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Eine Augenweide auf dem Eis

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Eine Augenweide auf dem Eis

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    Beim olympischen Eishockeyturnier 1988 in Calgary standen sich Deutschland mit Dieter Medicus (rechts) und Torwart Josef Schlickenrieder (am Boden) und die Sowjetunion um Sergej Makarow auf dem Eis gegenüber. Dieses Spiel gewann die Sowjetunion mit 6:3.
    Beim olympischen Eishockeyturnier 1988 in Calgary standen sich Deutschland mit Dieter Medicus (rechts) und Torwart Josef Schlickenrieder (am Boden) und die Sowjetunion um Sergej Makarow auf dem Eis gegenüber. Dieses Spiel gewann die Sowjetunion mit 6:3. Foto: Archiv Medicus/Repro: Axel Schmidt

    Plötzlich war man dieser sagenhaften Mannschaft als Fan ganz nah. Am 11. August 1982 stand die vielleicht beste Vereinsmannschaft aller Zeiten in Kaufbeuren auf dem Eis: ZSKA Moskau. Eine Mannschaft, die nahezu identisch war mit der Nationalmannschaft, der Sbornaja. Eine Mannschaft, deren erster Block als der beste aller Zeiten gilt, gespickt mit Superstars: Wjatscheslaw Fetissow, Alexej Kassatonow, Sergej Makarow, Wladimir Krutow, Igor Larionow. Und diese Mannschaft nun spielte im Rahmen eines Sommertrainingslagers gegen den ESV Kaufbeuren.

    Einer der 2100 Zuschauer, die sich dieses Spiel nicht entgehen lassen wollte, war Manfred Kraus. Der Apfeltracher ist leidenschaftlicher Eishockeyfan. Über „seinen“ ESV Kaufbeuren hat er schon ein Buch geschrieben („Augenblicke“). Darin widmet er sich auch in einem Kapitel dem Gastspiel von ZSKA Moskau: „Es war zwar nur ein Sommerfreundschaftsspiel, aber was für eines! Ein höchst seltener Eishockeyleckerbissen von ausgewiesener Güte. ZSKA Moskau kam zum Berliner Platz. [...] Besseres hatte das Welt-eishockey nicht zu bieten.“ 

    An der Bande stand der legendäre Viktor Tichonow, der zugleich sowjetischer Nationaltrainer war. Er brachte die Blockbildung zur Perfektion und führte seine Mannschaften zu zahlreichen Erfolgen. ZSKA Moskau gewann zwischen 1977 und 1989 die russische Meisterschaft 13 Mal in Folge. Als Nationaltrainer führte er die Sbornaja, wie die russische Nationalmannschaft genannt wird, zu acht WM-Titeln, drei olympischen Goldmedaillen und zum Sieg im Canada Cup 1981, als die Sowjetunion im Endspiel Gastgeber Kanada um Superstar Wayne Gretzky mit 8:1 regelrecht überrollte. Knapp ein Jahr später also gastierte ZSKA Moskau in Kaufbeuren. Manfred Kraus erinnert in seinem Buch daran: „Der einzige Wermutstropfen war, dass Torwart Wladislaw Tretjak nur auf der Bank saß und stattdessen der Ersatztorhüter im Tor stand.“ Tretjak gilt bis heute als der beste Eishockeytorwart der Welt und wird ehrfurchtsvoll als „Mann mit den tausend Händen“ genannt.

    „Eine Partie des kleinen Eissportvereins von der Wertach gegen den weltberühmten und mit Nationalspielern durchsetzten Sportklub von der Moskwa musste für die Verantwortlichen, die Betreuer, die Mannschaft und das Publikum ein unvergessliches Erlebnis werden [...].“ Einer, der noch näher dran war an den russischen Superstars, war Dieter Medicus. Der Physiotherapeut, der in Kaufbeuren und Bad Wörishofen das gleichnamige Gesundheitszentrum betreibt, spielte an jenem Tag im Trikot des ESVK: „Wie ging das Spiel denn aus?“, fragt er. 15:0 für ZSKA Moskau. „Hm, dann ist klar, warum ich mich an das Spiel nicht mehr erinnere. Negative Ergebnisse blende ich aus. Diese Kunst muss man beherrschen“, sagt Dieter Medicus und lacht dabei.

    Der 57-jährige Ex-Profi erinnert sich aber durchaus an den ersten Block der Sbornaja, der ja identisch war mit dem von ZSKA Moskau. „Dieser erste Block, dieses Kollektiv war eine Augenweide. Wenn du gegen den aufs Eis gekommen bist, dann lautete das oberste Ziel: kein Gegentor bekommen.“

    Immer wieder war man sich in Länderspielen begegnet, bei Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen oder dem jährlich ausgetragenen Iswestija-Cup, einem Eishockeyturnier um die Weihnachtszeit in Moskau. „Dieser Block war schon einmalig. Die hatten eine gute Mischung“, sagt Medicus. Igor Larionow etwa war ein athletischer, drahtiger Mittelstürmer. Sergej Makarow und Wladimir Krutow seien stämmiger gewesen, so Medicus. „Deren Oberkörper waren eher dünn, aber die Beine stämmig. Die fuhren wie auf Schienen, wie eine Dampflok. Da war es wurscht, was entgegen kam“, erinnert sich der ehemalige Nationalverteidiger. „Man konnte sie auch fast nie checken. Die waren einfach schwer von der Scheibe zu trennen.“ Dann waren da noch die beiden Verteidiger Wjatscheslaw Fetissow und Alexej Kassatonow, die vor dem Weltklassetorhüter Wladislaw Tretjak alles abräumten. „Wenn die gecheckt haben, dann wurde es Dunkel“, sagt Medicus, der bei seiner Körpergröße von 1,92 Metern immerhin selbst an die 100 Kilogramm wog.

    Im Kinofilm „Red Army“ wird nicht nur die Geschichte dieser Mannschaft nachgezeichnet, sondern auch ein Blick hinter die glitzernden Erfolge geworfen. So waren die Spieler rund elf Monate im Jahr einkaserniert, wurden dabei im Training regelrecht gedrillt. Jedes Spiel gegen eine westliche Mannschaft sollte in Zeiten des Kalten Kriegs die Überlegenheit des Sozialismus beweisen. „Die Strenge hat man schon mitgekriegt und sich gewundert“, sagt Dieter Medicus. Etwa bei offiziellen Banketten. „Immer, wenn der spaßige Teil losging, mussten die Russen ins Bett“, sagt er grinsend. Und doch gab es auch menschliche Züge. „Beim Auslaufen nach einem Länderspiel haben wir Igor Larionow hinter einem Container getroffen – beim Rauchen.“

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