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Fußball-Experiment: Völlige Freiheit im Rücken der Abwehr

Fußball-Experiment

Völlige Freiheit im Rücken der Abwehr

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    „Plötzlich ist da einer hinter dir, der da nicht sein dürfte“: Während die erste Mannschaft des TSV Mindelheim (dunkle Trikots) bei ihrer Viererkette bleibt, versucht der Stürmer der zweiten Mannschaft (rechts) diese auszuhebeln.
    „Plötzlich ist da einer hinter dir, der da nicht sein dürfte“: Während die erste Mannschaft des TSV Mindelheim (dunkle Trikots) bei ihrer Viererkette bleibt, versucht der Stürmer der zweiten Mannschaft (rechts) diese auszuhebeln.

    In der 104. Minute des Champions-League-Viertelfinals vor zwei Wochen zwischen Real Madrid und dem FC Bayern München war es wieder offensichtlich: Ein Ball segelt hinter die Bayern-Abwehr, Madrids Cristiano Ronaldo nimmt den Ball an und schiebt seelenruhig zum zwischenzeitlichen 2:2 ein. Es war der Anfang vom Ende der bajuwarischen Europapokal-Saison – und ein klares Abseitstor.

    Ginge es nach dem früheren Weltklassestürmer und heutigem technischen Direktor des Weltfußballverbandes Fifa, Marco van Basten, dann hätte es die Diskussionen um diesen Treffer nicht geben müssen. Denn er denkt über die Abschaffung der Abseitsregel nach. Ohne Abseits könnten die Stürmer in der gegnerischen Hälfte hinter den Verteidigern lauern. „Sie hätten bessere Chancen, es würden mehr Tore fallen“, sagte van Basten in einem Interview mit der Sport-Bild vor einigen Wochen. In Oliver Bierhoff, dem ehemaligen deutschen Nationalstürmer, hat er einen prominenten Fürsprecher. In der Sport-Bild stellte er die Frage, warum der Wegfall der Abseitsregel das Spiel nicht attraktiver machen sollte. Und er fügte hinzu: „Vielleicht sollte man sich mal auf eine gewisse Testphase einlassen.“

    Genau das versuchte nun die Mindelheimer Zeitung: Ein Testspiel zweier Mannschaften mit Schiedsrichtergespann aber ohne Abseitsregel. Da ein offizielles Freundschaftsspiel ausgeschlossen war – der Bayerische Fußballverband (BFV) hält sich bei offiziell angemeldeten Spielen strikt an die geltenden Fifa-Regeln – stellten sich die erste und die zweite Mannschaft des TSV Mindelheim sowie ein Schiedsrichtergespann der Gruppe Südschwaben zu einem Trainingsspiel zur Verfügung.

    Die Kreisligamannschaft des TSV Mindelheim spielt gegen die eigene Reserve (Kreisklasse). Die Trainer der beiden Teams, Marco Henneberg und Carlos Azevedo, verzichteten darauf, das Personal zu mischen: „Erste“ gegen „Zweite“ also. Als Schiedsrichtergespann fungierten Kreisobmann Jürgen Warnck und seine Assistenten Burhan Secgin und Raphael Fackler. Die Spieldauer beträgt 2 x 30 Minuten.

    Marco Henneberg verordnet seiner Mannschaft keine große Taktikänderung: „Wir spielen hinten wie immer mit Viererkette und wollen bei Ballbesitz nach vorne drücken und Freiräume suchen.“ Sein Kollege von der zweiten Mannschaft, Carlos Azevedo, wählt eine andere Art. Seine Spieler, technisch und spielerisch dem Gegner unterlegen, suchen den Weg zum Erfolg mit langen Bällen in den Rücken der Abwehr.

    Und die Schiedsrichter? Auch die legen sich vor der Partie eine Strategie zurecht: „Die Assistenten laufen auf ihrer Seite auf Ballhöhe mit, um Fouls anzuzeigen.“ Die übliche Vorgabe, sich auf Höhe des letzten Mannes zu positionieren, entfällt.

    „Sie tun sich schwer“, sagt Marco Henneberg Mitte der ersten Halbzeit über seine Mannschaft. Tatsächlich scheint die zweite Mannschaft besser mit der neuen Freiheit in der Offensive umgehen zu können: Immer wieder stehen die Stürmer der TSV-Reserve hinter den Abwehrspielern und warten auf lange Bälle. Diese werden aber zumeist von der Defensive der ersten Mannschaft abgefangen. Nach 30 Minuten steht es 0:0, die großen Torchancen gibt es nicht. Auf beiden Seiten gäbe es drei Abseitsentscheidungen.

    Das ändert sich in der zweiten Hälfte. „Ihr müsst euch vorne besser lösen“, sagt Marco Henneberg seinen Stürmern in der kurzen Halbzeitpause. Das erste Tor fällt jedoch aus einer Standardsituation: Marko Hefele köpft einen Eckball zur 1:0-Führung für die „Erste“ ein. Im Gegenzug verpasst Thomas Kerler den Ausgleich. Hierbei profitiert er von der Regeländerung: In Abseitsposition fälscht er einen Schuss gefährlich ab, doch Lukas Ploß im Tor hält. Zwei Minuten später folgt das Paradebeispiel für diesen Feldversuch: Ein Pass aus dem Mittelfeld findet den Weg durch die Abwehr zum im Abseits stehenden Riccardo Schulz. Der legt zurück auf Robert Neuberger – 2:0 für die „Erste“. Von da an nutzt die Kreisligamannschaft ihre läuferische und spielerische Überlegenheit, gepaart mit dem konsequenten Ausnutzen des fehlenden Abseits’: Von den weiteren vier Toren fände nur eines eine regelkonforme Anerkennung. Auch beim zwischenzeitlichen Anschlusstreffer zum 1:4 steht Torschütze Niklas Jäger beim Pass klar im Abseits.

    Am Ende steht ein klarer 6:1-Sieg der ersten Mannschaft über die eigene Reserve. Fünf der sieben Treffer wären nach aktueller Regelauslegung dem Abseitspfiff zum Opfer gefallen. Selbst der Führungstreffer wäre wohl nicht gefallen, denn dem Eckball ging ebenfalls eine abseitsverdächtige Offensivaktion voraus. Stimmt also die These, dass ohne die Abseitsregel mehr Tore fallen? Auf den ersten Blick ja. Allerdings spielten auch zwei unterschiedlich starke Mannschaften gegeneinander. „Die Höhe des Ergebnisses war sicher auch dem Kräfteverhältnis geschuldet“, sagt Marco Henneberg nach der Partie.

    Seine Mannschaft tat sich vor allem in der ersten Halbzeit schwer damit, die taktischen Fesseln abzulegen. Im zweiten Durchgang aber nutzten die Stürmer Riccardo Schulz, Gottfried-Hubert Wesseli und Robert Neuberger den Freiraum deutlich besser, waren oft hinter der Abwehr anspielbar und erspielten sich damit eine Fülle von Torchancen.

    Nahezu beschäftigungslos waren die beiden Schiedsrichterassistenten von Jürgen Warnck. „Rund 80 Prozent der Entscheidungen fallen weg“, sagt Raphael Fickler. Vielmehr habe er sich ballorientiert verhalten müssen und eben nicht nach dem letzten Mann, um eine Abseitsstellung erkennen zu können. Doch mehr als ein Foulspiel und eine Handvoll Einwürfe musste er auf seiner Spielfeldseite nicht anzeigen. Auch seinem Kollegen auf der anderen Seite, Burhan Secgin, erging es nicht viel besser: „Ich hatte praktisch nichts zu tun.“

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