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MZ-Beetgeschichten: Warum man zum Veredeln erst einmal ganz grausam sein muss

MZ-Beetgeschichten

Warum man zum Veredeln erst einmal ganz grausam sein muss

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    Der erste Schnitt beim Veredeln ist immer der schwerste.
    Der erste Schnitt beim Veredeln ist immer der schwerste. Foto: Melanie Lippl

    Jedes Jahr ist anders – das merkt man vor allem dann, wenn man es im Garten mitverfolgt. Mal herrscht eine gefühlt ewige Dürre, mal regnet es wochenlang, mal sprießt alles wunderbar, mal machen sich alle möglichen Schädlinge über Obst, Gemüse und Blumen her. 2024 möchten wir Sie mitnehmen in unser persönliches Gartenjahr. Vier Redaktionsmitglieder der MZ, die gerne Zeit im eigenen Garten verbringen, berichten, was sie dort machen und erleben, sie schreiben – natürlich mit einem gewissen Augenzwinkern – von persönlichen Erfolgserlebnissen und Niederlagen. Heute geht es ran ans Gemüse.

    Zack. Die messerscharfe Klinge schneidet in den dünnen Stiel des Pflänzchens. Sie geht durch wie Butter. Der obere Teil mit den filigranen Blättern fällt herunter, übrig bleibt ein dünner Stängel, der aus der Erde ragt. Die erste Tomate ist geköpft. Es geht weiter im Akkord. Zack und ab. Zack. Zack. Zack. Gärtnern kann so grausam sein. Und das bei einer Tätigkeit, die sich "Veredeln" nennt. Um das durchzuziehen, muss man allerdings alles andere als edel sein ...

    Wer seine Pflanzen veredelt, der will entweder etwas ganz Besonderes haben - oder er hat zu viel Zeit und will die selbst gezogenen Pflanzen noch mehr verhätscheln, als er es ohnehin schon tut. Bei mir trifft eigentlich beides nicht zu und trotzdem habe ich es in diesem Jahr wieder gemacht, schon zum zweiten Mal. Vielleicht ist es ja eine Sucht?

    Warum veredelt man Gemüsepflanzen überhaupt?

    Alles begann im Frühjahr 2023, als ich zusammen mit meinem Vater, der mir die Leidenschaft fürs Grüne vererbt hat, einen Veredelungskurs besucht habe. Jeder der Teilnehmenden bekam eine Reihe von Pflanzen, denen er nun zu Leibe rücken sollte. Warum man überhaupt veredelt, das hatten die Experten der Hochschule in Weihenstephan zuvor im Theorieteil erklärt. Kopfveredelung beim Gemüse heißt vereinfacht gesagt, dass man aus zwei Pflanzen eine macht. 

    Die Unterlage, die in der Erde verwurzelt ist, ist in der Regel robuster gegen Krankheiten und Schädlinge als das, was man auf sie draufsetzt. Bei Gurken verwendet man als Unterlage gerne Kürbis, bei Tomaten sind es Wildtomaten. Weil Letztere aber meist nicht so gut schmecken, kommt als Edelsorte etwas darauf, das mundet und hohe Erträge bringt.

    Mit einem Clip wird die Gurke an dem Kürbis befestigt.
    Mit einem Clip wird die Gurke an dem Kürbis befestigt. Foto: Melanie Lippl

    Doch bevor es so weit ist, muss man erst einmal Gewalt anwenden. Selbst wer schon einmal Gemüse aus dem Samen gezogen hat, kann sich nicht annähernd vorstellen, wie hart es ist, wenn man zum ersten Mal diese filigranen Pflänzchen köpfen muss. Die gute Nachricht: Man gewöhnt sich schnell dran. Zack. Wichtig bei diesem Schritt ist nur, Unterlage und Kopfsorte nicht zu verwechseln. Die Köpfe der Unterlage werden deshalb sofort auf den Boden geworfen - auch so etwas, das einem im tiefsten Inneren erst mal widerstrebt. Aber auch hier gilt: Abstumpfung ist alles! Und wir wissen ja: Nur die Harten kommen in den Garten.

    Hier wurden Tomatenköpfe auf Wildtomatenbeine gesetzt.
    Hier wurden Tomatenköpfe auf Wildtomatenbeine gesetzt. Foto: Melanie Lippl

    Dann wird gepfriemelt, was das Zeug hält, denn die Schnittstellen von Edelsorte und Unterlage sollen so gut wie möglich aufeinanderpassen. Befestigt wird das Ganze mit einem Clip. Sagen wir es mal so: Spätestens bei dieser Tätigkeit stellt man fest, ob man eine Lesebrille braucht oder nicht. Und irgendwie fühlt man sich wie eine Mischung aus Gott und Frankenstein, schließlich bastelt man hier gerade zwei Lebewesen zusammen, die nicht unbedingt zusammengehören. Gurke und Kürbis, zum Beispiel, oder Tomate und Aubergine. Der schlimmste Teil aber kommt erst noch.

    Beim Veredeln ist die schlimmste Phase das Warten

    Die Pflänzchen dürfen nun in eine Art Mini-Gewächshaus, in dem eine möglichst hohe Luftfeuchtigkeit herrschen soll. "Gespannte Luft" nennt das der Profi. Die Wassersprühflasche ist deshalb unverzichtbar bei der täglichen Kontrolle. Und dann heißt es: Warten. Warten. Und noch mal Warten. Und hoffen, dass alles gut zusammenwächst. Die Versuchung, bereits an Tag eins nach der Veredelung an dem Clip herumzuspielen, ist riesig. Und sie steigt von Tag zu Tag. Nur einmal kurz schauen ... Aber man muss widerstehen. Sonst war die ganze Arbeit umsonst. Nur die Harten ... Sie wissen schon.

    Am Ende bleiben viel Blätter übrig.
    Am Ende bleiben viel Blätter übrig. Foto: Melanie Lippl

    Nach gut einer Woche ist es dann endlich so weit: Das "Gewächshaus" darf jetzt regelmäßig intensiver gelüftet werden, bis der Deckel dann irgendwann ganz weggelassen werden kann. Und wenn man alles richtig gemacht hat und die entsprechende Portion Glück dabei war, dann hat man veredelte Pflanzen, die man nun weiter intensiv betüdeln kann, bis sie irgendwann im Sommer einmal reife Früchte tragen. Warum wir all das auf uns nehmen? Keine Ahnung, aber am Ende macht es mich immer glücklich, zu ernten - und veredelt wächst und schmeckt alles gleich doppelt so gut, bilde ich mir zumindest ein.

    Ein trauriger Anblick: die Reste der Kopfsorten.
    Ein trauriger Anblick: die Reste der Kopfsorten. Foto: Melanie Lippl
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