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Landkreis Neu-Ulm: Das Horrorleben einer Frau aus dem Landkreis Neu-Ulm

Landkreis Neu-Ulm

Das Horrorleben einer Frau aus dem Landkreis Neu-Ulm

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    Ihr einziger Hoffnungsschimmer ist die Justiz, glaubt eine Frau aus dem Landkreis. Sie will weiterhin wegen Erwerbsunfähigkeit Rente beziehen, doch eine Gutachterin hält sie für eine Simulantin. Ein Gericht muss entscheiden.
    Ihr einziger Hoffnungsschimmer ist die Justiz, glaubt eine Frau aus dem Landkreis. Sie will weiterhin wegen Erwerbsunfähigkeit Rente beziehen, doch eine Gutachterin hält sie für eine Simulantin. Ein Gericht muss entscheiden. Foto: Frank Rumpenhors/dpa

    Frau R. sitzt im Garten eines Restaurants rund zehn Kilometer von Neu-Ulm entfernt und erzählt. Nicht von einer schönen Kindheit, einem großartigen Leben mit interessanten Reisen oder von halbwegs gutem Wohlstand. Sondern von Missbrauch, Vergewaltigung, Drogenabhängigkeit, Krankheiten und viel Üblem mehr. Obwohl es kein so heißer Sommertag ist, ist sie schweißgebadet. Es geht ihr nicht gut. Sie hat ein Horrorleben gelebt und kämpft nun um ihr Einkommen.

    Frau R. aus dem nördlichen Landkreis ist verzweifelt, wie sie sagt. Sie könne nicht arbeiten, habe kein Einkommen, nur ein geringes Taschengeld von ihrem Mann. Früher habe sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommen, seit Ende Juli 2018 aber nicht mehr, weil eine Gutachterin aus Ulm sie nach einem Test als Simulantin bezeichnet habe, die sehr wohl arbeiten und Geld verdienen könne.

    „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll“, sagt Frau R. „Ich habe Ende Februar 2019 beim Sozialgericht in Augsburg Klage eingereicht, weil die Rentenversicherung nichts mehr zahlen will, obwohl andere Gutachter mich als arbeitsunfähig eingestuft haben. Bis heute ist nichts passiert. Ich bin nur im vergangenen Herbst vom Sozialverband VdK aufgefordert worden, meine Klage zurückzuziehen. Das mache ich nicht“, beteuert die 62-Jährige. „Ich bin im Recht und möchte Recht bekommen.“

    Vergewaltigung und Drogen: Neu-Ulmerin über ein furchtbares Leben

    Wenn alles so stimmt, wie es die abgekämpft und etwas fahrig wirkende Frau erzählt – das beschwört sie hoch und heilig –, dann hat sie ein furchtbares Leben hinter sich, das sich nicht zu bessern scheint. Sie berichtet von frühkindlichem Missbrauch und Vergewaltigungen, die sie erlebte. Sie sagt, sie habe deshalb mit zwölf Jahren angefangen zu trinken und mit 13 zu kiffen. Sie nahm LSD, dann Kokain, schließlich Heroin und Opium. „Als ich schwanger war, habe ich aber keine Drogen genommen.“ So sei der Junge, den sie gebar, ein gesunder Mensch geworden. Der Vater des Kindes, mit dem sie nicht verheiratet war, habe sie aber öfter misshandelt. Ein zweiter Sohn sei am Tag der errechneten Geburt in ihrem Mutterleib gestorben.

    Drogen brachten die Frau aus dem Kreis Neu-Ulm ins Gefängnis

    „1975 bin ich nach Holland gefahren, um ein weiteres Kind illegal abtreiben zu lassen“, gesteht Frau R. „Ich habe alles 20 Minuten lang live miterlebt. Ein paar Tage später bin ich in Deutschland notoperiert worden, weil bei der Abtreibung etwas falschgelaufen ist.“ Der 62-Jährigen stehen zum wiederholten Mal Tränen in den Augen. „Ja“, sagt sie, „ich bin als 17-Jährige mehrfach vergewaltigt worden, dann habe ich auch Mist gebaut.“

    Sie habe sich als Drogenkurierin verdingt, sei aber nie erwischt worden. Irgendjemand habe sie aber verpetzt und dann stand die Polizei vor der Tür: „Ich war überführt, kam erst in Kirchheim an der Teck in eine Zelle und dann in Stuttgart-Stammheim in den Knast.“ Acht Monate später wurde Frau R. der Prozess gemacht und sie wurde zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. „Ich habe für meine Vergehen gebüßt“, sagt sie. „Meine Eltern haben mir damals mächtig geholfen, sonst gäbe es mich heute nicht mehr.“

    Sie hat nach ihren Worten mehrere Selbstmordversuche hinter sich, musste den Tod der Großeltern verkraften und damit fertig werden, dass ihr Bruder mit 23 Jahren erschossen wurde, ihr Vater starb und 2017 auch die Mutter, die sie bis zu deren Tod gepflegt hatte. 1989 hatte sie noch einen gesunden Sohn zur Welt gebracht, sodass sie jetzt zwei lebende Nachkommen hat, die aber beide den Kontakt mit ihr verweigern. 1998 hat sie ihren heutigen Ehemann kennengelernt.

    Die Frau ist mit vielen Krankheiten geschlagen

    2001 schloss Frau R. eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin ab, wurde aber immer kranker, war mehrfach in therapeutischer Behandlung. Sie zählt eine lange Liste auf: depressive Störungen, posttraumatische Belastungsstörung, Borderline, Alkoholabhängigkeit, Hypertonie, Hepatitis C, leichte Polyneuropathie, sodass sie kaum noch eine halbe Stunde stehen oder laufen könne, Diabetes Typ 2 und drei Bandscheibenvorfälle.

    Sie berichtet von Albträumen, zudem leide sie auch schon unter Tinnitus. „Ich habe alles gemacht, was von mir verlangt wurde, war unter anderem mehrfach zu Tests im Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren und habe eine unabhängige Psychiaterin mit einem Gutachten beauftragt, das mich viel Geld gekostet hat.“ Diese und ein weiterer Gutachter hätten sie als arbeitsunfähig erklärt. „Ich soll aber am Tag sechs oder mehr Stunden arbeiten, weil mich die Ulmer Gutachterin als Simulantin einstuft. Die schrieb etwas über eine Tochter, die ich haben soll. Aber ich habe keine Tochter, nur Söhne.“

    Sie will anderen Menschen Mut machen

    Auf Nachfrage unserer Redaktion berief sich diese Gutachterin ebenso wie die zuständige Frau der Rentenversicherung auf ihre Schweigepflicht und den Datenschutz. Die Gutachterin sagte nur: „Wer unzufrieden ist, kann sich an die Beschwerdestelle wenden.“ Die Frau von der Rentenversicherung meinte: „Es gibt die Möglichkeit eines Widerspruchsverfahrens und des Klageweges.“

    Widersprochen hat Frau R., den Klageweg geht sie seit geraumer Zeit, aber nach ihren Worten bisher absolut erfolglos. „Ich will mein Recht und endlich ein bisschen friedlich leben“, sagt sie. Und sie denkt dabei nicht nur an sich, sondern wünscht sich auch, dass sie mit ihrem Bekenntnis gegenüber unserer Redaktion „Menschen erreicht“, die nun den Mut haben „nicht aufzugeben“.

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