Es ist sowieso schon viel Zeit vergangen, länger warten wollen die Verantwortlichen nicht. Auf die Erfolge der vergangenen Monate sind sie stolz: Der Ausbau der Illertalbahn von Ulm nach Kempten scheint endlich greifbar und die Regio-S-Bahn Donau-Iller steht kurz vor einem wichtigen Schritt. Den könnte das Projekt sogar einfacher schaffen als gedacht. Doch dazu müssten die Verantwortlichen warten. Das aber will keiner, denn der Zeitplan ist ehrgeizig.
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In zehn Jahren soll die Regio-S-Bahn ihren Betrieb starten – dass ab Dezember erste Züge auf der Illertalbahn so beschildert werden, ist allenfalls ein Vorgeschmack. Bevor es richtig losgehen kann, muss ein Gutachten bestätigen, dass der volkswirtschaftliche Nutzen höher ist als die erwarteten Gesamtkosten des Projekts. Das entsprechende Gutachten soll bald in Auftrag gegeben werden, Mitte Mai steht die womöglich abschließende Besprechung zwischen dem Verein Regio-S-Bahn Donau-Iller und den Ländern Bayern und Baden-Württemberg an.
Die Regio-S-Bahn Donau-Iller steht vor einem wichtigen Schritt
In Memmingen ist am vergangenen Donnerstag ein weiterer Schritt in Richtung Regio-S-Bahn gemacht worden. Neu-Ulms Landrat Thorsten Freudenberger und Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch haben als Vertreter des Vereins gemeinsam mit Bayerns Verkehrsstaatssekretär Klaus Holetschek eine Fördervereinbarung unterzeichnet. Sie regelt, dass sich Freistaat und Verein die Kosten der 810.000 Euro teuren Vorplanung für die sechs neuen Halte rund um Memmingen teilen: Pleß, Fellheim, Heimertingen, Memmingen-Amendingen, Memmingen Berufsbildungszentrum (BBZ) und Buxheim. Die Vorplanung übernimmt die SWU Verkehr, Ergebnisse werden bis Herbst 2021 erwartet. In der Nutzen-Kosten-Analyse für die Regio-S-Bahn werden die neuen Stationen vorausgesetzt – genauso wie ein umgebauter Bahnhof Senden.
In der Nutzen-Kosten-Analyse geht es um die Frage, wie viele Pendler vom Auto auf die Bahn umsteigen, aber auch um Umweltaspekte und darum, wie stark die Unfallzahlen auf den Straßen gesenkt werden. Welchem Effekt welcher Nutzen zugewiesen wird, ist in der Standardisierten Bewertung von Infrastrukturvorhaben genau festgelegt. Die Standardisierte Bewertung soll sich ändern, so plant es das Bundesverkehrsministerium. In Zukunft werden es Projekte wohl einfacher haben, ihren volkswirtschaftlichen Nutzen bescheinigt zu bekommen. Nur: Die neuen Kriterien gibt es noch nicht.
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Oliver Dümmler ist Geschäftsführer des Vereins Regio-S-Bahn Donau-Iller, er treibt das millionenschwere Verkehrsprojekt voran. „Natürlich wollen wir auch die besseren Kriterien haben“, sagt Dümmler. Aber man wisse noch nicht, wie sie aussehen werden und wann sie bekannt werden. Ein bis zwei Jahre könnte es noch dauern, das hat Dümmler erfragt. Also soll der Nutzen-Kosten-Faktor der Regio-S-Bahn zuerst mit dem alten Kriterienkatalog bewertet werden. „Vielleicht sind wir ja da schon gut genug.“ Notfalls wolle man die Unterlagen anpassen und auf das neue Verfahren umschwenken.
Dümmler gibt sich zurückhaltender als die politischen Entscheider. Doch auch der Geschäftsführer glaubt fest daran, dass sich die Regio-S-Bahn im Bewertungsverfahren bewähren wird. Schließlich kam eine Machbarkeitsstudie im Jahr 2013 zu einem guten Ergebnis – sogar zu einem deutlich besseren als bei den Analysen für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm. Diese Machbarkeitsstudie genügt den hohen Ansprüchen der Standardisierten Bewertung aber nicht.
Freistaat Bayern soll Fördergeld für die Illertalbahn vorstrecken
Kurz vor der Kommunalwahl in Bayern machte der damalige Verkehrsminister und jetzige Günzburger Landrat Hans Reichhart dem Verantwortlichen aus der Region ein Versprechen: Der Freistaat werde das Fördergeld, das aus Berlin für den Bau der geschätzt 330 Millionen Euro teuren Illertalbahn kommen soll, vorstrecken. Das soll den Bau noch einmal beschleunigen, die Linie ist eine der am stärksten befahrenen in ganz Bayern und soll ein Ast der Regio-S-Bahn werden.
Die Finanzspritze, so der Plan, ermöglicht das Gemeindefinanzierungsgesetz (GVFG). Hinter dem Wortungetüm verbirgt sich die Grundlage dafür, dass der Bund lokale Großprojekte unterstützt. Ein Beispiel ist die im Dezember 2018 eingeweihte Straßenbahnlinie 2 in Ulm. Doch weil Umwelt- und Klimaschutz vorangetrieben werden sollen, hat der Bundestag eine Änderung beschlossen. Der GVFG-Topf wird größer, die Förderanteile werden großzügiger und auch Projekte wie die Regio-S-Bahn können unterstützt werden.
Bislang steuerte der Bund maximal 60 Prozent bei, künftig können es 75 Prozent sein. Die Länder Bayern und Baden-Württemberg beteiligten sich bislang mit 20 Prozent Fördergeld an solchen Projekten. Zumindest der Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann hat schon angekündigt, diesen Satz beibehalten zu wollen. Wenn Bayern den gleichen Weg geht, müssen die Städte und Landkreise gemeinsam nur noch fünf Prozent der Kosten für die Regio-S-Bahn stemmen. Einfacher wird dann nicht nur das Erreichen des volkswirtschaftlichen Nutzens, sondern auch die Finanzierung. Für die haben sich die beteiligten Landkreise Neu-Ulm, Unterallgäu, Günzburg, Alb-Donau, Biberach und Heidenheim sowie die Städte Ulm und Memmingen einen Schlüssel festgelegt.
Die neuen finanziellen Möglichkeiten könnten auch andere Projekte vereinfachen: zum Beispiel eine schon lange diskutierte Straßenbahnlinie nach Neu-Ulm, die beispielsweise von Ulm über Ludwigsfeld bis Wiblingen führen könnte. Auch die Kohlplatte in Ulm könnte mit einer Straßenbahnlinie erschlossen werden. Die Planungen für das Wohngebiet laufen, bis zu 6000 Menschen könnten dort einmal leben – und mit der Tram ins Stadtzentrum fahren. Doch das ist Zukunftsmusik.
Den möglichen Straßenbahnprojekten fehlen bislang die Unterstützer. Aus Neu-Ulm war bisher kaum Interesse zu spüren. Und im Ulmer Gemeinderat meldete die CDU-Fraktion zuletzt Zweifel am Sinn des Tram-Abstechers zur Kohlplatte an, der in den ersten Entwürfen der Stadtplaner genannt wird. Und dann ist da noch etwas: Die Corona-Krise kostet die Städte Millionensummen, wie schon jetzt spürbar ist. Keiner weiß, wie viel Spielraum bleibt. Selbst wenn die Fördersummen größer werden: Auch fünf Prozent einer Millionensumme sind noch sehr viel Geld.