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Kreis Neu-Ulm: Versuchungen überall: Kreuzbund-Gruppe hilft trockenen Alkoholikern

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Versuchungen überall: Kreuzbund-Gruppe hilft trockenen Alkoholikern

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    Auch die Konventionen bereiten Probleme, gibt es doch keine Feier, die nicht mit Sekt und Wein begossen wird.
    Auch die Konventionen bereiten Probleme, gibt es doch keine Feier, die nicht mit Sekt und Wein begossen wird. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Sieben Männer sitzen an diesem Donnerstagabend in einem Gruppenraum im Sendener Haus der Begegnung. An der Wand hängt das hölzerne Symbol des Kreuzbunds: eine Menschengruppe vor einem Kreuz. Im Kreis sitzend, eine brennende Kerze in ihrer Mitte, berichten die Männer in knappen Sätzen von ihren Erlebnissen in der vergangenen Woche. „Ich hatte kein Problem mit Alkohol“ ist ein Satz, der dabei immer wieder fällt. Er ist eine Art Entwarnung – in den letzten Tagen war alles okay. Die Männer sind allesamt Alkoholiker, haben sich über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte hinweg, vom Alkohol bestimmen lassen.

    Jede Woche sind die Betroffenen hier, tauschen sich in der Sendener Selbsthilfegruppe des Kreuzbunds über ihre Situation aus, besprechen bei Bedarf aktuelle Probleme. „Jeder erzählt, was bei ihm so los war“, berichtet Gruppenleiter Heinz Siegner. Ein Dutzend Männer und Frauen kommen hier meist zusammen. Das können Süchtige sein, aber auch deren Angehörige. Junge, Alte, Frauen oder Männer, für sie alle ist die Sucht-Selbsthilfe des Kreuzbunds offen.

    Gemeinsam wollen Betroffene dort Wege finden, ihr von der Sucht geprägtes Leben zu meistern, ob es dabei um Drogen, Schnaps, Glücksspiel oder Schmerztabletten geht.

    Heinz Siegner ist Gruppenleiter der Kreuzbund-Selbsthilfegruppe.
    Heinz Siegner ist Gruppenleiter der Kreuzbund-Selbsthilfegruppe. Foto: ahoi

    Kreuzbund-Gruppe in Senden ersetzt keine Behandlung bei Profis

    Siegner, mittlerweile Rentner, hat vor allem wegen beruflichen Stress angefangen, zu viel zu trinken. Vier bis fünf Bier pro Tag seien das gewesen, ohne ging es nicht, berichtet der Mechanikermeister. „Ich habe mehrfach versucht, aufzuhören, aber habe es nie ganz geschafft“, erzählt er. Erst eine ambulante Therapie, die er bei der Diakonie Illertissen besuchte, brachte die Wende, „da hab ich es dann begriffen“. Mittlerweile ist er seit 14 Jahren selbst Gruppenleiter und ein überzeugter Verfechter der Selbsthilfe. Die könne keine Behandlung durch Profis ersetzen, sei aber eine wertvolle Stütze.

    „Man wird mit dieser Krankheit alleine nicht fertig“, bestätigt Leidensgenosse Fritz, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will. „Alkohol ist die Volksdroge Nummer eins und trotzdem ist Alkoholismus noch immer ein großes Tabu“, meint der Sendener. Ein Quartalssäufer sei er gewesen, erzählt der 75-Jährige, also einer, der nicht täglich seinen Alkoholpegel erreichen muss, sondern längere Pausen macht, um sich dann mitunter exzessiv zu besaufen. „Ich habe wochenlang gar nichts getrunken“, erzählt Fritz über diese Zeit. Auch deswegen hatte er sein Alkoholproblem zunächst verdrängt: „Ich habe es lange verharmlost“. Erst im Alter von 66 Jahren bewegte sich etwas, dank einer stationären Therapie, die mehrere Monate dauerte. „Am Anfang macht der Alkohol dich stark, dann macht er dich kaputt“, sagt Fritz heute. Die anderen nicken.

    Den Anlass zum Umdenken gebe oft die Außenwelt, berichten die Männer. Probleme in Ehe und Familie, Jobverlust oder Führerscheinentzug wegen Trunkenheit türmen sich irgendwann zu einem unübersehbaren Berg auf. Dann müsse man erkennen, dass es so nicht weitergeht, sagt Siegner, „und man muss sein Leben ändern“.

    Viele kommen in Senden wegen ihrer Probleme mit Alkohol zur Kreuzbund-Gruppe

    Dabei helfen die Gruppentreffen entscheidend mit, sind sich die Teilnehmer einig. „Hier haben alle dieselben Probleme. Wo sonst kann man alles so offen ansprechen?“, sagt Alkoholiker Karl, der extra aus Heidenheim zum Treffen kommt. Dieser Austausch ist ihm wichtig, während der Pause in den Sommerferien habe ihm die Gruppe gefehlt, berichtet er. Für alle Gespräche in der Runde gilt: „Nichts verlässt diesen Raum“, berichtet ein Sendener, der nach langer Abstinenz erst im vergangenen Jahr einen Rückfall verbuchen musste: Als seine 22-jährige Partnerschaft auseinanderging, griff er wieder zur Flasche.

    Die Herausforderungen im Alltag sind für die Gruppenmitglieder groß. Mit Problemen und Schicksalsschlägen ohne Bier und Schnaps klarzukommen, mussten sie erst lernen. Und auch, über ihre Sorgen zu sprechen, anstatt sie im Alkoholrausch vergessen zu wollen. Dann wären da noch die Konventionen, mit denen sie umgehen müssen: Gibt es doch keine Feier, die nicht mit Sekt und Wein begossen wird. Da heiße es Nein sagen lernen, berichtet einer aus der Runde, „ich sage immer sofort: ich trinke keinen Alkohol“.

    Konsequent sein müssen sie, denn schon wenige Tropfen können genügen, um die Sucht wieder wachzurufen. Dass man seine Freizeit auch alkoholfrei verbringen kann, übt die Gruppe ebenfalls: Etwa bei regelmäßigen Wanderungen und Ausflügen, zu denen auch das Einkehren im Wirtshaus gehört.

    Die Kreuzbund-Gruppe hilft Alkoholikern auch im akuten Notfall

    Im akuten Notfall, also wenn einer von ihnen kurz vor einem Rückfall steht, kann die Gruppe ebenfalls helfen: Zu diesem Zweck haben sie alle ihre Telefonnummern ausgetauscht. Im Notfall ruft man ein anderes Mitglied an, redet, holt sich Rat. „Suchtdruck“ nennen sie das Verlangen nach dem Alkohol, das sie in leichter oder schwerer Form überkommen kann. Wenn Bedarf an professioneller Beratung besteht, erklärt Siegner, vermitteln sie Ratsuchende an die Diakonie.

    Für Neuzugänge ist die Sendener Gruppe immer offen, betont Siegner: „Man kann ganz unverbindlich als Gast kommen und es sich anschauen.“ Egal, ob die Sucht noch aktuell ist oder schon überwunden scheint.

    Kontakt Die Alkohol- und Medikamenten-Selbsthilfegruppe Senden ist eine von mehreren Kreuzbund-Gruppen im Landkreis Neu-Ulm. Sie trifft sich jeden Donnerstag von 19.30 bis 21 Uhr im Haus der Begegnung neben der Kirche St. Josef, Zeisestraße 22. Infotelefon: 0172/9509933. Das Selbsthilfebüro Korn ist unter Telefon 0731/88034410 und E-Mail kontakt@selbsthilfebuero-korn.de erreichbar und kann den Kontakt zu weiteren Gruppen vermitteln.

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