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Türkheim: Wertachfreunde sagen: „Das Risiko durch den Probestau der Wertach ist da!“

Türkheim

Wertachfreunde sagen: „Das Risiko durch den Probestau der Wertach ist da!“

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    Eine Menge Unterlagen haben die Wertachfreunde zusammengetragen, die aus ihrer Sicht gegen einen weiteren Anstau der Wertach sprechen. Gudrun Kissinger-Schneider vom Bund Naturschutz und Leo Rasch vom Landesbund für Vogelschutz erklären im MZ-Interview, warum sie gegen den Probestau sind.
    Eine Menge Unterlagen haben die Wertachfreunde zusammengetragen, die aus ihrer Sicht gegen einen weiteren Anstau der Wertach sprechen. Gudrun Kissinger-Schneider vom Bund Naturschutz und Leo Rasch vom Landesbund für Vogelschutz erklären im MZ-Interview, warum sie gegen den Probestau sind. Foto: Alf Geiger

    Gemeinsam haben der Fischereiverein Türkheim, der

    Frau Kissinger-Schneider, vor zehn Jahren wurde schon einmal durch den Druck vieler Türkheimerinnen und Türkheimer ein Anstauen der Wertach vor dem Wasserkraftwerk um 60 Zentimeter verhindert. Jetzt hat Betreiber Alois Ruf einen neuen Anlauf genommen. Hat Sie das überrascht?

    Gudrun Kissinger-Schneider: Etwas schon, denn wir hatten vor ein paar Monaten einen sehr guten Termin mit Herrn Ruf, als es um die Ausgestaltung der Fischtreppe ging. Dabei war von einem erneuten Antrag für den Probestau keine Rede. Das fanden wir dann schon etwas seltsam. 

    Herr Rasch, Sie sind als Vertreter der Wertachfreunde bekannt, haben aber als Vertreter des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) gegen den Probestau der Wertach Einsprüche erhoben. Warum?

    Leo Rasch: Der LBV ist als „Träger öffentlicher Belange“ am Verfahren beteiligt. Die Wertachfreunde sind ein Zusammenschluss der genannten Naturschutzverbände und setzt sich seit 2014 für einen besseren ökologischen Zustand des heimischen Flusses im Unterallgäu ein. Wir sind eine von 16 Flussallianzen in Bayern.

    Warum wehren Sie sich gemeinsam gegen den geplanten Probestau der Wertach?

    Kissinger-Schneider: Die Wertach ist schon heute in ihrem Lauf sehr stark begradigt und verbaut. Dazu kommen die vielen Stauhaltungen und so sind nur noch wenige kurze Fließstrecken verblieben. Nur sie können als Lebensraum für bedrohte, strömungsliebende Fischarten dienen und wir erachten diese Bereiche als besonders wertvoll.

    Der Betreiber behauptet aber, dass durch den Stau keinerlei Risiken bestehen würden.

    Rasch: Die Wertachfreunde als Naturschützer sind überzeugt, dass durch den höheren Pegelstand der Wertach der Fließquerschnitt vergrößert und die Fließgeschwindigkeit verringert wird. Das führt dazu, dass die durch die vorgelagerten Stauseen ohnehin schon erhöhte Wassertemperatur noch weiter ansteigen würde.

    Die Wertach ist aber schon heute kein naturbelassener Fluss mehr.

    Kissinger-Schneider: Das stimmt, leider. Auf fast 70 Prozent dieser wenigen Fließstrecken ist keine Strömungsvielfalt mehr vorhanden. Das muss aber gar nicht negativ gewertet werden! Mit Maßnahmen wie dem Einbringen von Totholz, wechselseitigen Strömungslenkern und Kieszugaben kann auch in degradierten Fließstrecken die Strukturvielfalt und Lebensraumqualität erhöht werden. Dafür haben wir beim Landratsamt auch Beispiele vorgelegt.

    Worauf stützen sich ihre Behauptungen?

    Leo Rasch: Bei unseren Begehungen war eindeutig eine Fließcharakteristik bis zum Flusskilometer 44,8 auf Höhe der Danziger Straße erkennbar, mindestens. Die Verwirbelungen im Wasser und die Umspülung der kleinen Schotterfläche auf Höhe der Sudetenstraße sind augenscheinlich gut erkennbar. Auch im Gewässerentwicklungskonzept ist der Bereich als „fließend, stark eingetieft“ verzeichnet.

    Das bedeutet?

    Kissinger-Schneider: Damit widersprechen die Wertachfreunde der Behauptung des Betreibers, dass sich die Veränderungen ausschließlich auf den ohnehin bereits vorhandenen Staubereich zwischen Wasserkraftanlage und Rauer Rampe bei der Pegelmessstelle erstrecken und die Auswirkungen unerheblich sein sollen.

    Was sagen die Wertachfreunde dazu?

    Leo Rasch: Es ist festzuhalten, dass sich mit dem geplanten Probestau der Rückstaubereich bis zur Rauen Rampe um gut 500 Meter verlängern bzw. die Fließstrecke verkürzen wird. Die im Gewässerentwicklungskonzept dargestellten verbessernden Maßnahmen würden damit nutzlos gemacht. Auch das geht aus unseren Unterlagen im Einspruch eindeutig hervor. 

    Dann rechnen Sie mit einer Ablehnung des Antrags auf eine wasserrechtliche Genehmigung durch das Landratsamt?

    Kissinger-Schneider: Für uns Wertachfreunde wäre diese Genehmigung ein Verstoß gegen das Verbesserungsgebot der europäischen Wasserrahmenrichtlinie.

    Welche Auswirkungen befürchten die Wertachfreunde?

    Leo Rasch: Die zu erwartende Reduzierung der Fließgeschwindigkeit beeinträchtigt in unseren Augen den Lebensraum bei den vorherrschenden Niedrigwasserständen. Die Gewässersohle in dem Bereich ist zwar mit Feinmaterial befrachtet aber nicht verschlammt, wie in dem Gutachten des Betreibers behauptet wird. Eine Verschlammung der überstauten Bereiche wird damit wahrscheinlich. Daneben kann sich der Flutende Hahnenfuß (Ranuculus fluitans), eine typische Wasserpflanze der Stauhaltungen, sprunghaft vermehren und zu Problemen am Turbineneinlauf führen.

    Wie kommen Sie darauf?

    Kissinger-Schneider: Es gibt dafür Beispiele bei der Firma Salamander.

    Aber Wasserkraft gilt doch zu Recht als regenerative Energie, die in Zeiten der Energiewende dringend gebraucht wird.

    Leo Rasch: Zweck des Vorhabens ist die Mehrerzeugung von rund 600.000 kWh/Jahr. Aus unserer Sicht kommt es infolge des Klimawandels zu immer länger andauernden Niedrigwasserständen in den Flüssen, was zwangsläufig den Ertrag aus der Wasserkraft verringert. Die geplante Stauzielerhöhung kann lediglich einen Teil davon kompensieren.

    Liegt das auch an der Bauweise des Wasserkraftwerks?

    Kissinger-Schneider: Nein, mit dem Höherstau der Wertach soll eine Vergrößerung der Kaltwasserzone im Staubereich erreicht werden, wird behauptet. Wir sind jedoch überzeugt, dass dies mittelfristig eher zu einer Vergrößerung der Schlammschicht am Boden kommen wird, weil unseres Wissens nach weder das Kraftwerk noch das Wehr über einen Grundablass verfügen.

    Der Betreiber hat in Gutachten festgestellt, dass die Wertach inzwischen so ausgebaut und strukturell gänzlich verändert ist, dass die enorme Eintiefung wenig Aussichten hat, wirklich nachhaltig fisch- und gewässerökologisch verbessert zu werden.

    Kissinger-Schneider: Der Gutachter widerspricht sich dann aber quasi selbst, indem er dann aber ergänzende Verbesserungspotenziale aufzeigt.

    Was werfen Sie den beteiligten Behörden vor?

    Leo Rasch: Wir fordern die Politik und das Wasserwirtschaftsamt Kempten eindringlich dazu auf, die verbessernden Maßnahmen aus dem Gewässerentwicklungskonzept endlich umzusetzen! Die zu erwartende Schädigung des Lebensraums im Wasser der Wertach durch den verlängerten Rückstaubereich verstößt gegen das Verschlechterungsverbot der europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Mit der geplanten Stauzielerhöhung wird die Zielerreichung des guten ökologischen Potenzials bis 2027 zusätzlich erschwert. Statt dessen sind die wenigen verbliebenen Fließstrecken zu schützen, auszuweiten und aufzuwerten.

    Also, sie sind grundsätzlich für Wasserkraft, aber eben nur, wenn es dem Standort nicht schadet?

    Kissinger-Schneider: So könnte man das zusammenfassen. Und weil wir überzeugt sind, dass ein weiterer Anstau der Wertach schaden würde, sind wir in diesem konkreten Fall dagegen.

    Werden Sie gegen den Bescheid juristisch vorgehen?

    Leo Rasch: Wir sehen jetzt erst einmal einem schnellen Verfahren am Landratsamt mit einem öffentlichen Erörterungstermin entgegen. Kissinger-Schneider: Ich sehe momentan noch keinen Anlass für eine Klage. Wir rechnen fest damit, dass das Landratsamt unsere Bedenken und die der vielen Türkheimerinnen und Türkheimer ernst nimmt. Für uns als Wertachfreunde und Naturschützer gibt es nur eine Prämisse: Die Wertach darf nicht noch mehr leiden! Interview: Alf Geiger

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