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Mindelheim: Pfarrer Straub über Missbrauch in der Kirche: "Mir fehlen wirklich die Worte"

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Pfarrer Straub über Missbrauch in der Kirche: "Mir fehlen wirklich die Worte"

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    Mindelheims Stadtpfarerrer und Dekan Andreas Straub.
    Mindelheims Stadtpfarerrer und Dekan Andreas Straub. Foto: Veronika Straub

    Herr Dekan Straub, seit Wochen steht die katholische Kirche massiv in der Kritik, ausgelöst durch das Missbrauchsgutachten im Bistum München-Freising. Welche Reaktionen bekommen Sie vor Ort in Mindelheim?
    STRAUB: Die Reaktionen sind geprägt von Betroffenheit, Enttäuschung, Schmerz oder auch Wut über die schrecklichen Missbrauchstaten von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern, die in diesem Gutachten enthüllt und beschrieben werden. Ich habe mir das Gutachten, das im Internet einsehbar ist, näher angeschaut. Mir fehlen wirklich die Worte. Man muss in einen Abgrund schauen, wenn man das liest. Aber es sind nicht nur diese Verbrechen, sondern auch die Vertuschungsstrategie der verantwortlichen Amtsträger, die die Menschen schockiert. Die wohl einhellige Meinung, die mir begegnet: Kirche hat hier versagt und sich von ihrem Auftrag und ihrer Sendung meilenweit entfernt bzw. diese abgrundtief pervertiert.

    Müssen Sie sich als Dekan rechtfertigen?
    STRAUB: Was ich bislang nicht wahrgenommen habe, ist eine Art von Generalverdacht, unter den mich die Menschen stellen. Freilich erwarten sie aber im Gespräch oder auch per Email zu Recht, dass ich Rede und Antwort gebe und Stellung beziehe. Ich kann nur sagen, dass ich ihre Betroffenheit teile. Da gibt es für mich nichts zu beschönigen. Gleichzeitig verspreche ich ihnen, dass ich alles in meiner Verantwortung Stehende umsetze, was im Hinblick auf die Prävention getan werden kann. Wir leitende Pfarrer und alle kirchlichen Mitarbeiter sind mittlerweile absolut hellhörig und sensibilisiert, auch durch Schulungen und Fortbildungen, die für alle Pflicht sind.

    Kirche ist eine große Gemeinschaft. Wie reagieren die Ehrenamtlichen?
    STRAUB: Die Ehrenamtlichen sind genauso schockiert. Sie leiden an dieser Situation. Denn sie engagieren sich für eine Kirche, die eine frohe, gute, aufbauende Botschaft zu den Menschen bringen soll. Dafür setzen sie sich mit ihren Talenten und Begabungen ein. Dieser Idealismus und die Freude am Glauben wird natürlich derzeit schwer beeinträchtigt. Die Kirche hat an Glaubwürdigkeit verloren. Ehrenamtliche fragen sich: Kann ich dieser Kirche noch glauben? Ich bin aber sehr froh, dass im Blick auf die anstehenden Pfarrgemeinderatswahlen – Gott sei Dank – in unseren Pfarreien weiterhin die Bereitschaft da ist, für dieses Gremium zu kandidieren und sich einzubringen.

    Was sagen Ihre Amtsbrüder?
    STRAUB: Auch meine Kollegen im Priesteramt erleben es ähnlich wie unsere Ehrenamtlichen. Demnächst treffe ich mich mit den leitenden Pfarrern auf Dekanatsebene. Das Thema „Missbrauch“ steht ganz oben auf der Tagesordnung. Ich möchte allen die Möglichkeit zum offenen Austausch geben.

    Die Kirche erlebt eine Austrittswelle, selbst in katholischen Hochburgen. Wie kann das Vertrauen wiederhergestellt werden?
    STRAUB: Das ist eine schwierige Frage. Denn ich sehe – wie Sie – ein großes Vertrauensproblem. Wenn Vertrauen zerstört ist, dann braucht es sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen, Hinhören und Dialog, Ehrlichkeit und Tatkraft, um es wieder langsam wachsen lassen zu können. Dazu gehört, dass die systemischen Probleme in der Kirche, die den Missbrauch verursacht, begünstigt oder gefördert haben, wie zum Beispiel fehlende Kontrollinstanzen, überhöhtes Amtsverständnis ecetera ohne Wenn und Aber angegangen werden. Dazu braucht es auch Transparenz und Offenheit. Außerdem muss Kirche wieder glaubwürdig werden, das heißt die Menschen müssen erfahren, dass wir das, was wir predigen, auch wirklich leben.

    Was macht die Debatte mit all den Menschen, die sich für ihre Kirche tagtäglich aufopfern?
    STRAUB: Die aktuelle Debatte fördert natürlich den Schmerz derer, die mit dieser Kirche sehr eng verbunden sind und mit ihr und für sie leben. Gleichzeitig brauchen wir die offene und ehrliche Diskussion. Eine Wunde kann erst langsam heilen, wenn man sie anschaut und auch säubert. Und das kann durchaus sehr weh tun. Aber es ist – hoffentlich – auch heilsam.

    Hadern Sie selbst manchmal mit den Kirchenoberen?
    STRAUB: Wenn es nicht so wäre, dann wäre ich als Priester ja völlig gleichgeschaltet. Selbstverständlich bilde ich mir eine eigene Meinung und reflektiere das, was mir von den „Oberen“ vorgelegt und vorgegeben wird. Bei der Priesterweihe habe ich dem Bischof und seinen Nachfolgern „Ehrfurcht und Gehorsam“ versprochen. Das darf aber kein „blinder Gehorsam“ oder „Kadavergehorsam“ sein. Gehorsam kommt von „hören“. Das ist ein wechselseitiges Geschehen. Die Kirchenoberen müssen auch auf die Basis hören. Unser Bischof Bertram hört sehr gut hin.

    Momentan kocht eine ganze Reihe von Themen hoch: Neben den Missbrauchsfällen ist es der Umgang mit queeren Menschen, der kritisiert wird. Warum tun sich Bischöfe und der Vatikan so schwer, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?
    STRAUB: Mit Ihrer Fragen zielen sie auf das kirchliche Arbeitsrecht, das derzeit queere Menschen, die ihre sexuelle Orientierung leben wollen, aufgrund der katholischen Glaubens- und Sittenlehre ausschließt. Seit Jahren oder Jahrzehnten schwelt dieses Thema. Es ist mittlerweile ein gravierender Konflikt zwischen der Lehre der Kirche und der tatsächlichen Realität entstanden. Im nächsten Jahr gibt es eine Weltbischofssynode in Rom. Der Papst wird sich beraten und Entscheidungen treffen. Hier wird es wohl auch um die offizielle Lehre der Kirche zur Homosexualität gehen.

    Was macht Sie zuversichtlich, dass sich die Dinge zum Besseren wenden?
    STRAUB: Ich vertraue darauf, ja ich glaube fest daran, dass diese Kirche von Jesus Christus gegründet wurde und dass er ihr Bestand verheißen hat. Kirche ist für mich also kein weltlicher Verein oder eine Firma. Sie ist eine Glaubensgemeinschaft, die sich um ihn, den Herrn, versammelt. Es ist letztlich nicht nur „meine“ oder „unsere“ Kirche, sondern die Kirche Jesu Christi. Er sitzt mit im Boot, auch wenn es sich derzeit in großen Stürmen befindet. Er wird es nicht untergehen lassen. Wir müssen ihn wieder neu in den Blick nehmen. Das heißt nicht: Hände in den Schoß legen und sagen: Er wird schon alles richten. Jesus und seine Botschaft fordert uns durchaus heraus. Doch ich vertraue: Wenn wir alles tun, was in unseren Kräften steht, dann tut er das Übrige.

    Haben Sie selbst schon mal überlegt, der Kirche den Rücken zu kehren?
    STRAUB: Ganz ehrlich: Das habe ich mir wirklich noch nie ernsthaft überlegt. Dass ich an Gott glaube, dass ich seine Gegenwart erfahren kann, das verdanke ich der Kirche. Trotz aller Wirrnisse, Fehler und Makel hat die Kirche den Glauben an Jesus Christus von Generation zu Generation weitergegeben und in den Sakramenten Gottes Gegenwart und Wirken präsent gemacht. Das verdanke ich der Kirche, die sicher in ihren Gliedern - dazu zähle ich auch die Amtsträger - ganz gewiss nicht fehlerfrei und makellos ist, aber doch als Gesamtheit von Gottes Geist durchweht wird. Vielleicht darf ich einen Vergleich machen, wobei jeder Vergleich natürlich hinkt: Kirche ist für mich wie eine Familie. So wie ich durch die Geburt in eine bestimmte Familie hineingeboren wurde, so wurde ich in der Taufe gleichsam in den christlichen Glauben hineingeboren sowie Teil der katholischen Kirche und Konfession. Aus meiner Familie würde ich nie austreten wollen und können, auch wenn Familienmitglieder Fehler machen. Ich verdanke meiner Familie sehr viel und ich würde sie nicht im Stich lassen. Ich stehe zu ihr, auch in schwierigen Zeiten. Ich bleibe mein Leben lang Teil dieser Familie.

    Zur Person

    Andreas Straub ist Dekan des Dekanats Mindelheim und Stadtpfarrer von Mindelheim.

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