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Mindelheim: Sie helfen, damit Menschen bis zum Schluss Regisseure ihres Lebens bleiben

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Sie helfen, damit Menschen bis zum Schluss Regisseure ihres Lebens bleiben

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    Sie sind die Gesichter hinter dem palliativmedizinischen Dienst an den Kliniken in Mindelheim und Ottobeuren: (von links) Monika Gaßner, Christiane Bachmayr, Martina Harder, Dr. Ruth Sittl und Dr. Manfred Nuscheler.
    Sie sind die Gesichter hinter dem palliativmedizinischen Dienst an den Kliniken in Mindelheim und Ottobeuren: (von links) Monika Gaßner, Christiane Bachmayr, Martina Harder, Dr. Ruth Sittl und Dr. Manfred Nuscheler. Foto: Melanie Lippl

    Es gibt Tage, da sitzt ein bedrohlicher Wolf neben dem Bett im Krankenhaus – jeder bemerkt ihn, aber niemand wagt es, über ihn zu sprechen. Der Wolf steht für das Sterben und all das Unausgesprochene drumherum. Das Team des palliativmedizinischen Diensts an den Krankenhäusern in Mindelheim und Ottobeuren hat schon viele solcher Wölfe gesehen. Und es weiß: Spricht man sie erst einmal an, gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen, können die Tiere immer harmloser werden oder sogar ganz aus dem Zimmer verschwinden.

    „Palliativmedizin“ – für manche Menschen ist allein schon dieses Wort ein bedrohlicher Wolf. „Viele setzen es mit dem Sterben in direkte Verbindung“, sagt die Pflegefachkraft Monika Gaßner, die Teil des Teams von „Pallium“ ist, das Patienten ambulant daheim, aber auch in den Krankenhäusern versorgt. „Aber es ist halt so viel mehr.“ Da werden körperliche Symptome gelindert, aber man kümmert sich auch um das geistige Wohlbefinden und die Seele der Patienten und ihrer Angehörigen – und das ganz individuell. In der Palliativmedizin werden Menschen betreut, die eine unheilbare Krankheit haben, das kann ein Tumor sein, ebenso wie ein Herz- oder Nierenleiden. Es gibt Menschen, die binnen weniger Tage sterben, und andere, die über eine recht lange Zeit palliativ behandelt werden.

    Das Palliativteam versorgt Patienten, aber auch Angehörige

    Was möchte ein Mensch – und was möchte er nicht (mehr)? Das ist die Frage, die über allem steht. „Behandle den Patienten nicht so, wie du behandelt werden willst, sondern wie er behandelt werden will“ ist der Leitsatz von Dr. Ruth Sittl – auch wenn das für Angehörige in diesen Situationen nicht immer einfach ist. Ein Großteil der Arbeit sei deshalb auch, mit der Familie oder den Freunden zu reden, erklärt Monika Gaßner. Sie liebt ihren Job ebenso wie ihre Kollegin Martina Harder, die viele unvergessliche Begegnungen erlebt hat. Besonders schön findet sie es, wenn in der Biografiearbeit am Lebensende noch die eine oder andere Romanze hervorkommt. „Wir hören uns die Liebesgeschichten an und können auch in schweren Situationen etwas Leichtes schaffen“, sagt Dr. Ruth Sittl, die schon im Medizinstudium gemerkt hat, dass sie „mehr“ will als nur die körperlichen Symptome ihrer Patientinnen und Patienten zu behandeln.

    Der Zugang der Menschen zur Palliativmedizin geschehe dennoch oft über das Körperliche, wenn etwa Schmerzen gelindert werden können, so Sittls Erfahrung. Aber die Palliativmedizin „heilt“ in ihren Augen auch auf andere Weise: Weil offen thematisiert wird, was in der nächsten Zeit passieren kann und was man konkret tun könne, könne man angstfreier auf das künftige Sterben blicken. Und, weil man auch in dieser schweren Zeit gemeinsam lachen und das Leben würdigen darf.

    „Palliativmedizin löst Probleme, damit Energie fürs Leben bleibt“, so fasst es Dr. Manfred Nuscheler zusammen. Dadurch sei sie mitunter auch lebensverlängernd, so das Ergebnis von Studien. „Wir gehen dorthin, wo Betroffene sind, egal, auf welcher Station sie liegen“, beschreibt er den palliativmedizinischen Dienst an Krankenhäusern, den es neben Mindelheim und Ottobeuren in Schwaben nur noch in Augsburg und Kempten gebe, so der Chefarzt. „Viele Kliniken haben so etwas nicht.“ Er hält ein solches Angebot dennoch für wichtig und ist dem Landkreis dankbar für die Unterstützung, denn Palliativstationen und Hospize böten nur begrenzt Platz. Mit diesem Angebot an den Kliniken Mindelheim und Ottobeuren könne man deutlich mehr Patientinnen und Patienten und Angehörige versorgen.

    Rund 200 Patienten betreut das Palliativteam in Mindelheim und Ottobeuren

    Rund 300 bis 400 Menschen sterben jährlich in beiden Krankenhäusern. Etwa 200 Patientinnen und Patienten pro Jahr werden palliativ begleitet – was nicht immer heißt, dass sie im Krankenhaus sterben. Im Gegenteil: Auch die Entlassung kann eine Möglichkeit sein, die im Palliativteam vorbereitet wird. Hier kommt häufig Sozialarbeiterin Christiane Bachmayr ins Spiel. In ihrer Beratung geht es um sozialrechtliche Inhalte, aber auch um die Aufnahme in ein Hospiz oder den Bedarf nach Unterstützung, wenn Menschen wieder nach Hause zurückkehren. Die Angehörigen werden zudem geschult, wie sie wirksam sind, also etwas tun können für ihren Liebsten – das ist wiederum ein gutes Fundament für die spätere Trauer.

    Dass in der Palliativmedizin auch das Umfeld einbezogen wird, dass sie das ganze System erfasst, Körper und Psyche, hält Dr. Ruth Sittl für bedeutend. Sie rät Patienten und Angehörigen dazu, diese spezielle Form der Medizin auch einzufordern, falls Ärztinnen und Ärzte das Thema nicht von selbst aus ansprechen. Kosten entstehen dafür nie, versichert Dr. Manfred Nuscheler.

    Der Chefarzt betont, dass man sich immer nach den Wünschen des Patienten oder der Patientin richte. „Alles, was ein Betroffener will, ist gut.“ Und wenn jemand lieber für sich sein möchte, so sei das auch in Ordnung, dann ziehe sich das Team zurück. So wie sie einst ihr Leben bestimmt haben, sollen die Menschen auch auf dem letzten Abschnitt Regisseure ihres Lebens sein.

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