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Mindelheim: Missbrauch unter der Kutte: Maristenfrater zum dritten Mal vor Gericht

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Missbrauch unter der Kutte: Maristenfrater zum dritten Mal vor Gericht

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    Ein ehemaliger Frater des Mindelheimer Maristeninternats muss sich erneut vor Gericht verantworten, weil er einen Schüler sexuell missbraucht haben soll. Zweimal war er bereits wegen ähnlicher Fälle verurteilt worden.
    Ein ehemaliger Frater des Mindelheimer Maristeninternats muss sich erneut vor Gericht verantworten, weil er einen Schüler sexuell missbraucht haben soll. Zweimal war er bereits wegen ähnlicher Fälle verurteilt worden. Foto: Stoll (Archivbild)

    Über Jahre hinweg konnte der frühere Leiter des Maristeninternats, Frater G., offenbar ungestört Buben im Internat in Mindelheim und auf Freizeitfahrten nach Silum in Liechtenstein sexuell missbrauchen. Im Januar 2011 verurteilte ihn das Landgericht Landshut zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf Bewährung. Damals hatte I. eingeräumt, einen zur Tatzeit 13-jährigen Buben missbraucht zu haben. Zuvor war I. wegen eines weiteren Falles vom Amtsgericht Memmingen zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden. Auch damals räumte er seine Schuld ein. Jetzt kommen weitere Fälle ans Tageslicht.

    Nun muss sich der inzwischen fast 62-jährige Frater erneut vor Gericht verantworten. Dem Ordensmann, der nach wie vor den Maristen angehört, hält die Staatsanwaltschaft Memmingen vor, zwei weitere Buben sexuell missbraucht zu haben. Zur mutmaßlichen Tatzeit sollen sie 13 und 15 Jahre jung gewesen sein. Am 9. März kommt es deshalb vor dem Amtsgericht Memmingen zu einer weiteren juristischen Aufarbeitung.

    Acht Zeugen sind zu dem Prozess gegen den Maristen-Frater geladen

    Geladen sind acht Zeugen, zwei Sachverständige und die beiden Geschädigten, teilte ein Gerichtssprecher mit. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, droht dem Angeklagten eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Zur Tatzeit 1999 bis 2004 galt als Strafmaß für sexuellen Missbrauch von Kindern eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren, erläuterte ein Sprecher des Amtsgerichts Memmingen. Schweren sexuellen Missbrauch sanktionierte der Gesetzgeber damals mit Freiheitsentzug zwischen einem Jahr und 15 Jahren. An einem Amtsgericht werden Höchststrafen bis maximal vier Jahre verhängt.

    18 Fälle sexueller Handlungen soll sich I. den Ermittlungsbehörden zufolge gegen einen Buben habe zuschulden kommen lassen. Darunter sind 15 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs. Zwischen September 2003 und Januar 2004 soll er wöchentlich einen Buben aufgesucht haben. Die Staatsanwaltschaft geht von mindestens zwölf Vorfällen aus. Der zweite Fall bezieht sich auf die Jahre 1999 bis 2000.

    Dreimal soll sich der Mann an einem Jungen vergangen haben, der Heimweh hatte und von seinen Mitschülern gehänselt worden war. Dieser habe Trost beim Internatsleiter gesucht. Dieser habe den Buben ins Bett gelockt und dort sein erigiertes Glied an ihm gerieben.

    Gegenüber der Kripo Memmingen schilderte die Mutter eines der beiden Buben detailliert, wie der Frater vorgegangen sei. Er habe ihrem Sohn mit schulischen Sanktionen gedroht, sagte die Frau, wenn dieser nicht mache, was er von ihm verlange. Der Verdächtige soll den Buben anal und oral missbraucht haben. Er habe immer ein Kondom benutzt. Das sei vielfach passiert.

    Der Frater soll das Schild "Bitte nicht stören" an die Tür gehängt haben

    Meist sollen die Taten in der Wohnstube des Fraters stattgefunden haben. Darin sei neben einem Schreibtisch ein Bett gestanden. Diese Wohnstube habe von niemandem unaufgefordert betreten werden dürfen. Bevor der Bub im Zimmer missbraucht wurde, habe der Frater immer ein Schild an die Tür gehängt mit der Aufschrift: Bitte nicht stören.

    Auch auf einem Hüttenwochenende vom 11. bis 13. Juli 2003 in Liechtenstein soll es zu Oralsex im Zimmer des Fraters gekommen sein, wobei dieser immer seine Kutte anbehalten habe.

    Der Junge hat darunter schwer gelitten und erlitt offenbar einen Nervenzusammenbruch. Er sei zeitweise suizidgefährdet gewesen. In seinem Tagebuch finden sich solche Eintragungen: „Der gute † Schein“ oder „Wer hat mich damals begleitet?“ oder „Ich hab die Bremse nicht, die mich vor Unheil schützt.“ Mit niemandem habe er darüber gesprochen, wie er bei einer Vernehmung gegenüber dem Amtsgericht Memmingen angab – aus Scham und „weil ich mich eklig gefühlt habe“. Er habe Angst gehabt, dass der Frater ihn aus dem Internat werfe. Sein Ziel sei gewesen, besser in der Schule zu werden und das Abitur zu schaffen.

    Die Erzieher im Mindelheimer Maristeninternat sollen dem Frater hörig gewesen sein

    Im Internat gab es auch mehrere weitere Erzieher. Das mutmaßliche Missbrauchsopfer sagte in der Vernehmung, die Erzieher seien alle dem Frater hörig gewesen. Er wisse nicht, ob „sie es wussten oder nicht wahrhaben wollten“. Der Frater sei eine Respektsperson gewesen.

    Im Februar 2004 haben die Eltern ihren Buben nach einem Jahr wieder vom Maristeninternat abgemeldet – offenbar auf Betreiben des Fraters selbst, wie aus Dokumenten hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegen. Dieser habe mehrfach angerufen und gesagt, der Junge schmiere im Internat Pentagramme und Teufelszeichen an die Wand. Der Frater regte in einem Brief an die Eltern an, den Jungen in psychiatrische Behandlung zu geben. Das Schreiben endet mit „Gruß und Gebet F. G“.

    Das ist dann auch geschehen. Der Jugendliche kam in eine Einrichtung für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort tauchte laut seiner Aussage eines Tages der Frater persönlich auf und traf sich auf dem Parkplatz mit seinem Opfer. Dort habe er ihm bei einer Umarmung gedroht: „Wehe, du erzählst irgendwas. Ich finde dich überall.“

    Das mutmaßliche Missbrauchsopfer ist heute zu 50 Prozent schwerbehindert

    Der Junge fasste auch als Erwachsener nie richtig Fuß im Leben. Heute ist er zu 50 Prozent schwerbehindert. Immer wieder erfolgten stationäre Klinikaufenthalte, nachdem er seine Arbeitsstelle verloren hatte. Allein die Kosten für Therapien und Verdienstausfall sollen sich auf 240.000 Euro summiert haben.

    Warum aber hat der Jugendliche auch später so lange geschwiegen? Gegenüber dem Gericht sagte er, erst durch die Lektüre eines Zeitungsartikels sei die Erinnerung „wie aus dem Nichts“ zurückgekehrt. Zuvor hatte er offenbar alles verdrängt.

    Einmal wöchentlich soll es im Dachkloster zu einem Übergriff gekommen sein

    Der Frater selbst hat es in all den Jahren verstanden, sich in Mindelheim und auch überregional einen guten Namen zu machen. Er baute die Maristenfeuerwehr und ein Kriseninterventionsteam auf. Öffentlich feiern ließ er sich auch für sein „Dachkloster“, das im obersten Stock des Maristeninternats eingerichtet wurde. 27 Internatsschüler lebten dort in einer „Art klösterlicher, ökumenischer Gemeinschaft“ zusammen, berichtete diese Zeitung am 29. Januar 2004. Laut Aussage eines der mutmaßlichen Opfer soll es von September 2003 bis Januar 2004 einmal wöchentlich in diesem Dachkloster zu sexuellen Übergriffen gekommen sein.

    Im Frühjahr 2007 gehörte der Frater zu einer Gruppe von Vertretern katholischer Internate, die mit bayerischen Politikern im Landtag sprachen. Die Politiker hätten die Wertebildung und -erziehung hervorgehoben, auf die in diesen Einrichtungen besonderer Wert gelegt werde.

    Das Maristeninternat in Mindelheim ist inzwischen geschlossen worden

    Bei Eltern war nach Bekanntwerden der ersten Verurteilungen des Fraters allerdings das Vertrauen in die Einrichtung in Mindelheim zutiefst erschüttert. Der Maristenorden musste das Internat einige Zeit später schließen. Das Gebäude gehört heute der Wohnungsgenossenschaft Mindelheim. Dort sind vor allem Einrichtungen für die Jugendarbeit untergebracht.

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