Was war das für Aufsehen, als der ehemalige Bundesliga-Torhüter Tim Wiese vor vier Jahren beim Augsburger Kreisligisten SSV Dillingen für ein Spiel das Tor hütete: riesiges Medienecho, 2000 Zuschauer, Live-Übertragung auf der Facebook-Seite des Bayerischen Fußballverbandes. Was wäre aus der Nummer wohl geworden, hätte es sich statt Wiese um einen vierfachen Europacupsieger, vierfachen Deutschen Meister und dreifachen DFB-Pokalsieger gehandelt, der außerdem noch für eine komplette Saison zugesagt hätte?
Genau das nämlich passierte vor 40 Jahren in Mindelheim: Da gab der damalige Vorsitzende des TSV Mindelheim, Fritz Riebel, bekannt, dass zur neuen Bezirksligasaison kein Geringerer als Franz „Bulle“ Roth das Trikot der Mindelheimer tragen würde.
Der Arzt empfiehlt Roth weiterhin Sport
In Bad Wörishofen haben sich der Bauunternehmer Riebel und der Ex-Profi Roth kennengelernt. Irgendwann hat Roth dann erwähnt, dass ihm der Arzt empfohlen habe, weiter Sport zu machen. Riebel wurde hellhörig und fragte offiziell an, ob sich der ehemalige Bundesligastar ein Engagement beim ambitionierten Bezirksligisten TSV Mindelheim vorstellen könne. Da der TSV Mindelheim der einzige Verein war, der mit Roth verhandelte, fiel die Entscheidung schnell.
Riebel erhoffte sich neben sportlichem Erfolg auch den einen oder anderen Zuschauer mehr im Stadion: „Franz Roth sollte Spieler und Zuschauer begeistern“, sagte Riebel damals der Mindelheimer Zeitung. Ein Alleingang des Vorsitzenden war es jedoch nicht.
„Fritz Riebel hat mit mir vorher darüber gesprochen“, sagt Hans Fischer. Der 84-jährige Mindelheimer war damals Trainer der ersten Mannschaft. „Da habe ich ihm gesagt: ’Wenn so etwas möglich ist, dann bin ich dafür.’“ In der MZ wurde Fischer folgendermaßen zum prominenten Neuzugang zitiert: „Wenn sich der neue Mann gut in das Mannschaftsspiel einfügt, dann wird er dem Mindelheimer Spiel sicher neue Impulse geben.“
Ein paar Sonderrechte gibt es für Franz Roth dennoch
Die Sorge, dass mit dem ehemaligen Bayern-Spieler ein Akteur mit Starallüren das Mannschaftsgefüge ins Wanken bringen könnte, war aber unbegründet. Ein paar Sonderrechte bekam der Ex-Profi dennoch zugestanden. „Er trainierte nur einmal pro Woche, weil er sich ja auch um sein Geschäft kümmern musste“, sagt Fischer. Außerdem habe er Libero spielen und Freistöße und Elfmeter schießen wollen. „Aber der Franz war ein ganz angenehmer Typ und gut zu führen“, sagt Fischer. „Ich habe mich untergeordnet, ich war schon eine Art Vorbild“, sagt Roth.
Auf dem Platz sei er seine rechte Hand gewesen, sagt Fischer. „Er hat die Burschen gut geführt. Die haben schon zu ihm aufgeschaut – und er ist mit gutem Beispiel vorangegangen“, erinnert sich Fischer. Gleich im ersten Saisonspiel am 15. August 1981 in Haunstetten erzielte der „Bulle“ per Strafstoß ein Tor beim 3:1-Sieg der Mindelheimer. Im folgenden Heimspiel, dem Derby gegen den FC Bad Wörishofen, sahen dann über 800 Zuschauer einen 5:2-Sieg des TSV Mindelheim. Der Aufstieg blieb den Mindelheimern am Saisonende letztlich versagt: Im Entscheidungsspiel in Kaufbeuren gegen den FC Kempten kassierten die Mannen von Hans Fischer in der Verlängerung in der 119. Minute den entscheidenden Gegentreffer.
Als Mindelheim in die Landesliga aufsteigt, ist Roths aktive Zeit vorbei
Auch im Folgejahr, diesmal unter Trainer Josef Balazik, wurde es nichts mit dem Aufstieg. Erst in der Saison 1983/84 war es soweit. Erneut war es ein Auswärtsspiel, erneut hieß der Gegner TSV Haunstetten. Diesmal gewann der TSV Mindelheim mit 2:0 und sicherte sich damit am vorletzten Spieltag die Meisterschaft und den Aufstieg in die Landesliga. Im letzten Saisonspiel, einem Heimspiel gegen Olympia Neugablonz erzielte Roth beim 1:1 seinen letzten Treffer für den TSV. „Die Landesliga war dann mit meinem Geschäft nicht mehr machbar. Die Reisen zu den Spielen waren zu lang. Außerdem hätte es mehr Training bedeutet“, sagt Roth.
An die Zeit in Mindelheim erinnert sich der 75-jährige Ex-Profi gerne zurück: „Wir hatten schon eine tolle Truppe damals.“
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