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Unterallgäu: Wie gefährlich sind die Reichsbürger im Unterallgäu?

Unterallgäu

Wie gefährlich sind die Reichsbürger im Unterallgäu?

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    Nicht immer geben Reichsbürger ihre Einstellung so offen zu erkennen wie hier auf dem Foto, das an einem Haus im Raum Neu-Ulm gemacht wurde.
    Nicht immer geben Reichsbürger ihre Einstellung so offen zu erkennen wie hier auf dem Foto, das an einem Haus im Raum Neu-Ulm gemacht wurde. Foto: Alexander Kaya

    Es war der größte Polizeieinsatz gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe, die die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen erlebt hat. 3000 Sicherheitskräfte durchsuchten in der Nacht auf Mittwoch in elf Bundesländern Häuser von sogenannten „Reichsbürgern“. 52 Beschuldigte wurden verhaftet. Ihnen wird zur Last gelegt, mit Waffengewalt einen politischen Umsturz geplant zu haben. Seit Jahren treten Reichsbürger auch in der Region in Erscheinung, wie aus der jährlichen Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West hervorgeht.

    Heuer im April vermeldete die Polizeibehörde, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West 2021 um etwa neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr angestiegen sei.

    Während Deliktszahlen aus dem rechten politischen Spektrum von 291 auf 192 sanken und auch die Zahlen linksmotivierter Täter von 52 auf 27 zurückgingen, stiegen sie im Bereich, den die Polizei nicht genau zuordnen kann, von 116 auf 282 Delikte. In diesen Bereich fallen auch durch sogenannte Reichsbürger, aber auch von Impfgegnern und Querdenkern verübte Taten.

    An Corona-Demos in Mindelheim beteiligten sich auch vereinzelt Reichsbürger

    Bei den regelmäßigen Corona-Demonstrationen in Mindelheim mit zeitweise deutlich über 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, waren vereinzelt auch Reichsbürger und Demokratiefeinde beteiligt. Die große Mehrheit allerdings hatte damit nichts zu tun.

    Lange Zeit wurde von den Behörden, aber auch in der Öffentlichkeit, die Gefahr unterschätzt. Reichsbürger wurden eher als harmlose Spinner angesehen. Geändert hat sich das vor sechs Jahren, als im mittelfränkischen Georgensgmünd ein Anhänger dieser Ideologie tödliche Schüsse auf einen Polizeibeamten abgegeben hatte. 

    Am Landgericht Memmingen haben sich schon vor Jahren dicke Ordner mit Schriftsätzen von Reichsbürgern gefüllt. „Wir begegnen Menschen, die sich Reichsbürger, Germaniten oder Selbstverwalter nennen, primär durch das, was sie schreiben“, sagte der damalige Landgerichtspräsident Heinrich Melzer. Diese Menschen erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht an. Die BRD sei kein Staat, sondern nur eine GmbH mit Personal – weshalb es ja auch „Personalausweise“ gebe. In Briefen, Faxen und E-Mails, die dem Gericht zugehen, titulieren sich Reichsbürger selbst häufig als „Mensch und natürliche Person“, teilweise auch als „aus der

    Abgeheftet ist der Schriftverkehr in dicken Ordnern. Häufig seien die Schreiben „völlig unübersichtlich“. Einerseits, was die Länge betrifft. Anderseits sei auch der Inhalt chaotisch. Hinzu komme „zum Teil fehlende Beherrschung deutscher Sprache und Grammatik“. Stattdessen herrsche in den Schreiben eine pseudorechtliche Fantasiesprache vor, bei der irgendwelche Aussagen und Paragrafen aneinandergereiht werden.

    Mindelheims Verwaltung hat immer mal wieder mit Reichsbürgern zu tun

    Das kann auch Mindelheims Bürgermeister Stephan Winter bestätigen. Vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Einwohnermelde- und des Steueramtes hätten immer wieder mal mit Vertretern von Reichsbürgern zu tun. In solchen Fällen gibt es inzwischen ein vom Bayerischen Innenministerium entwickeltes Verfahren. „Wir melden das, auch wenn es zu keiner Auseinandersetzung gekommen ist“, sagt Winter. Das Leugnen der Bundesrepublik ist so ein Tatbestand.

    Ob diese Menschen gefährlich sind oder nicht, könne nicht zweifelsfrei gesagt werden. Winter spricht von „fehlgeleiteten Menschen“. Manchmal ist eine Motivation für Widerborstigkeit auch nicht klar. Wenn jemand sich dreimal weigert, seine Steuern zu bezahlen, könne das die Ursache haben, dass er kein Geld hat oder den Staat rundheraus ablehnt.

    In einem solchen Fall wird ein Gerichtsvollzieher beauftragt. Mit der zentralen Erfassung soll ausgeschlossen werden, dass diese Mitarbeiter in Gefahr geraten. In Einzelfällen sei dann ein Gerichtsvollzieher schon unter Polizeischutz tätig geworden.

    Brenzlige Situationen im Mindelheimer Rathaus gab es mit Reichsbürgern noch nicht

    Wirklich kritische Situationen habe es im Rathaus mit Reichsbürgern aber bisher noch nicht gegeben. Der Bürgermeister selbst bekommt als Repräsentant des von Reichsbürgern abgelehnten Staates allerdings schon Post, in der alles Mögliche angedroht werde. In krassen Fällen zeigt Winter das an, oft fliegt es aber einfach in den Papierkorb. „Leider ist das so, dass das heute zum Hintergrundgeräusch gehört“, sagt Winter. Und er fügt hinzu: Der Ausdruck in der elektronischen Post nähert sich einem Standard, wie er ihn nicht in der Schule gelernt hat.

    Zu einem spektakulären Fall ist es 2016 vor dem Amtsgericht Kaufbeuren gekommen. Eine Frau musste sich wegen Fahrens ohne Führerschein vor Gericht verantworten. Doch dann sprengten mehrere Zuhörer die Verhandlung, redeten laut dazwischen, lachten und erhoben sich von ihren Plätzen. Das Chaos nutzte die Frau dazu, ihre eigene Akte vom Richtertisch zu stehlen. Sie ist zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Die Störer von Kaufbeuren gehörten zu einer Gruppierung, die die Bundesrepublik nicht als Staat anerkennt. 

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind. Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    1985 nannte sich Gerhard Günter Ebel "Reichskanzler"

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab. Schwerpunkte in der Region sind das Allgäu, das Ries und die Städte um Augsburg. Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet. Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    In dieses Umfeld zählt auch die Identitäre Bewegung, die ursprünglich aus Frankreich stammt, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. In Erscheinung getreten ist die IB auch in Bayern. Auf der Mindelburg in Mindelheim fand ein Fotoshooting statt. Die Bilder fanden sich dann in Sozialen Medien.

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