Sprechen wir über Komplimente: Frau Grimm, Sie sind als Trainerin für Business-Etikette und Knigge-Expertin ja vom Fach. Sollte man Komplimente im Alltag einsetzen – und wenn ja, wie?
Hannelore Grimm: Natürlich! Wer hört nicht gerne Komplimente? Allerdings nur die ernst gemeinten. Komplimente, die nur oberflächlich und einschmeichelnd sind, sollten wir vermeiden – denn diese sind ja nicht wertschätzend gemeint. Ein Kompliment ist immer eine Wertschätzung meiner Person: Es geht beispielsweise um meine Persönlichkeit oder mein berufliches Können. Es ist eine Anerkennung: Ich oder meine Arbeit werden gesehen.
Das heißt, man sollte im Berufsleben Komplimente machen ...?
Hannelore Grimm: Ja, ich bin der Meinung, man sollte es machen. Aber nur die ehrlichen, die auch nur das Berufliche betreffen. Und man sollte sich vorher Gedanken darüber machen. Zu schnell kann ein ausgesprochenes Kompliment falsch aufgefasst werden.
Wie meinen Sie das?
Hannelore Grimm: Wenn ein Chef etwa sagt: „Sie haben ein schönes Röckchen an“, könnte das schnell schlüpfrig aufgefasst werden. Gerade Frauen wollen für ihre Arbeit gelobt werden und nicht wegen ihres Aussehens Karriere machen. Die Schublade mit dem Thema Aussehen sollte man im Berufsleben zu lassen. Ein vom Chef ausgesprochenes Kompliment kann aber auch motivierend sein.
Haben Sie ein Beispiel?
Hannelore Grimm: Wenn ein Chef sagt „Die Präsentation haben Sie kompetent und schnell erstellt – danke!“ oder „Den schwierigen Kunden haben Sie aber sehr freundlich bedient“.
Wie sieht es andersherum aus: Sollte man seinem Chef Komplimente machen?
Hannelore Grimm: Sicherlich freut sich auch ein Chef über das eine oder andere ernst gemeinte Kompliment. Aber Vorsicht! Das kann schnell als Anbiedern verstanden werden. „Durch Ihre große, berufliche Erfahrung lerne ich viel“, ist aber zum Beispiel ein gutes Kompliment an den Chef, wenn es ernst gemeint ist. Was meines Erachtens ein Tabu ist, sind persönliche Themen, etwa: „Chef, Sie haben heute aber eine tolle Krawatte an.“
Unter Kollegen dürfen die Komplimente zwar lockerer sein, trotzdem ist Vorsicht geboten
Und wie sieht es unter Kollegen aus?
Hannelore Grimm: Hier kann man mit Komplimenten meist schon etwas lockerer umgehen. Aber auch unter Kollegen sollten private Komplimente vorsichtig eingesetzt werden, weil sie als Anmache verstanden werden könnten. Schöne Komplimente an Kollegen sind zum Beispiel „Danke fürs Kaffeekochen – ohne dich würden wir morgens gar nicht wach“ oder: „Durch deine Kompetenz sind wir mit dem Projekt schnell vorangekommen“.
Wie sollte man in Ihren Augen auf ein Kompliment reagieren?
Hannelore Grimm: Normalerweise ist man ja überrascht und sagt so etwas wie „Das ist doch nicht nötig“. Aber ich finde, man darf sich auch einfach freuen, auf den anderen zugehen und sagen: „Toll, dass Sie das so sehen. Danke!“ oder „Vielen Dank, das tut mir gerade jetzt sehr gut“. Man kann auch sofort ein Kompliment wieder zurückgeben, wenn es passt – zum Beispiel „Ich wollte Ihnen auch schon lange ein Kompliment machen ...“. Oder man merkt es sich und kann bei einer anderen Gelegenheit ein Kompliment aussprechen. Ein Kompliment sollte nämlich immer zur Situation passen.
Wie meinen Sie das?
Hannelore Grimm: Es ist nicht immer angebracht, ein Kompliment in einem größeren Kreis zu äußern: Schüchternen Menschen ist es vielleicht lieber, wenn man ihnen das Kompliment im persönlichen Gespräch macht, um sie nicht vor einer Gruppe in Verlegenheit zu bringen.
Welches Kompliment hat Sie persönlich schon einmal besonders gefreut?
Hannelore Grimm: Ach Gottchen, das sind so viele gewesen! Ich habe in meinem Berufsleben viele Seminare und Fortbildungen gemacht und als ich in Rente ging, haben meine Kollegen aus dem Büro gesagt: „Mensch Hannelore, das lebenslange Lernen ist nach dir benannt!“ Das hat mich sehr gefreut. Sehr schön war auch ein Kompliment eines Drittklässlers, in dessen Klasse ich meinen Kniggekurs gehalten habe. Ich komme da immer wild kostümiert in den Raum. Die Kinder müssen Fehler finden – etwa zu viel Schmuck – und bekommen dann Schokolade dafür. Ich habe die Kinder gefragt, wie ihr erster Eindruck von mir ist – und als sie nicht wussten, was ich damit genau meinte, fragte ich den Jungen: „Was hast du dir gedacht, als ich hereinkam?“ Der Kleine stand auf, knackte mit den Fingern und sagte: „Coole Alte!“ Während die Lehrerin vor Scham im Boden versinken wollte, musste ich mir das Lachen verkneifen. Coole Alte – das ist doch ein schönes Kompliment! (lacht)
Auch Kindern sollte man Komplimente machen
Wer hat in Ihren Augen denn noch ein Kompliment verdient?
Hannelore Grimm: In der jetzigen Zeit würde ich jedem einen Orden verleihen, der für andere da ist und einen hohen Einsatz bringt. Ich sehe aber auch eine negative Sache: Das Pflegepersonal wurde beklatscht, aber es ist nichts passiert – das sind keine Komplimente geworden dadurch. Wenn man Komplimente ausspricht, muss man auch danach handeln. Komplimente bekommen sollten die Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, die Verkäufer, Polizisten, Feuerwehrleute sowie Wachpersonal. All diejenigen Personen, die sich ehrenamtlich um alte, kranke und hilfsbedürftige Mitmenschen kümmern, aber auch Unternehmer, die neue Ideen fürs „Überleben“ entwickelt haben und dadurch auch andere motivieren. Nicht vergessen sollte man die Kinder, die nicht zur Kita und zur Schule dürfen, und die Eltern, die teils im Homeoffice sind und sich noch „so nebenbei“ um die Kinder kümmern müssen. Ich sage auch immer danke, wenn ich in ein Geschäft gehe und freundlich bedient werde. Ich finde das wichtig.
Wie reagieren Ihre Mitmenschen, wenn Sie ihnen ein Kompliment machen?
Hannelore Grimm: Alle strahlen! Das ist ja das Schöne. Komplimente kommen beiden Seiten zugute: Der Angesprochene fühlt sich wahrgenommen und wertgeschätzt. Der Aussprechende freut sich, dass sein Kompliment so gut angekommen ist. Dies steigert auch die gegenseitige Sympathie.
Jetzt haben wir noch gar nicht über Knigge gesprochen. Was dachte er denn über Komplimente?
Hannelore Grimm: Konkret zu „Komplimenten“ habe ich bei Adolph Freiherr von Knigge nichts gefunden. Aber in seinem 1788 veröffentlichten Buch „Über den Umgang mit Menschen“ geht es ja nicht um steife Etikette, sondern um die Verbesserung des persönlichen Auftretens in der Gesellschaft. Hierzu gehören Toleranz, Respekt, Aufmerksamkeit und Verlässlichkeit – und so meines Erachtens auch das Nennen von Komplimenten. Im Übrigen: Dieses Buch gibt es immer noch zu kaufen und ist lesenswert!
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