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Türkheim: Energiewirtschaft oder Landwirtschaft?

Türkheim

Energiewirtschaft oder Landwirtschaft?

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    Große Photovoltaik-Anlagen – auch Solarparks genannt – findet man inzwischen häufiger, wie hier in Derndorf bei Kirchheim. Im Süden von Irsingen will die Ökovolt Solartechnik auf einem sieben Hektar großen Feld eine PV-Anlage errichten. Darüber wurde im Türkheimer Gemeinderat heftig diskutiert.
    Große Photovoltaik-Anlagen – auch Solarparks genannt – findet man inzwischen häufiger, wie hier in Derndorf bei Kirchheim. Im Süden von Irsingen will die Ökovolt Solartechnik auf einem sieben Hektar großen Feld eine PV-Anlage errichten. Darüber wurde im Türkheimer Gemeinderat heftig diskutiert. Foto: Karl Klaiber (Archivfoto)

    Zwei Bauvoranfragen lösten im Marktrat eine Grundsatzdebatte aus. Auf einen Nenner gebracht: Können wir es uns angesichts der weltpolitischen Entwicklung leisten, gutes Ackerland für PV-Anlagen zu nutzen?

    Denn wenn die Ukraine als Kornkammer Europas tatsächlich wegfallen würde, gibt es Versorgungsengpässe mit Weizen. Auf der anderen Seite ist auch die Energiewende eingeläutet, eigene Energiequellen müssen genutzt werden, um zum Beispiel von russischem Gas unabhängig zu werden.

    Südlich von Irsingen soll eine Photovoltaikanlage entstehen

    Und so warf der Ukrainekrieg seine Schatten bis in den Sitzungssaal der Türkheimer Räte, die sich außerstande sahen, diese weitreichenden Fragen sofort zu beantworten und am Ende eine Entscheidungsrunde einberiefen, die bis zu nächsten Sitzung zusammen mit Bürgermeister Christian Kähler eine Entscheidungshilfe ausarbeiten soll.

    Im Süden von Irsingen will die Ökovolt Solartechnik auf einem sieben Hektar großen Feld eine PV-Anlage errichten. Diese soll eine Doppelnutzung der Acker- und Grünflächen erlauben. Es sollen zwei Systeme zum Einsatz kommen. Ein Zaunsystem, welches zwei Module horizontal übereinander montieren lässt und eine Höhe von 2,6 Meter erreicht. Der Reihenabstand beträgt sieben Meter. Weiter ist ein von Ost nach West ausgerichtetes System geplant. Beide Systeme seien für eine

    Die andere Bauvoranfrage betrifft ein Grundstück mit 33.800 Quadratmetern in der Nähe des Türkheimer Wertstoffhofes. Auch hier ist an eine Doppelnutzung gedacht, 70 Prozent der Fläche könnten landwirtschaftlich genutzt oder als Blumenwiese verwendet werden. Der erzeugte Strom könnte der Kläranlage, die einen hohen Energiebedarf hat, zugeführt werden. Der Strom könnte aber auch in die regionale Energieversorgung eingeleitet werden. Der Antragsteller würde eine senkrechte Aufständerung der Module bevorzugen.

    Bürgermeister Christian Kähler stellte beide Vorhaben dem Rat vor und erinnerte auch daran, dass der Bauausschuss erst kürzlich ein ähnliches Vorhaben abgelehnt hatte, weil es zu nahe an der Wohnbebauung geplant war.

    Solaranlagen auf die Dächer, das Ackerland für den Anbau von Getreide, diese Forderung wurde in der Sitzung des Marktrates laut, als es um die Ausweisung von PV-Anlagen im Süden von Irsingen und im Norden von Türkheim ging. Wenn die Anlage kommt, dann kann sich Irsingen nicht mehr nach Süden ausweiten, so auch die Befürchtung.
    Solaranlagen auf die Dächer, das Ackerland für den Anbau von Getreide, diese Forderung wurde in der Sitzung des Marktrates laut, als es um die Ausweisung von PV-Anlagen im Süden von Irsingen und im Norden von Türkheim ging. Wenn die Anlage kommt, dann kann sich Irsingen nicht mehr nach Süden ausweiten, so auch die Befürchtung. Foto: Wilhelm Unfried

    „Auf Grund der aktuellen Lage, werden wir in den nächsten Monaten verstärkt derartige Anfragen bekommen“, meinte der Bürgermeister. Und es würde die Verwaltung überfordern, wenn man jedes Projekt einzeln bearbeiten müsste. Er wünsche sich deshalb vom Gremium Leitlinien, wie man in Zukunft mit derartigen Anfragen umzugehen habe. „Uns fehlt ein verlässlicher Rahmen“, sagte er.

    Zunächst debattierte der Rat über das Vorhaben in Irsingen. Josef Vogel (Freie Wähler) begann mit einem längeren Statement. Man brauche neue Wege in der Energiegewinnung, aber nicht um jeden Preis. Natur und Umwelt müssten zueinander passen. Er erinnerte daran, dass Irsingen schon genug Opfer bringe und nannte Bahnlinie, Autobahn, Kiesabbau und Umspannwerk. Noch schwerer wiege seiner Meinung nach, dass es sich hier um ein großes zusammenhängendes Areal für die landwirtschaftliche Nutzung handele. Weiter sorgte er sich um das Landschaftsbild. Dass es um eine wichtige Grundsatzentscheidung geht, wurde auch daran deutlich, dass viele Bürger die Sitzung in der Turnhalle der Mittelschule verfolgten.

    Marktbaumeister Christian Schinnagel erinnerte daran, dass Irsingen nur noch nach Süden erweitert werden könne. Sollte das Vorhaben Wirklichkeit werden, dann gehe über Jahr nichts mehr.

    Marcus Jakwerth (Freie Wähler) bezweifelte, dass man die Böden zwischen den Ständern noch sinnvoll landwirtschaftlich nutzen könne. Man sei schon in einer Zwickmühle, denn oft würden die landwirtschaftlichen Flächen für Mais genutzt, der dann in den Biogasanlagen verschwinden würde. Und er verwies auf viele ungenutzte Möglichkeiten für PV-Anlagen im Ort, wie zum Beispiel die Dächer, darunter auch Gebäude, die der Gemeinde gehören.

    Photovoltaik auf besten landwirtschaftlichen Flächen: Diese Grundsatzfrage beschäftigt den Türkheimer Rat

    Das ganze Dilemma zeigte Dritte Bürgermeisterin Gudrun Kissinger-Schneider (Grüne) auf. Nach ihrer Ansicht habe man die Energiewende verschlafen. Bayern habe letztes Jahr fünf Milliarden für russisches Gas bezahlt, auf der anderen Seite werde aber mit der H10-Regelung die Windkraft ausgebremst. Wir müssen jetzt mit der Wende anfangen, betonte sie.

    Peter Ostler (Wählervereinigung) erinnerte daran, dass es eigentlich genügend Flächen – zum Beispiel entlang der Autobahn, Straßen und Bahn – gebe, die für PV-Anlagen geeignet seien, ohne gute Böden zu eliminieren.

    Zweiter Bürgermeister Franz Haugg (Freie Wähler) forderte ein Gesamtkonzept für die Marktgemeinde – eine Art Leitfaden für die Gemeinde, damit diese mit den Bauvoranfragen umgehen könne. Sicher würden sich Fragen wie Energiegewinnung und die Gewinnung von Lebensmittel gegenüber stehen. „Sind wir bereit auf besten landwirtschaftlichen Flächen Photovoltaikanlagen zu zulassen?“ so seine Frage an seine Kollegen.

    Ähnlich äußerte sich Christian Schreiber (CSU). Man brauche eine Grundlage, wo und wie gebaut werden könne und erinnerte an eine kürzlich erfolgte Genehmigung bei den Salamander Werken.

    Eine Entscheidungshilfe brachte Marktrat Stefan Gaschler (CSU) ins Spiel. Er habe im Internet nachgeforscht. Das bayerische Umweltamt habe bereits vor Jahren versucht, diese Fragen zu beantworten und einen dicken Leitfaden veröffentlicht, worin es Antworten auf all die Fragen, die im Laufe der Debatte aufgetaucht sind, zu beantworten.

    CSU-Marktrat
    CSU-Marktrat Foto: Wilhelm Unfried

    Nachdem sich die Diskussion nach fast 90 Minuten immer um die gleichen Fragenkomplexe drehte, fasste der Rat einen salomonischen Entschluss. Bis zur nächsten Ratssitzung soll ein Arbeitskreis aus allen Fraktionen einen Leitfaden für Türkheim entwickeln. Wenn dieser vorliegt, dann wird der Marktrat die Bauvoranfragen beraten.

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