Hat ein Internatsleiter einen 15-jährigen Schüler mehrfach vergewaltigt? Sechs Verhandlungstage hat das Landgericht Memmingen anberaumt, um die Missbrauchsvorwürfe gegen einen ehemaligen Ordensmann zu prüfen, der viele Jahre das Mindelheimer Maristeninternat geleitet hat. Zwei Anklagepunkte hatte der heute 63-Jährige bereits in erster Instanz zugegeben: Er habe vor rund 20 Jahren einen damals 17-Jährigen auf der Toilette bedrängt und einen 13-Jährigen mehrmals in sein Bett gelockt und sich an ihm gerieben. Die mehrfache Vergewaltigung eines 15-Jährigen, die ihm die Staatsanwaltschaft ebenfalls vorwarf, bestritt er jedoch.
Nach sieben Prozesstagen verurteilte das Jugendschöffengericht den Ex-Frater im Januar dieses Jahres zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten – zum dritten Mal auf Bewährung. Bereits 2008 und 2011 war der Mann wegen Sexualdelikten an Jugendlichen verurteilt worden. Gegen das aktuelle Urteil haben Staatsanwaltschaft und Nebenklage Einspruch erhoben, weshalb der Fall nun vor dem Landgericht verhandelt wird. Dort wird es vor allem um eine Frage gehen: Was ist dran an den schwerwiegendsten Vorwürfen?
Hochrangige Ordensmänner der Maristen kamen ins Memminger Gericht
Die sexuelle Nötigung auf der Toilette und die vier Missbrauchsfälle im Zimmer des ehemaligen Ordensmannes werden in der Berufungsverhandlung nur am Rande Thema sein – denn in beidem beschränkt sich der Einspruch auf die Höhe der Strafe, die ein Jahr und drei Monate beziehungsweise jeweils acht Monate betrug. Deutlich heikler ist der dritte Tatkomplex, der vor dem Landgericht noch einmal aufgerollt werden soll: Ein heute 36 Jahre alter Mann wirft dem Ex-Frater vor, ihn zu Schulzeiten mehrfach vergewaltigt zu haben. Der wiederum bestreitet das. Sogar hochrangige Ordensmänner der Maristen wurden in dieser Sache vom Amtsgericht als Zeugen geladen, reisten eigens aus Brüssel und Glasgow an, konnten aber zu den konkreten Tatvorwürfen wenig beitragen.
Mit Spannung erwartet wurde deshalb das Gutachten einer forensischen Psychologin, die die Aussage des psychisch kranken 36-Jährigen beurteilen sollte. Sie schloss nicht aus, dass es sich bei den Anschuldigungen des mutmaßlichen Opfers um Scheinerinnerungen handelte. Das Gericht sah die Vorwürfe ebenfalls nicht als erwiesen an und sprach den Ex-Frater deshalb in diesem Punkt frei. Dagegen hatte neben der Staatsanwaltschaft auch der Vertreter des heute 36-Jährigen sein Veto eingelegt.
Das Verhalten des Maristenordens sorgte bei Opfervertretern für Kritik
Immer wieder für Kritik gesorgt hatte im Lauf des Prozesses das Verhalten des Ordens. Zwar hatten die Maristen den einstigen Internatsleiter aus ihrem Orden ausgeschlossen, allerdings haben sie ihm auch eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Die Begründung: Man wolle die Allgemeinheit nicht belasten, die ansonsten für den Ex-Frater aufkommen müsse. Mit dem Rauswurf hinfällig wurde auch der Verhaltenskodex, der dem Mann im zweiten Missbrauchsurteil 2011 auferlegt worden war. Er hatte sich etwa bei seinen Mitbrüdern an- und abmelden müssen und durfte keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen pflegen.
Für Ärger bei Opfervertretern sorgte zudem, dass der Orden eine Liste mit Namen von 20 potenziellen Opfern während des Prozesses nicht herausgegeben hatte. Inzwischen liegt sie bei der Staatsanwaltschaft. Diese wertet sie aus und prüft, ob die Personen womöglich schon in früheren Verfahren gegen den Ex-Frater eine Rolle gespielt haben. Auf den Prozess vor dem Landgericht, der am 4. Oktober beginnt, hat das keinen Einfluss – diese Fälle würden, ebenso wie mögliche weitere neue Vorwürfe, in einem neuen Verfahren behandelt werden.