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Mindelheim: Nach Flucht aus der Ukraine wagen sie einen Neuanfang in der Pflege

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Nach Flucht aus der Ukraine wagen sie einen Neuanfang in der Pflege

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    Menschen aus der Ukraine und ein Dirlewanger Pflegedienst haben bei einer Jobbörse zusammengefunden: (von links) Manuel Zeiler (Geschäftsstellenleiter Arbeitsagentur Mindelheim), die Allgäuer Arbeitsagentur-Chefin Maria Amtmann, Olha Shuhai, Pflegedienst-Chef Benjamin Akel, Hanna Riabokin, Oleh Zabara und Bettina Kreuzer (Leiterin des Jobcenters Unterallgäu).
    Menschen aus der Ukraine und ein Dirlewanger Pflegedienst haben bei einer Jobbörse zusammengefunden: (von links) Manuel Zeiler (Geschäftsstellenleiter Arbeitsagentur Mindelheim), die Allgäuer Arbeitsagentur-Chefin Maria Amtmann, Olha Shuhai, Pflegedienst-Chef Benjamin Akel, Hanna Riabokin, Oleh Zabara und Bettina Kreuzer (Leiterin des Jobcenters Unterallgäu). Foto: Melanie Lippl

    Pflege ohne Menschen mit ausländischen Wurzeln? Das ist in Deutschland heutzutage unvorstellbar. Der Anteil ausländischer Arbeitskräfte in diesem Bereich hat sich von acht Prozent im Jahr 2017 auf 14 Prozent im Jahr 2022 fast verdoppelt. Auch Benjamin Akel, der in Dirlewang einen der Jobbörse in Bad Wörishofen, bei der im vergangenen Jahr Geflüchtete auf Arbeitgeber trafen.

    Dort lernte Akel auch Olha Shuhai, Hanna Riabokin und Oleh Zabara kennen - alle drei kamen nach Beginn des Kriegs aus der Ukraine nach Deutschland und alle drei sind jetzt als Pflegende für Akel im Einsatz. Olha Shuhai ist 28 Jahre alt, hat in ihrer Heimat als Köchin und Restaurantchefin gearbeitet und kam im März 2022 nach Deutschland. Mit ihrer achtjährigen Tochter und ihrem siebenjährigen Sohn lebt sie heute in Dirlewang. Die beiden tun sich leicht mit der Sprache, sagt sie. Sie selbst besucht parallel zu ihrer Arbeit im Pflegedienst einen Sprachkurs, doch im Alltag muss sie immer wieder feststellen: "Die Kommunikation ist schneller als im Deutschkurs - und dann noch der Dialekt!", sagt sie und lacht.

    Die Ukrainer sprechen viel mit den Patienten

    Sie und ihre Kollegin Hanna Riabokin versuchen, viel mit den Pflegebedürftigen zu sprechen, wenn sie sie besuchen. Riabokin fällt es immer leichter, Deutsch zu sprechen. Die 42-Jährige hat in der Ukraine als Managerin und Verkäuferin elektronischer Produkte gearbeitet, erzählt sie - hier in Deutschland hilft sie beispielsweise alten Menschen dabei, ihre Kompressionsstrümpfe anzuziehen.

    "Es gibt Tätigkeiten, da muss man nicht so viel reden und die sind nicht so komplex", erklärt Pflegedienstleiter Benjamin Akel sein Konzept, Menschen von Beginn an in der Pflege einzusetzen und dann immer mehr zu schulen, sowohl was die Tätigkeiten betrifft, als auch in der Sprache. In der Alltagskommunikation zwischen den Pflegenden und den Patienten helfen Apps auf dem Handy, die Gesprochenes direkt übersetzen. Das Planen der Schichten sei zwar ein Mehraufwand, erläutert Akel. Aber in seinen Augen ist jede Pflegekraft wichtig, egal, wo sie herkomme. "Wir steuern in der Pflege auf eine Katastrophe zu", sagt er.

    Akel gründete seine Firma mitten im ersten Lockdown, im März 2020 - damals waren sie zu zweit. Heute beschäftigt er 34 Angestellte, darunter auch Oleh Zabara. Der Ukrainer ist 62 Jahre alt und nach acht Jahren, in denen er als Oberstleutnant an der Front im Einsatz war, eigentlich in Rente. Im Krieg habe er viel medizinische Hilfe geleistet, nun will er hier anpacken. "Ich liebe diese Arbeit, Menschen zu helfen." Zusammen mit Frau, Tochter und Schwiegersohn wohnt er in Bad Wörishofen. "Alle arbeiten", betont er. Sie sind nicht die Einzigen, wie die Zahlen der Arbeitsagentur zeigen: Inzwischen sind rund 1200 Menschen aus der Ukraine im Allgäu sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

    Warum sich das Modell von Benjamin Akel für alle lohnt

    "Für sie lohnt es sich, für die Patienten lohnt es sich und für die Gesellschaft auch", sagt Benjamin Akel über seine drei Neuzugänge. Er kann sich gut vorstellen, die drei Ukrainer noch weiter zu fördern. So wird aus einer Hilfskraft, für die sechs Wochen Kurs nötig sind, ein Fachhelfer (mit einem Jahr Ausbildung) oder gar eine Pflegefachkraft (drei Jahre Ausbildung).

    Die Arbeitsagentur kann in solchen Fällen individuell unterstützen - etwa, indem sie die Mehrkosten zahlt, damit eine Hilfskraft schon während ihrer Ausbildung das höhere Gehalt einer Fachkraft bekommt. Wie Manuel Zeiler, Geschäftsstellenleiter der Mindelheimer Arbeitsagentur, erläutert, gebe es solche Qualifizierungsprogramme auch in anderen Branchen. Für die Kindererziehung etwa sei die Arbeitsagentur gezielt auf Gemeinden und Träger der Kitas in der Region zugegangen und hätte nach Menschen gesucht, die man in einer 22-monatigen Umschulung mit Theorie- und Praxisteilen weiterqualifizieren könne. Inzwischen sei die Aktion "ein Selbstläufer", so Zeiler.

    Das Unterallgäu belegt einen Spitzenplatz in Deutschland

    Positiv gestimmt war beim Pressegespräch auch Maria Amtmann, die Leiterin der Allgäuer Arbeitsagentur. Trotz Krieg und Flüchtlingsströmen, trotz politisch instabiler Strukturen und der Inflation sei der Arbeitsmarkt im Landkreis Unterallgäu stabil geblieben. Das Unterallgäu belege auch im Jahr 2023 wieder einen "Spitzenplatz in der gesamten Republik". Es gebe mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als noch im Vorjahr. Besonders stark sei der Zuwachs bei den Älteren über 50 (plus sechs Prozent) und den Menschen mit ausländischer Herkunft (plus neun Prozent). "Das zeigt, wie wichtig Zugewanderte sind", so Amtmann. Aller positiven Aspekte zum Trotz sei die Arbeitslosenquote dennoch gestiegen: einsteils wegen der Zahl an Geflüchteten, andererseits auch wegen der Konjunktur, so Amtmann. Dennoch versuchten Betriebe, "wenn's nur irgendwie geht", ihre Angestellten auch in schwierigen Lagen zu halten - denn schließlich sei absehbar, dass immer mehr ältere Fachkräfte in Rente gehen.

    Bettina Kreuzer, die Leiterin des Jobcenters Unterallgäu, blickte ebenfalls auf das Jahr 2023 zurück, das sie als "turbulent" bezeichnete: Die Einführung des Bürgergelds habe reibungslos funktioniert, maßgebliches Thema war die Integration von Geflüchteten, vor allem aus der Ukraine. Das Antragsaufkommen im Unterallgäu sei sehr hoch gewesen: Während das Jobcenter im Juni 2022 noch 900 Bedarfsgemeinschaften betreut hat, seien es aktuell 1400. Als Erfolg verbucht Kreuzer die Jobbörse in Bad Wörishofen mit 25 Arbeitgebern und knapp 400 Geflüchteten, bei der sich auch Benjamin Akel, Olha Shuhai, Hanna Riabokin und Oleh Zabara zum ersten Mal trafen. Wiederholungen sind fest eingeplant: am 18. April in Memmingen und am 22. April in Mindelheim.

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