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Unterallgäu: Unterallgäuer Kuschel-Experte erklärt, was "Hauthunger" ist

Unterallgäu

Unterallgäuer Kuschel-Experte erklärt, was "Hauthunger" ist

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    „Körperkontakt ist für das Nervensystem notwendig“, sagt der Kuschelexperte Markus Ruppert aus Bad Grönenbach. Er mildere Stress und helfe dem Körper zu entspannen. Das Kuschelbedürfnis eines Menschen liege zwischen zehn und 15 Minuten pro Tag.
    „Körperkontakt ist für das Nervensystem notwendig“, sagt der Kuschelexperte Markus Ruppert aus Bad Grönenbach. Er mildere Stress und helfe dem Körper zu entspannen. Das Kuschelbedürfnis eines Menschen liege zwischen zehn und 15 Minuten pro Tag. Foto: Mohssen Assanimoghaddam, dpa

    In seiner Praxis in Bad Grönenbach hat sich Heilpraktiker und Traumatherapeut Markus Ruppert aufs Kuscheln spezialisiert. An sogenannten Kuschelabenden will er Menschen dort ein Verständnis für das menschliche Grundbedürfnis des Körperkontakts geben.

    Woher kommt dieses Bedürfnis des Menschen zum Kuscheln?

    Markus Ruppert: Der Mensch kommt viel früher auf die Welt als andere Säugetiere, ist also auch deutlich abhängiger von mütterlicher Pflege. Ein Baby braucht mütterliche Hautberührung, sonst löst es im Kind ein Notsignal aus.

    Und welche Auswirkungen hat Kuscheln auf ältere Menschen?

    Ruppert: Der Körperkontakt ist für das Nervensystem notwendig. Positive Berührungen können Stress mildern und rufen im Körper eine Entspannungsreaktion hervor.

    Markus Ruppert.
    Markus Ruppert. Foto: Ruppert

    Wieso meiden aber manche Menschen Körperkontakt?

    Ruppert: Die Erfahrungen, die wir im Kindesalter machen – also wenn wir noch abhängig sind – prägen unsere Verhaltensmuster und wie wir als Erwachsene mit Nähe und Distanz umgehen. Machen wir schlechte Erfahrungen, etwa durch Grenzüberschreitungen oder zu wenig Nähe, dann werden wir auch als Erwachsene einen gestörten Umgang mit diesem Grundbedürfnis entwickeln.

    Und diese Menschen kommen dann zu einem gemeinsamen Kuschelabend bei Ihnen?

    Ruppert: Da gibt es unterschiedliche Beweggründe. Manche Menschen mussten die Erfahrung machen, dass Ihre Grenzen nicht respektiert wurden. Wieder andere haben nie genug Aufmerksamkeit und Nähe durch die Bezugsperson erhalten. So werden später nahe Kontakte zum Trigger und lösen unangenehme Empfindungen aus.

    Das heißt, alle Besucher sind durch schlechte Erfahrungen in der Kindheit geprägt?

    Ruppert: Nein, natürlich nicht. Es kommen auch viele Menschen, die einfach ihr Bedürfnis nach Nähe stillen wollen, weil Sie nach Trennung oder Tod des Partners allein leben.

    Wie arbeiten Sie diese negativen Erfahrungen mit den Menschen auf?

    Ruppert: Das sind Erfahrungen des Körpers, die Reaktionen laufen also meist unbewusst und autonom ab. Das heißt, die Menschen werden in entsprechenden Situationen nervös, unruhig, fangen an zu schwitzen, haben einen höheren Puls oder ähnliches. Da probiert man erst mal langsam aus und fragt sich: Was passiert mit mir, wenn ich meinem Gegenüber etwa in die Augen schaue?

    Und wie läuft dieses Heranführen im Rahmen einer Gruppensitzung, also eines Kuschelabends, ab?

    Ruppert: Ein Kuschelabend geht vier Stunden, davon ist eine dreiviertel Stunde bis Stunde Kuschelzeit, der Rest sind hinführende Übungen. Das heißt: Durch den Raum gehen, anderen in die Augen schauen und in sich hören. Wie fühlt es sich für mich an, jemandem die Hand zu geben?

    Und wie läuft das Kuscheln selbst ab?

    Ruppert: Es gibt ein größeres Mattenfeld, auf dem sich manchmal zwei Menschen zusammenfinden und manchmal auch mehrere in einer Gruppe. Gerne verwende ich dafür die Bezeichnung Welpenhaufen.

    Was, wenn es einem Teilnehmer zu viel wird?

    Ruppert: Wir versuchen, den Raum für die Teilnehmer möglichst sicher zu gestalten. Das heißt, alle Emotionen sind willkommen. Jemand schämt sich? In Ordnung. Ein anderer muss weinen? In Ordnung. Eine Teilnehmerin braucht Zeit für sich? Kein Problem. Ich bin mit einem, zwei, manchmal auch drei Assistenten dabei, die nicht mitmachen, sondern die Gruppe beobachten und da sind, wenn sich jemand unwohl fühlt.

    Ein Blick auf Corona: Können die Gruppenabende bald wieder stattfinden, oder bieten Sie trotz der gelockerten Regeln auch bis auf Weiteres nur Einzelstunden an?

    Ruppert: Aufgrund der aktuellen Lockerungen sind wir zurzeit in Planung, vermutlich können bereits ab März die nächsten Termine für Gruppenabende stattfinden.

    Wie groß ist denn das Kuschelbedürfnis des Menschen am Tag? Eine halbe Stunde? Mehr?

    Ruppert: Zwischen zehn und 15 Minuten. Ich nenne das den Hauthunger. Diese Zeit ist am Tag nötig und ganz wichtig: Sie ist nicht ersetzbar. Ebenso wenig kann man zum Beispiel seinen Durst durch Äpfelessen stillen.

    Wie reagieren Menschen, wenn dieses Bedürfnis nach Nähe nicht gedeckt werden kann? Wenn sie also alleine sind und niemanden zum Kuscheln haben?

    Ruppert: Viele versuchen, sich auf anderer Ebene, manchmal sogar bis zur Abhängigkeit, zu sättigen. Beispielsweise mit Süßigkeiten, Sport, Alkohol oder anderem Kompensationsverhalten.

    Alleinstehende Singles haben also Pech gehabt?

    Ruppert: Nein. Schwere Decken oder auch Therapiedecken sind ein Segen. Denn das Nervensystem reagiert anders als der Verstand. Nämlich auf Reize. Gewicht und Enge interpretiert dieses System daher als Nähe und kann eine Entspannungsreaktion auslösen. Auch Wärme kann helfen. Also eine Wärmflasche an die kalten Füße zum Beispiel. Außerdem kann man den Hauthunger auch selbst stillen, beispielsweise beim Eincremen.

    Wie hilfreich können da Haustiere sein?

    Ruppert: Wenn Tiere im Haus sind, nutzen das viele Menschen. Aber extra ein Haustier anzuschaffen, bedeutet Verantwortung in vielen anderen Bereichen. Ich empfehle meistens Gegenstände, zum Beispiel ganz viele Kissen ins Bett zu legen.

    Bauen Sie das Kuscheln bewusst in ihren Alltag ein?

    Ruppert: Auch ich musste lernen, mir meine Bedürfnisse bewusst zu machen. Heute sind sie meistens schon routiniert im Alltag eingebaut. Ich kuschle viel mit meiner Frau, zum Beispiel nach dem Frühstück auf dem Sofa, und wir genießen den Kaffee zusammen oder mit meinen Kindern. Ich habe aber auch eine schwere Bettdecke und merke, wenn mein Körper das braucht.

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