Alles beginnt vor über zweieinhalb Jahren mit einem Brief. Empfänger: ein Mindelheimer. Absender: die Landesjustizkasse. Sie treibt im Namen des Staats fällige Gerichtskosten ein und fordert nun wegen eines kleineren Verfahrens 30 Euro. Zahlt der Mann das Geld, ist das Thema erledigt. Doch er entschließt sich, mit einem weiteren Brief zu antworten – und stößt damit einen Prozess an, der die Justiz bis heute auf Trab hält.
Der Inhalt des Briefs, den der Mann damals verschickt, hat es nämlich in sich. Nicht nur, dass sich der Mann weigert, die geforderten 30 Euro zu zahlen. Im Gegenteil: Er stellt selbst eine Forderung auf. Eine, die absurd wirkt, deren Muster jedoch nicht zum ersten Mal Gerichte beschäftigt. Der Mann verlangt von der Justiz 20.000 Euro. Sollte er das Geld nicht bekommen, so schreibt er damals, würden alle, die mit seinem Fall betraut sind, sämtliche finanziellen Ansprüche verlieren – also etwa auf ihre Rente. Viel konkreter wird er damals nach Angaben von Jürgen Brinkmann, Sprecher des Landgerichts Memmingen, nicht.
Der 52-jährige Mindelheimer bezeichnet Reichsbürger als "harmlos"
Dieses Vorgehen ist in Deutschland bei Weitem kein Einzelfall. Immer wieder erreichen die Justizbehörden ähnliche Forderungen. Absender sind meist Reichsbürger. Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht an, richten an ihre Behörden aber immer wieder absurde Anträge, Forderungen und Beschwerden. Ein extremer Fall stammt aus dem Frühjahr 2019: Damals wurde ein ehemaliger Reichsbürger aus dem Landkreis Augsburg zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er vom Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder 300 Milliarden US-Dollar gefordert hatte.
Der Anwalt des Mannes damals hieß Cliff Radke. Er saß nun auch am Landgericht Memmingen, um den heute 52-jährigen Mindelheimer zu vertreten. Dabei ging es jedoch nicht um die ihm vorgeworfene Erpressung selbst. Der Mann hatte nämlich im Mai 2017 Einspruch gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft erhoben. Der Fall sollte also knapp ein Jahr später, am 20. März 2018, vor Gericht geklärt werden. Dort erschien der Mann, der einst für die AfD politisch aktiv war und Reichsbürger in sozialen Medien als „harmlos“ bezeichnet, jedoch nicht.
Eigentlich wäre nun die ursprünglich anberaumte Strafzahlung im niedrigen vierstelligen Bereich wegen versuchter Erpressung fällig geworden. Doch der Mann wehrte sich erneut juristisch und forderte, das Verfahren wieder einzusetzen. Seine Begründung: Er habe kurz vor der Verhandlung schwere gesundheitliche Probleme gehabt und deshalb nicht vor Gericht erscheinen können. Das Amtsgericht Memmingen lehnte den Antrag als unbegründet ab, woraufhin der Mann in die nächste Instanz ging und nun vor dem Landgericht landete.
Richter am Landgericht Memmingen: "Nur Erklärungen reichen nicht"
Der 52-Jährige erklärte dort, er habe am 18. Februar 2018, also gut einen Monat vor der Verhandlung, eine sogenannte Transitorische ischämische Attacke (TIA) erlitten. Dabei kommt es im Gehirn zu einer Durchblutungsstörung, wegen der Betroffene unter verschiedenen Ausfallerscheinungen wie Sprach- oder Gedächtnisstörungen leiden. In der Regel dauert eine TIA nur ein paar Sekunden oder Minuten, in Ausnahmefällen wenige Stunden.
Ein Arzt habe ihn kurz nach der TIA bis April 2018 krankgeschrieben, erklärte der Mindelheimer vor Gericht. Er könne sich nur noch bruchstückhaft an diese Zeit erinnern. „Das war katastrophal – ich war damals froh, wenn ich heil vom Bett ins Bad gekommen bin.“ Rund ein halbes Dutzend Ärzte aus sämtlichen medizinischen Bereichen habe er damals besucht. Woher seine körperlichen Beschwerden kamen, konnte sich nach seiner Darstellung niemand so recht erklären.
Das Attest eines Psychiaters stufte den Mann eine Woche vor der geplanten Verhandlung als verhandlungsunfähig ein. Das wollte der vorsitzende Richter Klaus Mörrath nun aber nicht gelten lassen: „Viele Ärzte wissen nicht, was verhandlungsunfähig wirklich bedeutet“, sagte Mörrath. „Wir brauchen konkrete Anhaltspunkte, dass Sie nicht in der Lage waren, vor Gericht zu erscheinen. Nur Erklärungen reichen nicht.“
Geht der mutmaßliche Reichsbürger in die nächste Instanz?
Mehr Klarheit sollte vor Gericht ein psychiatrisches Gutachten bringen. Der Gutachter legte dar, dass der 52-Jährige zwar mehrmals wegen psychischer und körperlicher Probleme behandelt worden sei. Aus seiner Sicht habe aber zumindest keine psychische Störung bestanden, die den Mann von der Teilnahme an der Verhandlung abgehalten habe.
Trotzdem vertagte Richter Mörrath das Verfahren nach gut einer Stunde ohne abschließende Entscheidung. Der Grund: Eines der zahlreichen, vom Anwalt des 52-Jährigen vorgelegten Atteste stammte vom 20. März 2018 – also dem Tag, an dem die Verhandlung hätte stattfinden sollen. Zwar stellte es keine größeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Mannes fest. Der behandelnde Arzt könnte aber möglicherweise Auskunft darüber erteilen, in welchen Zustand der 52-Jährige an jenem Tag war. Der Mediziner soll nun geladen werden. Seine Aussage wird wohl darüber entscheiden, ob dieser außergewöhnliche Fall in die nächste Runde geht oder nicht.