Blaubeuren ist eine Stadt, die gut 12000 Einwohner hat, ein altehrwürdiges Kloster und eine Quelle namens Blautopf. Fakten, allesamt. Was aber auch Fakt ist: „Blaubeuren“ wiegt 30 Kilogramm, fiel vom Himmel und ist eine kleine Sensation. „Blaubeuren“ – so heißt der Steinmeteorit, der nach seinem Fundort, der beschaulichen schwäbischen Stadt benannt ist. Vor 4,5 Milliarden Jahre entstand er – und schlummerte nach seinem Sturz vom Himmel hunderte Jahre unter der Erdoberfläche, versteckt in einem Garten. Dieser Stein aus dem All, der größte Fund seiner Art in ganz Deutschland, thront heute auf einem Sockel. Im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren haben sie ihn in eine Vitrine gehievt und auf ein weiches Kissen gebettet – hier kann ihn bis Oktober jedermann bestaunen. Diesen Ruhm verdankt der Stein, das Museum und die Stadt einem Mann. Hansjörg Bayer.
Der Meteorit "Blaubeuren" schlummerte in einem Garten
Wir schreiben das Jahr 1989, als Hansjörg Bayer in seinem Garten buddelt und auf einen Brocken stößt. Einen halben Meter tief liegt er, versteckt und verschüttet in einem Kabelgraben. Bayer erzählt der versammelten Presse im Museum von seiner ersten Begegnung mit dem Stein: „Unheimlich schwer“ sei er gewesen. Und magnetisch noch dazu. „26 Jahre lang ist der Stein dann in meinem Garten vagabundiert“, erinnert er sich. Dann sei ihm der sperrige, klobige Brocken bei der alltäglichen Gartenarbeit allmählich im Weg gelegen. Also weg damit. Runter in den heimischen Keller. Und auch dort schlummerte der Fund einige Zeit, denn: „Wenn so ein dicker Stein im Keller liegt, wollen sie ihn auch nicht so schnell wieder hochtragen“, findet Bayer. Der Stein spukte in all den Jahren immer wieder in seinen Gedanken, er forschte selbst, er ahnte und vermutete. Jahre später lag der Stein dann doch zur Abfuhr bereit, unter allerlei Schutt. Bayer schlief noch eine Nacht darüber – und er befand, dass die Zeit reif war.
Der Meteorit thront jetzt in einem Museumsraum, der nur ihm gewidmet ist. Grafiken und Schautafeln hängen an den Wänden neben einem wissenschaftlichen Steckbrief dieses Pfundsbrocken, der vom Himmel fiel. Seine Maße, fast quadratisch: 28 mal 25 mal 20 Zentimeter. Aus einem Asteoridengürtel zwischen Mars und Jupiter ist er wohl gestürzt. Seine Kategorie ist für die Wissenschaft zwar gewöhnlich: H 4-5. „H“ für hohen Metallgehalt. Doch das Sensationelle: Es ist der größte Stein seiner Art, der jemals in Deutschland gefunden wurde.
Dieter Heinlein erforschte als erster den Meteorit "Blaubeuren"
Als Dieter Heinlein im Januar 2020 zum zweiten Held dieser Geschichte wird, nimmt er einen sonderbaren Anruf entgegen. Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt – wie können wir Ihnen helfen? Ein Fund, satte 30 Kilo, in einem schwäbischen Garten – wohl ein Meteorit. Soso. Heinlein lächelt, wenn er sich an diesen Moment erinnert. Er antwortete Hansjörg Bayer, am anderen Ende des Apparats, mit aller Höflichkeit: „Das ist eine recht kühne Behauptung.“ Heinlein, Astrophysiker und Meteoritenexperte, ist mit den Gesteinen und den unendlichen Weiten des Alls vertraut. 2000 Anrufe, Briefe, Besuche, Hinweise hätten ihn in seiner Laufbahn schon erreicht. In dieser Masse verbargen sich nur vier echte Meteoriten-Funde. In Dachau zum Beispiel, in Cloppenburg, Niedersachsen – und nun der Anruf aus Blaubeuren, aus heiterem Himmel, der sich als wahr entpuppte. Ein Riesenfund, der größte bundesweit unter rund 50 Objekten, und der erste in Baden-Württemberg. Heinlein erklärt seine Skepsis: Tatsächlich versuchen manche, das DLR zu übertölpeln, zum Beispiel mit Wüstensteinen, die sie auf afrikanischen Märkten kaufen, um sie Forschern später als europäischen Fund unterzujubeln. Nicht aber Hansjörg Bayer. Das käme dem Schwaben wohl nicht in den Sinn. Der Wissenschaftler Heinlein freut sich mit dem Finder, der so ruhig und besonnen seine Geschichte erzählt. „Das bestätigt meine Erfahrung: Nicht die Großspurigen finden die großen Meteoriten, sondern die Bescheidenen.“ Der Entdecker dankt ihm: „Alle Achtung vor Dieter Heinlein. Er war der Dirigent.“ Heinlein hatte das Wissen und Kontakte zur Fachwelt.
Bayers Meteorit ist zum zweiten Mal mit Wucht eingeschlagen – diesmal in der Forschung. Heinlein erklärt: „Blaubeurens“ Fundgeschichte ist besonders gut dokumentiert. Die Wissenschaft nimmt deshalb den Stein zum Anlass, weitere Meteoriten neu unter die Lupe zu nehmen, sie auf ihr Alter zu prüfen. Eine neue Welle schwappt jetzt über Heinleins Institut: 120 neue Hinweise gingen seit der ersten „Blaubeuren“-Pressekonferenz in Laupheim ein. „Und vielleicht ist doch was dabei?“ Heinlein fasst den aktuellen Wissensstand zusammen: „Blaubeurens“ Mutterkörper wog 500 bis 1000 Kilogramm – bis er mit 70000 Kilometer pro Stunde in die Erdatmosphäre schoss. Dann bremste ihn die Luft. Geschmolzen, mit 30 Kilogramm, schlug er ein. Tempo 250 bis 300.
Der größte Meteoritenfund in Deutschland hatte viel Glück
„Blaubeuren“ hatte Glück. „Werden solche Meteoriten nicht entdeckt, verrosten sie in der Erde“, sagt Heinlein. 30 Jahre in der Warteschleife – dann ging alles Knall auf Fall. Von „ganz diffizilen Messungen“ in Deutschland, Ungarn, Australien und Tucson, Arizona, berichtet Heinlein. Am Helmholtzinstitut teste man eine Probe des Steins auf Radioaktivität; Er wird abgeklopft auf die Konzentration seiner Elemente. Für die Untersuchung haben sie Scheibchen vom Brocken abgeschnitten. Auf der Schnittfläche sieht man das Innere, das Herz des Meteoriten. „Schwarze Schmelzkruste, Eisen, Nickel und Schmelztröpfchen – Kondensate aus dem Urnebel, aus dem sich die Sonne und unsere Planeten entwickelt haben.“ Trotzdem: „Sie dürfen auch einfach Stein sagen, das ist völlig okay“, versichert der Wissenschaftler dem Publikum.
„Es lohnt sich immer, in Blaubeuren etwas tiefer zu graben“, sagt Museumsdirektorin Stefanie Kölbl. Ihr Haus spürt jetzt die große Neugier auf den Fund – selbst die Tagesschau interessiert sich für den Meteoriten. Für Kölbl ist es ein Glück, dass Bayer gerade das Urmu ausgewählt hat, um seinen Meteoriten zu zeigen: „Wir wollen ihn der Bevölkerung zugänglich machen.“ Bayer wirkt bei der Präsentation gerührt. Immer wieder hält er inne, um nach den richtigen Worten zu grübeln. Der Schwabe ist der Vater des Meteorits – er durfte ihn auch benennen. „Blaubeuren“? Diesen Namen hatte die internationale Meteoriten-Forscher-Gemeinschaft noch nicht vergeben, in ihrem Taufregister. „Herr Bayer hat einen wunderbaren Riecher bewiesen“, freut sich deshalb Bürgermeister Jörg Seibold und Bayer unterschreibt im Goldenen Buch der Stadt. Bis Oktober ist der Stein im Urmu zu sehen. Wohin die Reise von „Blaubeuren“ aus dem All noch führen wird, steht noch in den Sternen. Bayer verrät: An Angeboten mangelt es nicht.
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