Nun also doch: Der Mann, der dem damaligen Leiter des Mindelheimer Maristeninternats vorwirft, ihn im Laufe des Jahres 2003 mindestens zehnmal vergewaltigt und später bedroht zu haben, hat am zweiten Verhandlungstag des Missbrauchsprozesses vor dem Memminger Landgericht ausgesagt. In einem ersten Verfahren vor dem Amtsgericht hatte er sich nur zu einer Videoaussage durchringen können. Weil er seinem früheren mutmaßlichen Peiniger auch jetzt nicht gegenüberstehen wollte, kam die Jugendkammer einem entsprechenden Antrag des Opferanwalts nach, den früheren Maristenfrater während der Aussage des Mannes aus dem Gerichtssaal zu bringen. Der Angeklagte verfolgte die Aussage deshalb zusammen mit einem seiner Anwälte in einem anderen Raum per Videoübertragung.
Prozess gegen Ex-Frater am Maristenkolleg: Zu Anfang gab es viel Lob und „Eskimo-Küsse“
Vor dem Jugendschöffengericht berichtete der Zeuge Folgendes: Ende 2002 hätten sich seine Schulnoten verschlechtert, deshalb habe die Familie sich nach einem Internatsplatz umgesehen. Dazu kam noch, dass der Leiter des Maristeninternats an der alten Schule des Zeugen das Mindelheimer Institut beworben hatte. Das mutmaßliche Opfer kam im Februar 2003 nach Mindelheim. Schon bald sei es zu einem ungewöhnlichen Austausch von Zärtlichkeiten zwischen ihm und dem heutigen Ex-Frater gekommen. Dieser habe ihn dann sehr lange umarmt und man habe „Eskimo-Küsse“ ausgetauscht. Der Angeklagte sei von seinem Klavier- und Orgelspiel begeistert gewesen und habe ihn als „besonderen Jungen“ bezeichnet. Es wurde ihm angeboten, in das Dachkloster umzusiedeln. Dort hatte der Internatsleiter ausgewählte Jugendliche um sich gesammelt. Wie andere Zeugen berichteten, habe es immer wieder Gerüchte um die Vorgänge in diesem Dachkloster gegeben.
Dort sei üblich gewesen, dass der Ex-Frater am späten Abend Jugendliche zu sich ins Zimmer bestellte. Die Jugendlichen kamen dann meist in Boxershorts und T-Shirt zum Rapport. Befragte Erzieher in dem Dachkloster wollten bis auf eine Ausnahme nichts von den seltsamen Vorgängen gewusst haben.
Kurz nach dem Umzug in das Dachkloster soll dann auch das mutmaßliche Opfer er in das Zimmer des Heimleiters bestellt worden sein. Als er den Raum betreten hatte, habe der Frater ihm befohlen, sich niederzuknien. Dann habe er seinen Talar geöffnet und sei nackt vor ihm gestanden. Es sei dann zum Oralverkehr gekommen, bei dem der Frater ihn am Kopf gehalten habe. Nachdem der Frater befriedigt war, habe er von ihm abgelassen und ihn zurück ins Dachgeschoss geschickt. Nach den Ferien sei es noch schlimmer geworden und auch noch zu Analsex gekommen. Beim Verlassen des Büros habe der Heimleiter ihm jeweils klargemacht, dass er darüber mit niemandem sprechen dürfe, berichtete der Zeuge.
Der Angeklagte soll den Zeugen mit Drohungen zum Schweigen gezwungen haben
Er habe sich geekelt und geschämt. Seine schulischen Leistungen gingen zurück und dagegen habe er auf seine Weise rebelliert: Er hielt sich an keine Vorschriften mehr und sei nächtelang auf den Gängen umhergeirrt. Darauf habe es einen Verweis gegeben und Ende des Jahres habe das Internat den Eltern mitgeteilt, dass sie ihren Jungen aus dem Internat nehmen sollten. Das war Anfang 2004. Nach kurzem Aufenthalt in der Familie sei er in eine psychologische Spezialklinik gekommen. Dort habe ihn der Heimleiter besucht und deutlich gemacht, dass er zu schweigen habe. Er habe gedroht, er werde ihn überall auf der Welt finden, so der ehemalige Schüler.
Der behandelnde Psychiater erklärte bei seiner Aussage, dass er einen Missbrauch durch eine Autorität befürchtet habe, sei aber nicht tiefer gegangen, weil er seinen Patienten erst einmal stabilisieren wollte. Und noch ein Detail kam zutage: Der Besuch von dem Ex-Frater wurde dem Zeugen durch eine kirchliche Stelle aufgezwungen, da das Krankenhaus von der Kirche getragen wurde.
Der junge Mann hielt sich damals an das Schweigegebot, verdrängte die Angelegenheit, sprach nicht darüber und wurde immer kränker. Es begann eine jahrzehntelange Odyssee von Krankenhausaufenthalten und Therapien. Erst 2018 offenbarte er sich nach einem Schlüsselerlebnis seiner Mutter.
Im ersten Verfahren bestritt der Ex-Heimleiter die Vergewaltigungen, gab aber andere sexuelle Verfehlungen zu und bekam eine Bewährungsstrafe von 18 Monaten. Aufgrund der Krankengeschichte des Geschädigten war das Gericht nicht ganz von den Vorwürfen überzeugt, zumal eine Gutachterin aussagte, dass es sich bei den Anschuldigungen des Opfers um Scheinerinnerungen handeln könnte. Damals hatte der Geschädigte per Videokonferenz ausgesagt. Nebenkläger wie auch Staatsanwaltschaft legten Berufung ein. Vieles deutet darauf hin, dass die Verteidigung versuchen wird, die Glaubwürdigkeit des Zeugen aufgrund seiner Krankengeschichte infrage zu stellen.
Ende September wird der Prozess gegen den Ex-Frater fortgesetzt
Allerdings hatten gleich zu Beginn der Verhandlung weitere Zeugenaussagen den ehemaligen Heimleiter in ein ungünstiges Licht gerückt. So bestätigten zwei Zeugen, Analverkehr mit ihm gehabt zu haben. Außerdem hat ein anderer Zeuge eine Liste weiterer vermeintlicher Opfer zur Verfügung gestellt. Mindestens zwei von ihnen sollen ebenfalls vom Angeklagten vergewaltigt worden sein. Nebenkläger Dr. Detlef Kröger bestand darauf, diese ebenfalls noch als Zeugen zu laden. Der Prozess wird Ende September fortgesetzt.
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