Wenn an diesem Montagnachmittag der Missbrauchsprozess gegen einen ehemaligen Leiter des Mindelheimer Maristeninternats weitergeht, wird der Saal im Memminger Amtsgericht vermutlich gut gefüllt sein. Es sind mehrere Zeugen geladen, darunter teils hochrangige Vertreter des Maristenordens, die ihre Sicht der Dinge schildern sollen. Mit vor Ort sein werden aber auch Andreas Ernstberger, Christian Fröhler und Michael Z. (Name der Redaktion bekannt) sowie andere ehemalige Internatsschüler, die sich vor einigen Tagen zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben und eine Anlaufstelle und Plattform für Betroffene bilden wollen.
Alle drei Männer haben Ende der Achtziger Jahre das Maristeninternat besucht, kamen damals selbst aus einem schwierigen Umfeld nach Mindelheim. Christian Fröhler hatte seine Geschichte bereits in unserer Zeitung und auf der Homepage der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs geteilt. Er schilderte dabei unter anderem eine Vertrauensprüfung durch den Frater, bei welcher dieser ihm die Hose so lang heruntergezogen habe, bis er „Stopp“ gesagt habe. Zudem habe der Frater bei einer Wochenendfahrt neben ihm im Bett gelegen und ihn unter dem Schlafanzug berührt. „Als seine Hand meinen Bauch erreichte, begann ich stark zu zittern. Daraufhin ließ er von mir ab“, erinnerte er sich. Michael Z. ist eigenen Angaben zufolge ebenfalls Betroffener, auch er habe unter anderem Vertrauensprüfungen erlebt, wie er sagt.
Der Frater bot einem Schüler Geld fürs Ausziehen an
Andreas Ernstberger erinnert sich an eine Situation, als der Frater ihn aufs Zimmer eingeladen habe und ihm eine Mark dafür geben wollte, wenn er sich ausziehe. Es sei ihm zugetragen worden, dass er dies für eine Mark mache, habe der Frater gesagt, erinnert sich Ernstberger, der sich damals weigerte. Als Schüler habe er sich gefragt, wer solche Dinge über ihn verbreite, heute glaubt er, dass der Frater sich dies nur ausgedacht habe. Der heute erwachsene Mann möchte nun anderen eine Stimme geben.
Die drei ehemaligen Internatsschüler und andere, die nicht namentlich genannt werden möchten, wollen diesen für sie richtigen Moment und die Aufmerksamkeit, die der Prozess hervorruft, nutzen. Sie kritisieren den Umgang der Kirche mit dem Thema und wollen Ansprechpartner sein für ehemalige Internatsschüler und andere Betroffene, die nicht wissen, an wen sie sich wenden können. „Von Betroffenen für Betroffene“, wie es Ernstberger nennt.
Der Kontakt zur Gruppe der Betroffenen ist persönlich oder per E-Mail möglich
Die Idee zu einer solchen Gruppe ist vor wenigen Tagen geboren worden und nimmt gerade erst Gestalt an. Die Männer wollen eine Möglichkeit zum Austausch bieten und sich und neue Mitglieder gegenseitig unterstützen. Sie wollen Betroffene ermutigen, sich bei ihnen zu melden – per Mail unter wirsindviele@gmx.net oder persönlich, etwa beim Termin am Amtsgericht Memmingen.
„Wir suchen Kontakte zu anderen Betroffenen für den Austausch und wollen eine Plattform bieten, um das Thema nachhaltig zu verfolgen“, sagt Ernstberger. Denn: „Sich alleine zu fühlen, ist das Schlimmste.“