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Memmingen: Memminger Verein "Notausgang" begleitet Menschen in Lebenskrisen

Memmingen

Memminger Verein "Notausgang" begleitet Menschen in Lebenskrisen

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    Conrad Reinker vom Verein "Notausgang".
    Conrad Reinker vom Verein "Notausgang". Foto: Mz

    67 Ordner voller Aktennotizen stehen im Büro in der Waldhornstraße. Was dahinter steckt, ist alles andere als abstrakter Papierkram. Es sind menschliche Schicksale – Nachrichten wie diese: „Ich bin am Ende und spiele mit dem Gedanken, mein Leben zu beenden“ oder der Hilferuf einer Frau, die wegen der geringen Rente ihres Mannes mit der Tochter in einer Wohnung mit Schimmel lebte. Hunderter Fälle hat sich der Memminger Verein „Notausgang“ in 20 Jahren angenommen.

    20 Jahre "Notausgang": Memminger Verein ein Lebenstraum

    Am 17.Juli 2000 besiegelten acht Personen – unter ihnen der heutige Vorsitzende und Geschäftsführer Conrad Reinker – mit ihrer Unterschrift unter die Satzung die Gründung des Vereins. Ein Impulsgeber war damals Sven-Olaf Grohmann, den eigene Erfahrungen antrieben. „Er hatte eine Insolvenz hinter sich“, sagt Reinker. In dieser Situation habe Grohmann einen belastenden Weg „von einer Bürokratie zur anderen“ bewältigen müssen. Dies habe die Idee für ein Hilfsangebot aufkeimen lassen, das „alles unter einem Dach“ vereint. Als Grohmann nach fünf Jahren aus gesundheitlichen Gründen ausschied, erhielt Reinker die Anfrage, hauptamtlich beim „Notausgang“ tätig zu sein: für den ausgebildeten Pastor nach eigenen Worten „die Erfüllung eines Lebenstraums“.

    In unterschiedlichsten Facetten unterstützt der Verein Menschen in Not. So gewährt er etwa kleinere finanzielle Hilfen. In Ausnahmefällen können es laut Reinker auch Beträge bis 500 Euro sein. Doch der „Notausgang“ sei „keine Geldausgabestelle“: Wer nicht zurückzahlt, bekomme beim nächsten Mal keins mehr, sagt Reinker. Neben klaren Regeln helfe ein über die Jahre entwickelter, persönlicher Radar, diejenigen zu erkennen, die nur Vorteil aus dem Hilfsangebot ziehen wollen.

    Über Beratung langfristige Lösungen finden

    Stets geht es laut Reinker und Vorstandsmitglied Christiane Stein vorrangig darum, etwa durch Beratung langfristige Lösungen und Verbesserungen für Betroffene zu erreichen und sie auf dem Weg dorthin „von A bis Z an die Hand zu nehmen“. Dabei kann der „Notausgang“ Reinker zufolge auf ein „Netzwerk von Fachleuten vom Rechtsanwalt über Therapeuten bis zum Gerichtsvollzieher“ bauen. Antrieb gibt Stein, die seit elf Jahren dabei ist, beispielsweise der Gedanke an ein älteres Ehepaar, das finanzielle Probleme meisterte: „Sie kamen nicht über die Runden und hatten sogar einen Kredit aufgenommen.“ Gemeinsam mit ihnen sei sie alles durchgegangen – mit Erfolg: „Später haben sie mir mal gesagt, dass sie sogar jeden Monat 200 Euro sparen können.“ Stein ist auch Leiterin eines Projekts für die Bewohner der Obdachlosenunterkunft im Erlenweg.

    Seit vielen Jahren dient dort das Café Brücke als Begegnungsstätte: eines unter einer Vielzahl von Angeboten. So ist der Verein für Arbeitslose da, wenn es um Hilfe bei der Stellensuche geht oder darum, Probleme mit dem Job-Center auszuräumen. Auch Alleinerziehenden und benachteiligten Kindern greift er unter die Arme, organisiert zum Beispiel praktische Hilfen und Hausaufgabenbetreuung. Gerade Fälle, in denen Kinder unter der Trennung oder einem gewalttätigen Elternteil leiden, lassen Reinker oft nicht los. Schlimm sei nicht nur körperliche Aggression: Über Äußerungen wie „Ohne dich wäre alles besser“ oder „Deine Mutter hätte dich abtreiben sollen“ kämen Betroffene auch im Erwachsenenalter nicht hinweg.

    Start in ein neues Leben

    Eindrücklich in Erinnerung blieb Reinker, wie eine Frau mit ihren Kindern von ihrem Mann weggeholt wurde, der sie misshandelte. „Wir haben sie in einer Nacht- und Nebelaktion da rausgeholt, die Sachen ins Auto geladen und in einen Zug gesetzt, der sie zu einem weiter entfernt gelegenen Frauenhaus brachte.“ Das Glück war damals auf der Seite der Helfer: Nur Augenblicke, nachdem sie losgefahren waren, sei der von einem Nachbarn verständigte Ehemann nach Hause gekommen, erzählt Reinker: „Ich habe die Frau später besucht. Sie hat ein neues Leben angefangen.“

    Ob heute gesellschaftlich mehr im Argen liegt als früher? Das kann Reinker so nicht feststellen: „Wir hatten vor 20 Jahren schon krasse Fälle.“ Vielmehr stimmt ihn eines positiv: „Die Bevölkerung wird für die Probleme mehr und mehr sensibilisiert. Früher war das Ausland im Fokus – nicht das, was vor der Tür los ist.“ Heute sei es vielen Spendern ein Anliegen, dass Notleidenden vor Ort geholfen wird. (ver)

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