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Vor 75 Jahren: Die düsterste Seite der Türkheimer Geschichte

Vor 75 Jahren

Die düsterste Seite der Türkheimer Geschichte

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    So zeichnete Viktor Frankl das Türkheimer Konzentrationslager, in dem bis zur Befreiung heute vor 75 Jahren rund 400 Menschen inhaftiert waren.
    So zeichnete Viktor Frankl das Türkheimer Konzentrationslager, in dem bis zur Befreiung heute vor 75 Jahren rund 400 Menschen inhaftiert waren.

    Der 27. April 1945 in Türkheim: Mit der Ankunft der Amerikaner wurde nicht nur der Ort eingenommen, sondern auch das KZ-Außenlager in Türkheim-Bahnhof durch texanische Soldaten befreit. Unter den noch etwa 400 dort lebenden Häftlingen befand sich Dr. Viktor Emil Frankl, Arzt, Psychologe und Neurologe aus Wien.

    Einen Monat zuvor, am 26. März 1945, hatte er seinen 40. Geburtstag noch in Gefangenschaft erleben müssen. Zwischen 1942 und 1945 war Viktor E. Frankl, nach seiner Verhaftung durch die Gestapo in Wien, in vier Konzentrationslagern interniert gewesen, in Theresienstadt, Auschwitz, Kaufering lll und zuletzt, beginnend mit dem 5. März 1945, in Türkheim. Seine Eltern, sein Bruder und seine erste Frau Tilly: sie alle hatten Deportation und Lagerhaft nicht überlebt.

    Anfang 1945 wurde im Kauferinger Lager ein Arzt für das sog. „Schonungslager“ Türkheim gesucht. Dort war eine Fleckfieber-Epidemie ausgebrochen. Viktor Frankl meldete sich, wurde nach Türkheim verlegt und versuchte mit den bescheidenen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, die Kranken in Türkheim-Bahnhof so gut wie möglich zu versorgen. Doch sein eigener Gesundheitszustand war stark angegriffen. Er erkrankte selber Ende März an Typhus.

    Viktor Frankls Lebenswerk hielt ihn wohl auch am Leben

    In schlaflosen Nächten begann er, sich gegen den drohenden Tod zu wehren, indem er seine Ideen für die „Ärztliche Seelsorge“ behelfsmäßig mit Bleistiftstummeln auf die Rückseiten ausrangierter Formular-Zettel notierte.

    Sein Originalmanuskript war ihm in Auschwitz abgenommen und vernichtet worden. Es war wohl dieser Ehrgeiz, sein bisheriges Lebenswerk nicht aufzugeben, der ihn die Krankheit besiegen ließ und sein Leben rettete. Das Werk wurde später als erstes einer langen Reihe weiterer Publikationen in Wien veröffentlicht. Das Erkennen eines Sinns im Leben wurde zur Grundidee seiner „Logotherapie“ genannten Psychotherapie-Schule.

    So sah es im Konzentrationslager Türkheim aus. Rund 400 Menschen waren dort inhaftiert, darunter auch der Arzt Dr. Viktor Frankl, der nach der Befreiung durch US-Truppen noch einige Jahre in Bad Wörishofen arbeitete. Das Foto wurde kurz nach der Befreiung aufgenommen.
    So sah es im Konzentrationslager Türkheim aus. Rund 400 Menschen waren dort inhaftiert, darunter auch der Arzt Dr. Viktor Frankl, der nach der Befreiung durch US-Truppen noch einige Jahre in Bad Wörishofen arbeitete. Das Foto wurde kurz nach der Befreiung aufgenommen.

    Bei der Befreiung des Lagers am 27. April 1945 war Viktor E. Frankl zwar noch geschwächt und von der durchgestandenen Krankheit gezeichnet, aber er war frei. Später wird er Türkheim die „Stätte seiner Wiedergeburt“ nennen. In seinem Erinnerungsbuch „…Trotzdem Ja zum Leben sagen“ schildert er die ersten Tage in Freiheit in Türkheim berührend:

    „Da kommt man zu einer Wiese. Da sieht man blühende Blumen auf ihr. Man nimmt dies alles zur Kenntnis, aber - nicht „zum Gefühl“. Der erste kleine Funke von Freude sprüht auf, sobald man einen Hahn bemerkt, der prächtige vielfarbige Schwanzfedern hat. Aber es bleibt bei einem Freudefunken, und noch hat man nicht teil an der Welt. Dann setzt man sich unter einen Kastanienbaum, auf eine kleine Bank… noch macht die Welt keinen Eindruck.“

    „… Dann gehst du eines Tages, ein paar Tage nach der Befreiung, übers freie Feld, kilometerweit, durch blühende Fluren einem Marktflecken in der Umgebung des Lagers zu. … Aber an diesem Tage, zu jener Stunde begann dein neues Leben - das weißt du.“

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    Als die amerikanischen Panzer in Rammingen einrollten

    Im Ort, in Türkheim, wurde dieser 27. April 1945 als Besatzung erlebt: um 4 Uhr morgens rückten von Tussenhausen her amerikanische Panzer vor. Die Ortschronik verzeichnet Schießereien, einige Tote und mehrere Verletzte. Panzer bezogen Stellung vor dem Rathaus. Per Dekret mussten Schusswaffen, aber auch Fotoapparate und Feldstecher bei der Gendarmerie abgeliefert werden. Niemand durfte Türkheim verlassen. Doch das Geschehen im außerhalb gelegenen Lager hatte sich unter den Dorfbewohnern längst herumgesprochen und bei involvierten Personen berechtigte Furcht ausgelöst.

    Als Stätte seiner Wiedergeburt bezeichnete der berühmte Arzt später Türkheim

    Viktor E. Frankl war nach seiner Befreiung für etwa zwei Monate in einem Militärlazarett in Bad Wörishofen als Arzt tätig. In den Chroniken und auch von ihm selbst sind keine Einzelheiten aus dieser Zeit überliefert. Es wird angenommen, dass er sich um jüdische Displaced Persons aus den ehemaligen KZ gekümmert hat.

    Über Beziehungen gelang es ihm schließlich, sich bis nach München durchzuschlagen, aber erst am 15. August 1945 konnte er in seine Heimatstadt Wien weiterreisen. Das Gefühl von Unsicherheit, von Alleingelassensein, und die Erkenntnis, dass sich niemand mehr in Wien für ihn zu interessieren schien, hatten ihm in München, während des Wartens auf die Weiterreise, sehr zu schaffen gemacht. Aus einem später aufgezeichneten Interview, mit dem Münchner Eisbach im Hintergrund, konnte man erahnen, dass auch ein Viktor E. Frankl vor Mutlosigkeit und Verzweiflung nicht immer geschützt gewesen war.

    Das Foto zeigt den KZ-Kommandanten Hofmann mit ehemaligen jüdischen Häftlingen und amerikanischen Soldaten.
    Das Foto zeigt den KZ-Kommandanten Hofmann mit ehemaligen jüdischen Häftlingen und amerikanischen Soldaten.

    Doch dann ging es aufwärts. Im Februar 1946 wurde er in den Vorstand der neurologischen Abteilung der Wiener Poliklinik berufen. Viktor E. Frankls Existenz und der Durchbruch für sein seelsorgerisches und wissenschaftliches Werk waren gesichert. Seine „Logotherapie und Existenzanalyse“ ist heute weltweit als dritter Weg in der Psychotherapie anerkannt.

    Viktor E. Frankl starb 1997 92-jährig in Wien. Er hat Türkheim, die „Stätte seiner Wiedergeburt“, noch zweimal besucht: 1979 und 1985. Eine Kollektivschuld aller Deutschen für die Verbrechen des Nationalsozialismus lehnte er immer ab: „Schuld kann nur persönliche Schuld sein“, sagte er dazu in einer Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung am 27. April 1985 am KZ-Ehrenmal.

    Aus der geplanten Ausstellung der Gymnasiasten zum Jahrestag wird nun nichts

    Auf dem Gelände der Gedenkstätte in Türkheim-Bahnhof befinden sich einige wenige Gräber von nach Kriegsende verstorbenen Menschen mit jüdischen Namen auf den Grabsteinen. Auch ein sechs Monate altes Baby hat ein kleines Grab. Etwa 80 Gefangene und im Türkheimer Lager Verstorbene wurden 1946 aus verstreut im Wald liegenden Gräbern auf das Gelände des Ehrenmals umgebettet. Diese Toten konnten nicht mehr identifiziert werden, sie haben keine Grabsteine.

    Dr. Viktor E. Frankl †
    Dr. Viktor E. Frankl †

    Die geplante Gedenkfeier zum 75-jährigen Jahrestag der Befreiung des KZ Türkheim kann wegen der Corona-Krise 2020 nicht öffentlich stattfinden. Schüler des Joseph-Bernhart-Gymnasiums hatten eine Ausstellung zum Thema und eine Feierstunde geplant.

    Stattdessen wird es am Montag eine Kranzniederlegung durch Gemeinde und Vereine ohne Öffentlichkeit geben.

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