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Illerkirchberg/Ulm: Mutter spricht nach Vergewaltigungs-Prozess: "Sie hat immer noch Panikattacken"

Illerkirchberg/Ulm

Mutter spricht nach Vergewaltigungs-Prozess: "Sie hat immer noch Panikattacken"

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    Einer der fünf Angeklagten verdeckt sein Gesicht. Fünf junge Männer haben eine 14-Jährige an Halloween betäubt und vergewaltigt.  Das Urteil ist rechtskräftig.
    Einer der fünf Angeklagten verdeckt sein Gesicht. Fünf junge Männer haben eine 14-Jährige an Halloween betäubt und vergewaltigt. Das Urteil ist rechtskräftig. Foto: Alexander Kaya

    Sehr belastende Monate liegen hinter einer Jugendlichen, die an Halloween 2019 in einer Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg unter Drogen gesetzt und mehrere Male vergewaltigt worden war. 14 Jahre war sie da jung. Am Montag vergangener Woche wurden die vier Täter verurteilt, zu Haftstrafen von zwei Jahren und zwei, beziehungsweise drei Monaten. Der Zeitpunkt der Urteilsverkündung kam für alle überraschend. Mit dem Abschluss und dem Strafmaß können die Jugendliche und ihre Familie leben. Doch von der Urteilsbegründung ist die Familie enttäuscht. Warum, das berichtet die Mutter in einem Interview.

    Mutter der vergewaltigten 14-Jährigen: "Gerechtigkeit kann es nicht geben"

    Er sei "tief enttäuscht“, sagte auch Anwalt Wolfram Schädler – nicht über das Strafmaß, sondern über die mündliche Begründung des Richters. Dieser habe sich lediglich positiv über die Geständnisse der Täter geäußert, jedoch keinerlei "tröstende Worte“ für das Opfer gefunden. Durch seine Wortwahl habe er die Jugendliche in ein falsches Licht gerückt.

    Am Montag war Urteilsbegründung, das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Ihrer Tochter schweres Unrecht angetan wurde. Wie geht es Ihnen? Sind Sie zufrieden mit der verhängten Strafe?

    Mutter: Ich muss zufrieden sein. Es ist schon ein Erfolg, dass die Täter überhaupt verurteilt wurden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Sehr viele Sexualstraftaten werden gar nicht erst angezeigt und meist reichen die Beweise nicht für eine Verurteilung. Wir haben alles dafür getan, zur Wahrheitsfindung beizutragen und alles lückenlos transparent gemacht. Von daher ist das Urteil ein Erfolg. Aber auch wenn die Angeklagten zehn Jahre bekommen hätten: Gerechtigkeit kann es gar nicht geben für das, was passiert ist. Was passiert ist, wird immer ein Teil unseres Lebens bleiben.

    Das Verfahren um eine  Vergewaltigung einer 14-jährigen in der Halloweennacht 2019 in Illerkirchberg war zuletzt wegen Erkrankung unterbrochen. Am Montag, 15. März, wurde das Urteil verkündet.
    Das Verfahren um eine Vergewaltigung einer 14-jährigen in der Halloweennacht 2019 in Illerkirchberg war zuletzt wegen Erkrankung unterbrochen. Am Montag, 15. März, wurde das Urteil verkündet. Foto: Oliver Helmstädter

    Ihre Tochter hat am meisten gelitten, wie hat die Tat Ihre Familie als Ganzes belastet?

    Mutter: Das belastet einen sehr. Bei meiner Tochter wurde von mehreren Seiten das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert, sie hat immer wieder Alpträume und bekommt bei bestimmten Auslösern auch tagsüber noch Panikattacken. Dies war vor der Tat nicht der Fall. Sie ist in guter therapeutischer Behandlung. Auch das Strafverfahren war sehr belastend. Man hat versucht, ihr das Aussagen leichter zu machen, die Rahmenbedingungen sind aber dennoch unvorstellbar belastend. Im Grunde leidet die ganze Familie. Manche aus dem Umfeld haben sich auch zurückgezogen, weil sie damit nicht umgehen können. Aber man hat auch gemerkt, wer für einen da ist. Wir haben zum Glück tolle Freunde. Die Tat bestimmt aber noch immer unseren Alltag. Ich rede mehr darüber, mein Mann schluckt es eher runter. Aber: Der Zuspruch, den wir bekommen haben, auch von Menschen, die uns nicht kennen, ist enorm. Das tut gut.

    Sie werden psychologisch begleitet, wie wichtig ist das?

    Mutter: Extrem. Ich bin optimistisch, dass meine Tochter gestärkt aus dem Ganzen hervorgehen wird. In manchen Punkten kann die Aufarbeitung jetzt erst anfangen, wo der Druck des Strafprozesses weg ist. Ohne die auf diesem Gebiet sehr erfahrene Psychotherapeutin meiner Tochter weiß ich aber nicht, was mit uns passiert wäre. Sie war und ist uns eine zentrale und segensreiche Anlaufstelle und Stütze.

    Wie haben Sie ganz allgemein die Verhandlungsführung des Gerichts empfunden?

    Mutter: Eigentlich haben wir uns gut aufgehoben gefühlt. Aber ein Strafverfahren ist kein Wunschkonzert für Opfer und vorrangig auf die Verurteilung der Täter ausgerichtet. Hier besteht unserer Ansicht nach noch an einigen Stellen Verbesserungsbedarf für Opfer.

    Im Prozess um die Vergewaltigung an Halloween 2019 in Illerkirch hält sich ein Angeklagter eine Zeitschrift vor das Gesicht.
    Im Prozess um die Vergewaltigung an Halloween 2019 in Illerkirch hält sich ein Angeklagter eine Zeitschrift vor das Gesicht. Foto: Kaya

    Am Ende stellte das Gericht fest: Es haben Verbrechen stattgefunden, die Täter werden zur Rechenschaft gezogen. Auf die mündliche Begründung des Urteils aber haben Sie mit Unverständnis reagiert. Wenn ich Sie richtig verstehe ärgert es Sie, dass der Richter Worte wählte, die man so verstehen könnte, als würde ihre Tochter eine Mitschuld tragen. Können Sie das genauer erklären?

    Mutter: Die Urteilsverkündung am Montag kam für uns vom Zeitpunkt her völlig unvorbereitet. Wir haben erst 45 Minuten zuvor davon erfahren, wir haben es gerade noch geschafft. Bei der Urteilsbegründung selbst habe ich die Worte gar nicht richtig registriert. Erst als ich die Berichterstattung gelesen habe, habe ich die Worte realisiert. Sie haben uns wie ein Schlag getroffen. Es war wie der letzte Messerstich ins Herz. Was ich nicht verstanden habe: Der Richter ist auf die psychische Vorerkrankung meiner Tochter eingegangen, welche nach mehreren Todesfällen in unserer Familie entstanden ist. Zudem hat er auf das alkoholisierte Verhalten meiner Tochter vor der Tat Bezug genommen. Das hat mit den Taten, die in dem Haus später stattgefunden haben, in unseren Augen aber nichts zu tun und wurde von einigen Zeitungen aus dem Kontext heraus bisweilen unglücklich dargestellt. Hier von einem grundsätzlich „sexualisierten Verhalten“ meiner Tochter und Ähnlichem zu sprechen, empfinden wir als völlig überzogen. Derartige Auffälligkeiten wurden meiner Tochter im Gegensatz zu den Angeklagten in keinem der Gutachten attestiert. Es gibt nichts, was es rechtfertigen würde, was ihr angetan wurde. Sie wurde zu Dingen gezwungen, die sie nicht wollte. Und das Urteil zeigt ja, dass das Gericht ihr das auch glaubt. Die Angeklagten haben gestanden. Es gibt Restzweifel, ja. Aber wie soll man sich erinnern, wenn man unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand? Unter dem Einfluss der posttraumatischen Belastungsstörung sind Erinnerungslücken eher die Regel als die Ausnahme. Deshalb ist es schade, dass in der Begründung etwas angedeutet wurde, was nicht stimmt. Vor dem Hintergrund einer weiteren psychischen Erkrankung durch die Tat von Dichtung und Wahrheit zu sprechen, empfinden wir als absolut unpassend und daher ist es uns ein Anliegen, dies geradezurücken.

    Auch der Anwalt Ihrer Tochter zeigte sich "tief enttäuscht“...

    Mutter: Meine Tochter war extrem mutig und stark während der letzten Monate. Darauf ist der Richter in keinster Weise eingegangen. Sie war stets darum bemüht, die Wahrheit zu sagen und leidet selbst darunter, bei einigen Situationen keine genaue Erinnerung zu haben. Insgesamt ist sie jedoch als glaubhaft eingeschätzt worden. Sie hat nichts von alldem gewollt. Das haben sowohl das Glaubhaftigkeitsgutachten zu Beginn, als auch am Ende des monatelangen Prozesses bestätigt.

    Vergewaltigung an Halloween in Illerkirchberg: "Sie wünscht, dass man ihr glaubt"

    Wie geht es Ihrer Tochter nach dem Urteil und der Begründung?

    Mutter: Meiner Tochter geht es nicht um Bestrafung. Sie wünscht, dass man ihr glaubt und die Täter auf den rechten Weg zurückfinden. Auch bei der Urteilsbegründung hat sie keinen Hass oder etwas Ähnliches gespürt. Obwohl sie die Täter das erste Mal nach anderthalb Jahren wiedergesehen hat. Sie wollte ihnen in die Augen schauen. Das war ihr sehr wichtig. Sie hätte gerne ihre Familie und Freunde zur Unterstützung dabei gehabt. Das war aber zu kurzfristig. Am Ende war sie stolz, dass sie es geschafft hat. Während die Täter versucht haben, sie nicht ansehen zu müssen.

    Haben Sie nach dem Urteil mit dem Richter gesprochen?

    Mutter: Nein, aber ich habe ihm einen Brief geschrieben, um ihm unsere Situation nochmal aufzuzeigen. Im Idealfall profitieren andere Opferzeugen davon.

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