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Türkheim/Irsingen: Als "Fremde" die Türkheimer Bevölkerung verunsicherten

Türkheim/Irsingen

Als "Fremde" die Türkheimer Bevölkerung verunsicherten

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    Viktoria Lofner-Meir sprach über die Wahrnehmung von Fremden damals und heute, im Rahmen eines Seniorennachmittags im Pfarrheim in Irsingen.
    Viktoria Lofner-Meir sprach über die Wahrnehmung von Fremden damals und heute, im Rahmen eines Seniorennachmittags im Pfarrheim in Irsingen. Foto: Sabine Schaa-Schilbach

    Die Wahrnehmung von Fremden damals und heute stand im Mittelpunkt des Seniorennachmittags im Pfarrheim in Irsingen. Viktoria Lofner-Meir (69), Ministerialrätin a.D., sprach über ein Thema, das vor 75 Jahren genauso wie heute die Menschen in

    Nach dem Krieg kamen Vertriebene, heute kommen Flüchtlinge nach Türkheim und Irsingen

    "Fremde – Vertriebene – Einheimische": die Wahl des Themas legte schon einmal Wert auf Unterscheidungen. Nach dem Krieg hatte die Bevölkerung in Irsingen es mit Vertriebenen zu tun, heute sind es Flüchtlinge aus der Ukraine, aus Syrien, aus Afghanistan und afrikanischen Ländern. Viktoria Lofner-Meirs Vortrag basierte auf Daten der neuen Irsinger Dorfchronik, aus Zeitungsartikeln und der aktuellen Lage. 

    Die ehemalige Referatsleiterin im bayerischen Landwirtschaftsministerium hatte während ihrer Berufstätigkeit die Schwerpunkte Landfrauenarbeit und Einkommenssituation. Nach der Pensionierung ist sie weiter tätig, jetzt ehrenamtlich für eine Stiftung des Deutschen Entwicklungsministeriums. Dafür besuchte sie die Ukraine, Kenia und Uganda. Als Tochter von Anselm Lofner, der in den Jahren 1948 bis 1976 Bürgermeister von Irsingen war, erlebte sie als Kind das dörfliche Geschehen der Nachkriegszeit ganz aus der Nähe.

    Die Angst der Dorfbevölkerung vor den Vertriebenen sei damals groß gewesen. In der Mehrzahl hatte man kein Geld, es gab noch keinen Sozialstaat. Selbst oft in beengten Wohnverhältnissen lebend, mussten die Dorfbewohner für die Heimatvertriebenen Zimmer zur Verfügung stellen, Kleidung und Decken abgeben. Den knapp vierhundert Einwohnern nach Kriegsende standen um die 200 „Fremde“ im Dorf gegenüber, meist Frauen und Kinder. Aber auch ehemalige russische Kriegsgefangene waren darunter ("die stehlen"). Von den Behörden wurde versucht, möglichst viele der Hinzugekommenen in Arbeit zu bringen. Aber es gab viel Unfrieden. Auch die jüdischen ehemaligen Gefangenen wurden argwöhnisch und neidisch betrachtet. Es gab "großes Aufatmen", als sie 1949 das Dorf verlassen hatten. 

    Ein unrühmliches Beispiel aus Irsingen für Selbstjustiz in dieser Zeit schaffte es 1950 in einen Spiegel-Bericht. Eine Roma-Familie, ursprünglich aus Türkheim, hatte sich in Irsingen niedergelassen. Ihre Hütte samt Kindern und Inventar wurde von den Bürgern nach

    Vieles aus der Nachkriegszeit scheint sich zu wiederholen

    Vieles aus dieser Zeit scheint sich jetzt zu wiederholen, auch wenn die Rahmenbedingungen andere sind. Die Notwendigkeit von Integration habe damals das Schicksal der Vertriebenen bestimmt und tue es auch heute für das Schicksal von Flüchtlingen. Heute wie damals stehe die Bewahrung und Weitergabe von Besitz bei den Menschen ganz oben. Im Dorf sei die Mehrheit heute miteinander verbunden, sie teile die gleiche Kultur, und auch die politische Situation sei anders als damals. In Irsingen wohne derzeit nur eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien, die gut integriert sei.

    Als Beispiele für den Umgang mit Flüchtlingen heute erzählte Viktoria Lofner-Meir von ihren eigenen Erfahrungen in der ehrenamtlichen Arbeit, hier und in den Heimatländern. Sie erinnerte an die großen Katastrophen. Unlängst das Erdbeben in der Türkei und in Syrien, mit weit über 50.000 Toten, und an die verzweifelte Lage der Überlebenden: "Jeder Mensch verdient Respekt". Die "Würde des Menschen" aus dem Grundgesetz sei kein leerer Begriff. Sie zitierte Kaplan Marco Leonhart von der Türkheimer Pfarreiengemeinschaft: "Die Welt braucht Liebe, die Welt braucht Herz." 

    Sie sprach von den Möglichkeiten für Integration in den Vereinen und beim Sport. Mit persönlichem Engagement sei dafür viel im Kleinen zu bewirken. Sie lobte die große Hilfsbereitschaft und die positiven Erfahrungen mit ukrainischen Flüchtlingen in Irsingen. Sie kritisierte aber auch die starre Bürokratie bei Hilfen und die Tatsache, dass viele Flüchtlinge nicht arbeiten dürften, obwohl sie das könnten und wollten.

    Zum Schluss gab es noch eine kleine Diskussion. Im Erfahrungsbericht eines älteren Irsingers waren die Erinnerungen an die Vergangenheit übermächtig: "Dieses Zimmer ist beschlagnahmt!" Es habe aber auch freundschaftliche Beziehungen zu den ehemaligen russischen Kriegsgefangenen gegeben. Insgesamt sei es damals eine Zeit großer Verunsicherungen gewesen. Ob das auch für heute gilt?

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