Es ist ein Samstagabend Mitte November 2023, als ein Vater seine sechs Monate alte Tochter Louisa (Name von der Redaktion geändert) in ihr Bettchen legt – und es ist der folgende Sonntagmorgen, als das Mädchen darin tot aufgefunden wird. Was ist geschehen? Wer ist verantwortlich für die schweren Verletzungen, die letztlich zum Tod des Kindes geführt haben? Diese Fragen hat die erste Strafkammer des Memminger Landgerichts zu beantworten. Auf der Anklagebank: der Vater des Kindes, der seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Als ihn Richter Bernhard Lang fragt, was an jenem Abend passiert ist, schweigt der Angeklagte zunächst – und beginnt dann zu sprechen.
Der Mann atmet schwer ins Mikrofon, nicht alle Zusammenhänge sind zunächst verständlich und so rekonstruiert der Richter Schritt für Schritt mit präzisen Fragen, wie der Vater den Vorfall erlebt hat: Der 43-Jährige, der unter der Woche in Baden-Württemberg arbeitet und wohnt, sah seine Freundin und ihre beiden gemeinsamen Kinder, die in Mindelheim lebten, in der Regel nur an den Wochenenden. An jenem Samstagabend sei seine Partnerin mit der vierjährigen Tochter beim Einkaufen gewesen, er sei mit der sechs Monate alten Louisa allein gewesen, habe sie nach einem Spaziergang gewickelt und ihr Milch gegeben, schilderte der Angeklagte.
Der Vater sagt: Die Tochter sei ihm aus den Händen gefallen, dann habe er sie geschüttelt
Als er das Kind vom Sofa hochheben wollte, sei ihm ein Schmerz in den Rücken geschossen und er habe die Tochter, die er in den Händen gehalten hatte, fallen lassen. Louisa sei auf den Wohnzimmertisch geprallt, habe sich dann nicht mehr bewegt und auch nicht geweint. Er habe sie deshalb zweimal geschüttelt, so der Mann. „Dann fing sie an zu weinen und ich dachte, es wäre alles gut und legte sie in ihr Bettchen.“ Dort sei das Kind eingeschlafen. Seiner Freundin habe er nichts von dem Vorfall erzählt. Warum, das frage er sich bis heute, sagte der Mann. Auch warum er die Tochter überhaupt geschüttelt habe, diese Frage stelle er sich permanent. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich das machen.“
Der restliche Abend dieses Novembertags verlief der Aussage des Angeklagten zufolge unspektakulär. Man habe noch gemeinsam gegessen, einen Film geschaut, die größere Tochter ins Bett gebracht und sei dann auch ins Bett gegangen. Am nächsten Morgen dann der Schock: Als die größere Tochter die kleine Louisa wecken wollte, habe diese kalt und regungslos in ihrem Bettchen gelegen. Der Notarzt kam, das Baby wurde mitgenommen und später obduziert - rasch wurde klar, dass es sich bei dem Fall nicht um einen Plötzlichen Kindstod handelte.
Das Mädchen hatte schwerste Verletzungen erlitten
Laut einem Polizeibeamten war das Mädchen schwer verletzt: Sie hatte ein Schädelhirntrauma erlitten. Ihr Schädel war gebrochen, zudem ein Arm und das Schienbein. Verletzungen, die „von allein nicht passieren können“, wie der Polizist in der ersten Vernehmung zum Vater sagte, die gut eine Woche nach dem Tod des Kindes stattfand. Die Befragung war per Video aufgezeichnet worden und wurde nun im Gerichtssaal gezeigt. Darin war zu sehen, wie die Polizeibeamten rund zweieinhalb Stunden lang versuchen, mehr über die Todesursache des Kindes herauszufinden. Immer wieder eröffnen sie dem Mann Möglichkeiten, ein Geständnis abzulegen, appellieren an ihn, reinen Tisch zu machen. Doch alles, was sie von dem Vater zu hören bekamen, war immer wieder, dass er keine Ahnung habe, was passiert sei, und er es selbst wissen möchte. „Ich habe sie ganz normal ins Bett gebracht“, wiederholte er in seiner ersten Befragung mehrmals.
Nach der Vernehmung und einer Wohnungsdurchsuchung kam der Mann zunächst wieder auf freien Fuß. Wie die Tante der Kindsmutter vor Gericht aussagte, habe sich der 43-Jährige aber kurz darauf einer Verwandten anvertraut: Ihr gegenüber gab er offenbar zu, dass er Louisa auf den Tisch fallen habe lassen. Der Onkel der Mutter, der ebenfalls am ersten Prozesstag als Zeuge auftrat, sagte, er könne sich die schweren Verletzungen damit nicht erklären. Sein eigenes Kind sei früher sehr lebhaft gewesen und gleich mehrmals vom Wickeltisch auf die Fliesen gefallen – dabei sei nie eine solch schwere Verletzung passiert.
Neun weitere Prozesstage sind angesetzt, um den Tod des Mädchens aufzuklären. Neben verschiedenen Zeugen und Gutachtern wird dabei voraussichtlich auch die Mutter des Babys aussagen, die selbst als Nebenklägerin in dem Verfahren auftritt.
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