauften sich recht gut, obwohl sich die Plattenfirma aus Kirchheim/Teck in Sachen Unterstützung nicht unbedingt ein Bein ausriss. Doch irgendwann kam nicht mehr viel, die Metal-Welle verplätscherte, weil sich nun alle für den Flanellhemden-Rock Grunge interessierten. Gravestone, die sich zuletzt in 48 Crash umbenannt hatten, lösten sich auf und die Musiker verdienten ihr Geld schließlich in bürgerlichen Berufen. Bassist Thomas Sabisch ist darüber nicht wirklich gram: „Die vergangenen 30 Jahre von der Musik zu leben, das wäre kein Spaß geworden. Es blieb für einen Studenten ein lukrativer Nebenjob, aber für eine wirtschaftliche Existenz hätten wir größere Stückzahlen verkaufen müssen.“ Der einzige aus der Ur-Besetzung, der es ein wenig länger mit der Profi-Karriere versucht hat, ist Gitarrist Mathias Dieth, der noch ein paar Jahre in der Band des einstigen Accept-Sängers Udo Dirkschneider um die Welt zog, um doch noch Jura zu studieren und Rechtsanwalt in Köln zu werden. Jetzt haben sich Gravestone wiedervereinigt – und können sich plötzlich vor Anfragen kaum mehr retten. Auch bei anderen 80er-Jahre-Bands läuft es wieder. Alte Helden sind gefragt.

    Gewaltige Nachfrage der Fans nach Gravestone

    Als im Frühjahr bekannt wurde, dass sich Gravestone für einen Gastauftritt beim Schreyner-Konzert in Illerzell wiedervereinigen würden, gingen die 1200 Karten weg wie warme Semmeln. Wenig später das gleiche Bild: Am 5. Oktober spielt die Band im Riffelhof in Burgrieden. Die 450 Tickets waren innerhalb von fünf Tagen ausverkauft. Und dennoch gingen bei Thomas Sabisch danach immer wieder Anfragen ein, auch von Fans, die für ein Wiedersehen viele hundert Kilometer fahren müssen, weil sie in Österreich, Tschechien, Spanien oder Frankreich leben. Theoretisch könnten sie bis zum April 2020 warten, denn da sind Gravestone als einzige deutsche Band für das Metal-Festival „Keep It True“ im fränkischen Luda-Königshofen gebucht. Allein: Das ist bereits ausverkauft, Tickets gibt es nur noch auf dem Schwarzmarkt. Der Veranstalter hatte sich schon seit Jahren um Gravestone bemüht, auch andere Festivals haben bereits angefragt. Jetzt suchen die harten Fünf erst mal nach einem Ort im Illertal, wo sie nächstes Jahr ein Heimspiel für 1000 bis 1500 Fans aufziehen können. „Die Resonanz hat uns wahnsinnig überrascht“, gesteht Thomas Sabisch, „in Illerzell waren die Leute von Anfang an voll dabei und kannten auch die Texte.“

    Gravestone und Stranger spielen zusammen

    Offenbar wollen viele noch mal die Bands sehen, mit denen sie groß geworden sind. Gerade im Bereich Hardrock und Schwermetall scheint alte Liebe nicht zu rosten. Das bisher nachhaltigste Revival haben bekanntlich die Taucher hingelegt, die es vor drei Jahren noch mal wissen wollten. Aus Spaß wurde Ernst: Das neue Album gibt es seit vier Wochen zu kaufen. Voll im Retro-Trend liegt ein gerade erschienenes Buch des mexikanischen Autors José Luis Cano Barrón mit dem Titel „Cry Out For Metal!“. Nicht von ungefähr hat er sich dabei eines Albumtitels der einstigen Ulmer Band Vampyr bedient: Es widmet sich ausschließlich den hart rockenden Bands, die ihre Platten auf dem Gama-Label in Kirchheim/Teck veröffentlichten. Zu dessen Zugpferden gehörten eben Gravestone und Tyrant aus Ulm. Die Tyrannen planen derzeit keine Wiedervereinigung – zumindest weiß ihr damaliger Trommler Micky Budde nichts davon. Doch auch er bekommt immer noch Anfragen nach Bildern oder Informationen, besonders hartnäckig aus Russland. Bei einer anderen Gama-Band wurden die Verstärker wieder eingeschaltet: bei Stranger aus Senden. Sie wollen in Burgrieden für Gravestone den Anheizer spielen. Hier wieder alle zusammenzubringen, war nicht ganz einfach, denn ausgerechnet das Herz der Gruppe, Gitarrist und „Chef“ Rikki Rieger kann aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein. Dennoch fand sich eine fast originale Besetzung zusammen. Ohnehin wechselten bei Stranger die Musiker recht häufig, wie sich Gründungsbassist Stefan Hirschbeck erinnert. Deshalb klappe es womöglich auch nicht so recht mit der Karriere, denn einen konsequenten Stil verfolgten Stranger nie. Ihr erstes Album „The Bell“ klang noch hart, schnell und rau, das zweite „Pretty Angels“ gab sich im Geiste von Bon Jovi und Europe radiotauglich und das dritte, noch deutlich kommerzieller gefärbte, wurde nie veröffentlicht. Dennoch hat die Band einige Songs in ordentlicher Menge verkauft: Sie waren von der Plattenfirma zusammen mit Liedern anderer Bands auf eine Doppel-CD gepackt und billig über Tankstellen verramscht worden. „Die wurden im sechsstelligen Bereich verkauft“, erzählt Hirschbeck, „aber eine Gema-Abrechnung habe ich nie bekommen.“ Vor allem wegen „The Bell“ hat die Band noch etliche Fans, die sich auf YouTube entsprechend euphorisch äußern. Kaum war die Wiedervereinigung bekannt geworden, verpflichtete sie der Veranstalter des Metal-Assault-Festivals im Raum Würzburg.

    Auch in Amerika hatten Gravestone Fans

    Und natürlich tauchen auch Stranger im Buch des Mexikaners auf, mit etlichen Details aus der Bandgeschichte, an die sich selbst Hirschbeck nicht erinnert. Er kann der Veröffentlichung ohnehin wenig abgewinnen: „Warum jemand über die ganzen Gama-Bands ein Buch macht, erschließt sich mir nicht.“ In einem Interview hat Autor Barrón erklärt, die deutschen Heavy-Gruppen seien in den 80er und 90er Jahren in hohem Ansehen in Nord- und Mittelamerika gestanden.

    Dass jenseits des Großen Teichs damals sicherlich was gegangen wäre, weiß auch Gravestone-Bassist Thomas Sabisch. So erzählt er von einem amerikanischen Fan, der die Frage aufwarf, warum die Band denn nicht in die USA gekommen sei. „Es lief halt, wie es lief“ , sagt er schulterzuckend in der Rückschau. Er freut sich jetzt vor allem, dass die Musiker nach all den Jahren wieder als Freunde zusammengekommen sind – und es fühlt sich ein bisschen an wie früher. „Im Proberaum sind es immer noch die alten Jungs.“ Einmal die Woche wird geprobt, meist ohne Mathias Dieth, der dennoch immer mal wieder von Köln ins Illertal fährt. Sie arbeiten intensiv an den alten Stücken, die sie so lange nicht mehr gespielt haben, aber ohne Druck. Und wie lange soll das so weitergehen? Sabisch sieht die Sache entspannt und formuliert es so: „Lass uns das genießen, so lange es anhält. Das muss man jetzt einfach mitnehmen.“

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