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Missbrauchsprozess: Gab es im Mindelheimer Maristenkolleg einen elitären Club?

Missbrauchsprozess

Gab es im Mindelheimer Maristenkolleg einen elitären Club?

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    Mitglieder des Vereins „wirsindviele“ machten mit großen Ballons vor dem Gerichtsgebäude in Memmingen auf die Opfer aufmerksam.
    Mitglieder des Vereins „wirsindviele“ machten mit großen Ballons vor dem Gerichtsgebäude in Memmingen auf die Opfer aufmerksam. Foto: Wilhelm Unfried

    Im Missbrauchsprozess gegen einen ehemaligen Internatsleiter am Maristenkolleg Mindelheim tun sich der Jugendkammer am Landgericht Memmingen immer weitere Einblicke in das Geschehen hinter den Klostermauern auf. Handelte es sich bei dem vom Frater eingerichteten „Dachkloster“ um eine Einrichtung, um dem damaligen Internatsleiter gezielt Opfer zuzuführen, wie es der Vertreter der Nebenklage befürchtete, oder war es nur eine Einrichtung für besonders religiöse Jugendliche? Bei diesen tiefgreifenden Fragen trat der Grund für diesen Berufungsprozess fast schon in den Hintergrund.

    Der ehemalige Frater hat schon drei Strafen erhalten

    Zunächst zum Sachverhalt: Das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Memmingen hatte den Ex-Frater im Januar 2023 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Angeklagte hatte zugegeben, einen damals 17-Jährigen auf der Toilette bedrängt und einen 13-Jährigen mehrmals in sein Bett gelockt und sich an ihm gerieben zu haben. Die mehrfache Vergewaltigung eines 15-Jährigen bestritt der Angeklagte. Es war dies bereits die dritte Bewährungsstrafe, der Ex-Frater war schon 2008 und 2011 wegen Sexualdelikten an Jugendlichen verurteilt worden. Gegen das aktuelle Urteil hatten Staatsanwaltschaft und die Nebenklage Einspruch erhoben. In dem Verfahren soll es hauptsächlich um den dritten Tatkomplex gehen. Ein heute 37-jähriger Mann wirft dem Frater vor, ihn mehrfach vergewaltigt zu haben. Dieser bestreitet dies vehement.

    Das Opfer sagte im Prozess vor dem Amtsgericht nicht aus. Noch heute leide der Mann unter den Folgen und sei in psychologischer Behandlung, hieß es. Das Gericht war auf ein Gutachten angewiesen, welches nicht ausschloss, dass es sich bei den Anschuldigungen um „Scheinerinnerungen“ handele. Das Gericht sprach den Angeklagten deshalb in diesem Anklagepunkt frei. Dagegen hatten Staatsanwaltschaft wie auch der Betroffene Berufung eingelegt. Dieser könnte in der jetzigen Verhandlung aussagen.

    Mitglieder einer Opfervereinigung demonstrierten vor dem Gericht

    Als der heute 64-jährige Angeklagte zusammen mit seinen Anwälten das Landgericht betrat, wurde er von einer kleinen Demonstrantengruppe vom Verein „wirsindviele“ begrüßt, die große Luftballons dabeihatte. Der Verein sei von Überlebenden für Überlebende gegründet worden und kümmert sich um Opfer von sexueller Gewalt. Er will besonders Kinder und Jugendlichen helfen, die im Maristeninternat Mindelheim Schreckliches erlebt haben. „Wir wollen die Opfer nicht alleine lassen“, sagten die beiden Sprecher der Gruppe vor dem Gerichtsgebäude in Memmingen.

    Im ehemaligen Internet des Maristenkollegs in Mindelheim soll es zu den Übergriffen des Fraters gekommen sein.
    Im ehemaligen Internet des Maristenkollegs in Mindelheim soll es zu den Übergriffen des Fraters gekommen sein. Foto: Archiv Foto Hartmann

    Das Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter Florian Förschner muss nun erneut herausarbeiten, inwieweit die Aussagen des Zeugen glaubhaft sind. Dafür sind sieben Verhandlungstage vorgesehen und zahlreiche Zeugen werden aufgeboten. Zu einer Auseinandersetzung kam es gleich zwischen dem Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Dr. Detlef Kröger und den Anwälten des Angeklagten, Dr. Christian Sering und Detlev Stoffels. Kröger beantragte, dafür zu sorgen, dass sein Mandant den Angeklagten nicht zu Gesicht bekomme. Es bestehe die Gefahr, eines weiteren psychischen Zusammenbruches. Sollte die Kammer seinem Antrag nicht zustimmen, bestehe die Gefahr, dass sein Mandant gar nicht zum Prozess erscheine. Diesen Antrag wollten die Anwälte des Angeklagten so nicht unterstützen. Der Vorsitzende Richter erklärte, die Kammer werde rechtzeitig darüber entscheiden. Damit war der Nebenkläger nicht richtig zufrieden.

    Die Opfer konnten sich erst nach Jahren mit dem Geschehen auseinandersetzen

    Allen auftretenden Zeugen und Opfern war gemeinsam, dass sie sich erst Jahre nach ihrer Zeit am Internat mit den Taten innerlich auseinandergesetzt und bis heute unter den Folgen zu leiden haben. Sie beschrieben einen ständigen Druck vonseiten des Angeklagten, der anscheinend jeden Abend Internatsschüler in sein Büro bestellt habe, die dort manchmal nur halb bekleidet erschienen.

    Der Grund für das Herbeizitieren seien Ermahnungen gewesen. Allerdings beschrieb ein Opfer sehr eindringlich, wie der Angeklagte ihn an sich herangezogen und umarmt habe, dabei habe er dessen Penis gespürt. Einer der Zeugen gab auch unumwunden zu, im Bett des Angeklagten gelandet zu sein, zu einer Vergewaltigung sei es aber nicht gekommen.

    Der Internatsleiter habe bewusst junge Menschen um sich geschart, die nach Sicherheit und Zuneigung gesucht haben. Die meisten der Internatsschüler seien aus Scheidungsfamilien gekommen. Wer sich mit dem Internatsleiter arrangiert habe, sei auch zu Privilegien gekommen. Da sei zum Beispiel die Berufung in das sogenannte Dachkloster gewesen.

    In einer Ski-Hütte in Liechtenstein zelebrierte der Frater seltsame Nackt-Rituale

    Belohnt wurde man zum Beispiel mit Ausflügen in eine Ski-Hütte in Liechtenstein. Dort soll es zu seltsamen Ritualen gekommen sein, wie mehrere Zeugen berichteten. Die Jugendlichen mussten in einem Eistobel im Winter nackt baden und hätten sich nackt in den Schnee gelegt. Dort soll der Frater auch mit mehreren Jugendlichen nackt in einem Bett gelegen haben. Bei den Hüttenabenden sei der Maristenschnaps aus Literflaschen getrunken worden. Der Anwalt der Nebenkläger versuchte nun herauszufinden, wer die Mitglieder des Dachklosters ausgewählt hat. Hier gab es widersprüchliche Aussagen. Auch der Kläger gehörte einige Zeit zu der Gruppe, die sich im Dachkloster traf. Dabei fiel er durch einen plötzlichen Stimmungswandel auf – wie es dazu gekommen ist, sollen die nächsten Verhandlungstage klären.

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