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Türkheim: Glänzende Finanzen, düstere Aussichten

Türkheim

Glänzende Finanzen, düstere Aussichten

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    Die Gemeinde Türkheim stemmt einen 29-Millionen-Euro-Rekordhaushalt und investiert alleine in diesem Jahr mehr als zehn Millionen Euro in die Zukunft. Symbolfoto: Silvio Wyszengrad
    Die Gemeinde Türkheim stemmt einen 29-Millionen-Euro-Rekordhaushalt und investiert alleine in diesem Jahr mehr als zehn Millionen Euro in die Zukunft. Symbolfoto: Silvio Wyszengrad Foto: Silvio Wyszengrad

    Da konnte einem Türkheims Kämmerer Claus-Dieter wirklich leid tun: Sichtlich angeschlagen humpelte er in den Sitzungssaal, schaffte es nur mit zwei Krücken bis zu seinem Platz. Doch nicht etwa die bevorstehende Haushaltsberatung hatte ihn so in Mitleidenschaft gezogen – der passionierte Tennisspieler hat sich den Fußknöchel verletzt.

    Türkheim investiert alleine in diesem Jahr mehr als zehn Millionen Euro

    Es ist dennoch unwahrscheinlich, dass Hiemer auch ohne diese Verletzung vor lauter Freude über die finanzielle Situation seiner Marktgemeinde Purzelbäume geschlagen hätte. Dabei hätte er dazu sogar allen Grund gehabt: Mit einem Rekordhaushalt von mehr als 29 Millionen Euro stemmt die Gemeinde Türkheim Geldmengen, von denen selbst die allergrößten Optimisten vor wenigen Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt hätten. Mit 10,6 Millionen Euro investiert die Gemeinde allein in diesem Jahr eine Summe in die zahlreichen Projekte, die noch vor zehn Jahren den gesamten Finanzhaushalt der 8000-Einwohner-Gemeinde gesprengt hätte.

    Kämmerer Claus-Dieter Hiemer
    Kämmerer Claus-Dieter Hiemer Foto: privat

    Und trotz allem steht die Gemeindekasse bis jetzt glänzend da: Keine Steuererhöhungen in Sicht, keine nennenswerten Schulden, ein gut gefülltes Festgeldkonto, die laufenden Kosten im Griff, überraschend stark sprudelnde Steuereinnahmen bei der Gewerbe- und bei der Einkommenssteuer.

    „Es läuft erstaunlich gut“, sagte Hiemer also und meinte damit nicht sich selbst, sondern seine Aufgabe als Kämmerer. Und doch – als Hiemer zu seiner Haushaltsvorstellung anhob, wirkte er eher wie der alte Hiob oder ein frustrierter Tagesschausprecher.

    Nicht die aktuellen Zahlen sind es, die den Blick in die (finanzielle) Zukunft nicht nur für Hiemer so düster machen – vielmehr sind es die „schwierigen Rahmenbedingungen“, die Hiemer – wie derzeit wohl allen Menschen – die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Ukraine-Krieg, explodierende Energiekosten, Inflation, Lieferengpässe, Lohn-Preis-Spirale, steigende Zinsen, Handelskonflikte, geopolitische Konflikte, Nullzinspolitik ... War da noch was? Ach ja, die Coronakrise, die seit zwei Jahren die gesellschaft im Griff hat.

    Zumindest aus dieser Krise kommt die Gemeinde Türkheim gut, sogar gestärkt – und irgendwie kann es selbst Kämmerer Hiemer fast immer noch nicht so recht glauben, dass die befürchteten Einbrüche bei den Einnahmen in der Wertachtalgemeinde so gar keine Spuren hinterlassen haben. Im Gegenteil: Die Einnahmen bei der Gewerbesteuer und Einkommenssteuer lagen und liegen deutlich über den vorsichtigen Prognosen, mit denen Hiemer seinen Haushalt auch in den vergangenen zwei Jahren schon erfolgreich zusammengehalten hatte.

    Und so wäre es fast eine strahlende Bilanz geworden, wenn da nicht diese unsäglich negativen Zukunftsaussichten die gute Laune zunichte machen würden.

    Mehrere Großprojekte belasten den Haushalt der Gemeinde Türkheim

    Das Haushaltsvolumen liegt insgesamt bei etwa 29 Millionen Euro, davon betreffen rund 18,4 Millionen den laufenden Etat und rund 10,6 Millionen den Vermögenshaushalt. Die teuersten Investitionen des Jahres 2022 sind die aktuell laufenden Erschließungsarbeiten beim Baugebiet in Irsingen, die im Herbst fertige Waaghaus-Sanierung, der jüngst eingeweihte Anbau Grundschule, der begonnene Neubau der Sozialwohnungen am Keltenweg, der vorgesehene Radwegtunnel unter die Staatsstraße St2015 und die erheblichen und unaufschiebbaren Investitionen in die Infrastruktur, vor allem im Bereich Wasser und Abwasser.

    Hiemer ist dennoch optimistisch: „Die laufende Einnahmensituation schaut im Moment immer noch überraschend gut aus, die größten Einnahmen wären planmäßig mit 5,5 Millionen Euro, die Gewerbesteuer und mit 4,5 Millionen die Einkommensteuerbeteiligung, was bei beiden Steuerarten Rekordeinnahmen bedeuten würde.“

    Maßgeblich zum Haushaltsausgleich im laufenden Jahr trugen laut Hiemer neben dem genannten Einnahmenüberschuss aus dem Verwaltungshaushalt und den Zuschüssen vom Freistaat Bayern (Kindergärten, Waaghaus, Grundschule, Keltenweg) auch rund vier Millionen Euro Einnahmen aus den Bauplatzverkäufen in Türkheim und Irsingen samt Erschließungsbeiträgen bei.

    Daher wäre auf Basis der Planung in 2022 eigentlich auch keine Neuverschuldung notwendig gewesen, der Haushalt hätte ohne Probleme durch eine Rücklagen-entnahme ausgeglichen werden können, betonte Hiemer.

    Dennoch habe sich die Gemeinde „mit Blick auf die Finanzplanung, die bis 2025 ja spürbare Kreditaufnahmen vorsieht, bereits in 2022 eine Million Euro neue Schulden zu äußerst günstigen Zinsen“ gesichert.

    Die Verschuldung zur Jahresmitte 2022 hatte vor dieser Kreditaufnahme bei rund 250.000 Euro gelegen, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von gerade einmal 35 Euro entspricht.

    Mit dem Millionenkredit steigt die Verschuldung dann zum Jahresende auf rund 1,2 Millionen Euro und damit auf rund 165 Euro, die rein rechnerisch auf jeden und jede Türkheimerin und jeden Türkheimer entfallen.

    Doch auch das ist alles andere als Grund zur Sorge, wie Hiemer betonte, denn zum Jahresende 2022 stehen planmäßig rund 2,5 Millionen Euro Rücklagen auf der Haben-Seite.

    Die vielen Aufgaben, die sich Türkheim jetzt vorgenommen und bereits angepackt hat, werden in den kommenden Jahren aber dafür sorgen, dass es auf lange Zeit vorbei sein wird mit der aktuellen „schwarzen Null“: Hiemer rechnete vor, dass die Investitionen bis ins Jahr 2025 unterm Strich rund 45 Millionen Euro kosten und damit „trotz solider Haushaltspolitik und vorhandener Rücklagen dauerhaft nicht ohne Kreditaufnahmen darstellbar“ seien.

    Aus heutiger Sicht werde der Markt Türkheim bis 2025 rund 7,7 Millionen Euro neue Schulden aufnehmen müssen. Spätestens dann werde die Pro-Kopf-Verschuldung in Türkheim auf rund 1000 Euro in die Höhe schnellen, was auch im Vergleich zu den Gemeinden im Unterallgäu (500 Euro) und im Freistaat (700 Euro) überdurchschnittlich sein werde.

    Reichlich düstere Aussichten also auch ohne all die genannten „Unsicherheitsfaktoren“, die jedoch alles nur noch schwerer machen, so Hiemer sichtlich frustriert: „Bis 2025 besteht ein erhebliches Prognoserisiko, daher können die freien Finanzspannen in den Folgejahren eventuell noch geringer ausfallen als in diesem ohnehin vorsichtigen Zahlenwerk abgebildet“, so Hiemer: „Wir leben in unsicheren Zeiten, vieles was gestern selbstverständlich war, gilt morgen vielleicht schon nicht mehr …“

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