Startseite
Icon Pfeil nach unten
Mindelheim
Icon Pfeil nach unten

Unterallgäu: An Krebs erkrankte Unterallgäuerin möchte anderen Mut machen

Unterallgäu

An Krebs erkrankte Unterallgäuerin möchte anderen Mut machen

    • |
    Alina Weiß möchte ihre Krankheit auf Bildern festhalten, um zu sehen, wie sie sich äußerlich und innerlich verändert. Nachdem sie die Fotos auf Facebook und Instagram veröffentlichte, habe sie viele positive Reaktionen bekommen, berichtet sie. Es helfe ihr, über die Krankheit zu sprechen. 	„Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“
    Alina Weiß möchte ihre Krankheit auf Bildern festhalten, um zu sehen, wie sie sich äußerlich und innerlich verändert. Nachdem sie die Fotos auf Facebook und Instagram veröffentlichte, habe sie viele positive Reaktionen bekommen, berichtet sie. Es helfe ihr, über die Krankheit zu sprechen. „Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“ Foto: Katharina Kraus/seelenportraits.com

    Als ich das erste Bild sah, war ich erschrocken. Dass Alina Krebs hat, war sofort klar. Ich wusste nicht, dass sie krank ist. Wir haben früher gemeinsam bei der Allgäuer Zeitung gearbeitet, uns aber lange nicht gesehen. Über Facebook hatten wir noch Kontakt, da hat sie auch dieses Foto veröffentlicht. Und viele weitere Bilder. Das gleiche Lächeln wie damals, aber ihre schwarzen Haare sind weg. Ich habe sie gefragt, ob sie mir ihre Geschichte erzählt. Unser Gespräch wahrt nicht die professionelle journalistische Distanz. „Ich“ komme normalerweise in meinen Texten nicht vor und wir duzen einander. Unter Kollegen ist das normal, an dieser Stelle muss man es jedoch erklären.

    Deine Bilder haben mich berührt, Alina. Du siehst verletzlich aus und gleichzeitig sehr zuversichtlich.

    „Es geht mir besser, seitdem ich die Bilder gemacht und veröffentlicht habe. Sie zeigen, wie schön das Leben trotz einer schweren Krankheit sein kann. Ich habe monatelang eine Perücke getragen und mich im Haus versteckt, bis mir klar wurde: Das bin ich nicht. Ich habe dann angefangen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin – krank, aber trotzdem weiter hübsch.“

    Hast Du oft darüber nachgedacht, wie andere Dich wahrnehmen?

    „Ja, natürlich. Heute gehe ich an guten Tagen raus und überlege nicht, wie ich aussehe. Es sind überwiegend ältere Menschen, die mich anschauen. Manchmal kann ich damit gut umgehen, manchmal stört es mich. Ich nehme meine Umwelt heute anders wahr, bin sensibler geworden.“

    Wie schlimm war es, als Deine Haare ausfielen?

    „Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Eineinhalb Wochen nach der ersten Chemo stand ich unter der Dusche, und plötzlich war alles voller Haare. Ich konnte das nicht wegmachen, habe nur geschrien. Ein paar Tage später hat mein Papa mich kahl rasiert, das war sehr stark von ihm. Auch meine Augenbrauen und Wimpern sind durch die Chemo ausgefallen, mein Gesicht war leer. Obwohl ich Kosmetikerin bin, dachte ich: Schminke kann da auch nichts mehr retten. Ich habe zwar eine schöne Kopfform, aber das war echt nicht cool.“

    Hast Du Dich gefragt: Warum ich?

    „Ja, ganz am Anfang. Es gibt aber keine Antwort darauf. Ich muss die Situation akzeptieren und gebe seit dem ersten Tag alles dafür, wieder gesund zu werden.“

    Wann hast Du erfahren, dass Du Krebs hast?

    „Im Sommer 2020 bekam ich Schmerzen im Oberkörper. Ich konnte meinen rechten Arm nicht mehr einsetzen, dachte aber nicht daran, dass das was Ernstes ist. Ein Entzündungswert war erhöht, ein Arzt verschrieb mir deshalb ein Antibiotikum und Schmerzmittel. Ich ging wieder zur Arbeit im Hotel, habe dann aber gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich nahm schnell ab, war antriebslos und müde. Dann kam alles ins Laufen. Ende Oktober gab es die endgültige Diagnose.“

    Was für einen Krebs hast Du?

    „Ein Ewing-Sarkom. Das ist ein bösartiger Tumor, der meistens Menschen unter 30 trifft. Bei mir saß er an der sechsten Rippe. Ich bekam sechs Einheiten einer starken Chemotherapie. In der Phase hatte ich gefühlt gar nichts mehr vom Leben. Jede Kleinigkeit war eine Herausforderung. Dann waren drei Wochen Pause zur Erholung. Anschließend wurde die Rippe entfernt. Ich hatte auf ein Wunder gehofft, darauf, dass ich keine weitere Chemo mehr brauche. Die Ärzte haben mir sehr deutlich gesagt, dass die Therapie sein muss, zur Vorbeugung, damit sich nichts Neues bildet. Ich wollte trotzdem nicht mehr. Die Ärzte reden aber offen darüber, was Sache ist. Mit der zweiten Chemo habe ich eine bessere Heilungschance. Zum Glück vertrage ich die zweite Chemo besser. Die vorletzte Einheit habe ich vergangene Woche bekommen. Ich bin im Endspurt.“

    Ist es gut, dass die Ärzte so offen sind?

    „Mit dieser Klarheit bin ich zu Beginn nicht klargekommen. Ich war vorher nie krank gewesen, und wegen Corona musste ich fast immer allein zu den Gesprächen. Bei der endgültigen Diagnose bin ich zusammengeklappt. Da war Stephan, mein Freund, zum Glück dabei. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich hatte so viele Pläne, plötzlich wird alles umgekrempelt. Und man muss so viel schnell entscheiden. Die Offenheit ist richtig, ich vertraue den Ärzten auch. Ich brauche kein Mitleid, aber ich habe mir manchmal mehr Zeit gewünscht.“

    Du musstest die Gespräche mit Ärzten allein führen? Viele Patienten sind damit überfordert und brauchen jemanden, der mithört, damit man reflektieren kann, was gesagt wurde. Da geht es schließlich um Leben oder Tod.

    „Ja, ich war auch oft überfordert, vor allem am Anfang. Aber dann habe ich gelernt. Ich frage die Ärzte so lange, bis sie so sprechen, dass ich es verstehe. Alles Wichtige schreibe ich mir auf, ich habe bei jedem Gespräch einen Block dabei. Dann weiß ich, was wann gesagt wurde. Ich lasse mir auch alle wichtigen Unterlagen aus meiner Akte geben. Und ich habe zum Glück eine Oberärztin, die ich immer anrufen kann, wenn ein Problem auftaucht oder ich eine Frage habe.“

    Ist Dir der Austausch mit anderen Patienten wichtig?

    „Ja, sehr wichtig. Ich schaue mir von vielen etwas ab: Welche Medikamente sie während der Therapie zur Unterstützung einnehmen, wo ich Hilfsmittel wie Perücken oder Kopftücher erhalte oder andere nützliche Tipps. Der Kontakt zu Menschen, die das Gleiche durchmachen, hilft auch. Wir wissen, wie sich Krebs anfühlt.“

    Du möchtest kein Mitleid haben, sagst Du. Ich bin unsicher, wie ich mit Menschen umgehen soll, die schwer krank sind. Spreche ich sie an? Was sage ich?

    „Na ja, die Aufforderung ‚Du musst jetzt kämpfen’ bringt jedenfalls nichts. Auch ‚Ich wünschte, ich könnte Dir das abnehmen’, ist Quatsch. Man kann das niemandem abnehmen. Mitleid bringt auch nichts, das zieht mich runter. Du hast einfach kurz geschrieben und gefragt, wie es mir geht. Das haben viele Menschen gemacht, nachdem sie meine Bilder gesehen hatten. Das tut mir gut. Es ist gut, zu wissen, dass jemand an mich denkt, wenn ich wieder im Krankenhaus bin. Dafür bin ich sehr dankbar.“

    Ist das für enge Freunde schwieriger als für Menschen, die mehr Abstand zu Dir haben?

    „Ja, das kann sein. Menschen, die einen gut und lange kennen, sind vielleicht gehemmt, weil sie emotional sehr betroffen sind.“

    Wer war und ist Dir in dieser Zeit besonders nah?

    „Als die Diagnose kam, haben mein Freund und ich im Tannheimer Tal gearbeitet und gewohnt. Ich habe dann entschieden, mich in Ulm behandeln zu lassen, und bin mit meinem Freund bei meinen Eltern im Unterallgäu eingezogen. Am Anfang war alles unklar, niemand wusste, was die Krankheit mit mir macht. Stephan und meine Eltern haben mich durch diese Zeit getragen, unser Verhältnis ist viel enger geworden. Ich bin dankbar für diese gemeinsame Zeit. Auch meine Schwester mit ihrer Familie, meine Großeltern und zwei Freundinnen waren oft für mich da. Und Freunde und Bekannte, die sich einfach mal gemeldet haben. Alleine hätte ich das alles nicht geschafft.“

    Du hattest viele Momente, in denen Du verzweifelt warst und hast auch jetzt noch schwierige Phasen. Gab es eine Situation, in der Du gespürt hast, dass es nun aufwärts geht?

    „Ja, nach der Operation hat sich etwas zum Positiven entwickelt. Meine Haare kamen wieder und ich habe erkannt, dass ich mich wieder wohlfühlen kann in meiner Haut. Stephan und ich haben uns dann auch verlobt. Allerdings war ich damals noch weit davon entfernt, in den Alltag zurückzufinden. Ein paar Schritte zu gehen, hat mich schon sehr viel Kraft gekostet. Und ich musste extrem darauf achten, mich vor einer Infektion zu schützen. Mein Immunsystem war ja völlig heruntergefahren. Es macht was mit der Psyche, wenn man immer mehrfach überlegen muss, ob jemand zu Besuch kommen darf.“

    Warum hast Du diese Bilder machen lassen und veröffentlicht?

    „Ich habe mich am Anfang sehr zurückgezogen. Das hat mir nicht geholfen und meinem Umfeld auch nicht. Ich habe gemerkt, dass es wichtig ist, über die Krankheit zu sprechen, für mich und für die Menschen um mich herum. Das Shooting habe ich in erster Linie für mich gemacht, ich will die Krankheit auf Bildern festhalten – auch um zu sehen, wie man sich in der Zeit doch verändert. Das betrifft das Äußerliche, aber auch mein Inneres, mein Strahlen, meine Offenheit und den Mut, Gefühle zu transportieren. Mit den Bildern und dem Blog möchte ich aber auch anderen Mut machen, sich selbst so zu lieben wie man ist.“

    Bald bekommst Du die letzte Einheit der Chemotherapie. Wie geht es dann weiter?

    „Das weiß ich noch nicht genau. Ich gehe vom Besten aus und hoffe, dass ich mit der Therapie Ende September durch bin. Dann folgt ein spezielles CT, bei dem der ganze Körper gescannt wird, und daraufhin muss ich auf das Ergebnis warten. Danach steht die Reha an und ich gebe alles dafür, fit zu werden. Ich muss meinem Körper Zeit geben, um all das zu verarbeiten. Dann wird es alle drei Monate Kontrolluntersuchungen geben. Wenn ich mal schwarz auf weiß habe, dass alles gut ist, werde ich mit meiner Familie und Freunden anstoßen und dann mit Stephan nach Kanada fliegen, das ist ein ganz großer Wunsch. Und dann möchte ich endlich wieder als Kosmetikerin arbeiten und meine Ausbildung zur Yogalehrerin nachholen. Damit komme ich hoffentlich in meinen Alltag zurück, kann viel Zeit mit der Familie verbringen und bekomme auch wieder das Gefühl, gebraucht zu werden.

    Im Mai hat Alina die Fotografin Katharina Kraus kennengelernt. In einem Blog berichten die beiden von den gemeinsamen Aufnahmen: seelenportraits.com/post/wenn-dein-leben-neu-beginnt

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden