Startseite
Icon Pfeil nach unten
Mindelheim
Icon Pfeil nach unten

Landwirtschaft: Wo Bauern psychologische Beratung bekommen

Landwirtschaft

Sie helfen, wenn auf dem Bauernhof der Burn-out droht

    • |
    Hermann und Manuela Frei sind als Berater für Familien in der Landwirtschaft im Einsatz.
    Hermann und Manuela Frei sind als Berater für Familien in der Landwirtschaft im Einsatz. Foto: Melanie Lippl

    Ein Landwirt und seine Frau sitzen gerade beim Abendessen, als er ihr von seinen Überlegungen erzählt, einen Melkroboter anzuschaffen. Sie geht nicht darauf ein und entgegnet nur: "Wenn du das machst, dann ziehe ich aus!" Warum sie so harsch reagiert, erklärt sie nicht. Er fragt auch nicht nach, und schon schwelt ein Konflikt in einem Alltag, in dem sich Privatleben und Beruf so stark vermischen wie in kaum einer anderen Branche. Der Büroangestellte kann nach Feierabend die Tür hinter sich schließen, der Landwirt lebt meist, wo er arbeitet. Es gibt immer etwas zu tun, Familienangehörige sind gleichzeitig Arbeitskräfte und, wenn ein Tier krank wird, hält es sich nicht an Wochenenden und Feiertage

    Immer weniger Landwirte machen immer mehr: mehr Vieh, mehr Fläche, mehr Belastung. Dazu kommen weitere Probleme, die auf die Seele vieler Bauern drücken: Bürokratie, Generationenkonflikte, steigende Kosten und das Gefühl, für ihre Arbeit nicht genügend wertgeschätzt zu werden. Bei den Bauernprotesten brach es aus vielen heraus, so manchen stürzt die Situation in eine tiefe Krise. Studien zeigen immer wieder, dass Landwirte und Bäuerinnen im Vergleich zu anderen Berufen die geringste Lebensqualität empfinden und dass bei ihnen die Suizidraten erhöht sind.

    Ehepaar wächst in die Betreuung belasteter Landwirtinnen und Landwirte hinein

    Auch Manuela und Hermann Frei aus Salgen, die Familien aus der Landwirtschaft beraten, kennen Bauern, denen plötzlich alles zu viel wurde. Da ist zum Beispiel Christoph Rothhaupt, der jüngst in der ZDF-Reihe 37 Grad zu sehen war. Als er eines Tages Flocken im Milchfilter entdeckt – an sich keine schlimme Sache – bricht er endgültig zusammen, will sich das Leben nehmen. Er ruft eine Notfallhotline an. "Morgen kümmert sich jemand um dich", heißt es dort. Dieser Gedanke bewahrt ihn vor dem Suizid. "Morgen schaffe ich", denkt er sich. Das Morgen ist der erste Schritt auf einem langen Weg raus aus der Dunkelheit.

    Manuela und Hermann Frei sind dafür da, dass es gar nicht erst so weit kommen muss. Sie bewirtschaften einen Hof in Salgen im Unterallgäu, den sie gerade an ihren Sohn übergeben. Schon länger engagieren sich beide im sozialen Bereich, etwa in der Notfallseelsorge, und haben dann überlegt, sich ein zweites Standbein aufzubauen. "Wir sind da reingewachsen", sagt Manuela Frei.

    Hermann Frei hat schon immer Menschen in Krisen geholfen

    Der 57 Jahre alte Hermann Frei ist für die Bäuerliche Familienberatung der Diözese Augsburg im Einsatz, aber auch freiberuflich zusammen mit seiner Frau aktiv, als "Möglichkeitenfinder", wie er sich selbst gerne nennt. Damit selbstständig gemacht haben sich die beiden vor zwei Jahren. Aber eigentlich machen sie diese Arbeit schon viel länger: "Er ist schon immer zu den Leuten gegangen, wenn etwas passiert ist", sagt Manuela Frei über ihren Mann und erinnert sich an einen tragischen Todesfall auf einem Hof in der Nähe. Während andere die Straßenseite wechselten, um Angehörigen und schwierigen Themen aus dem Weg zu gehen, habe Hermann Frei das Gespräch gesucht. "Er hat immer schon anders gedacht", sagt die 53-Jährige und lächelt. Aus ihren Augen spricht Liebe und eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Mann.

    In der Beziehung der beiden ist längst nicht immer alles rosig gewesen. Als Manuela ihren Hermann kennenlernte, war klar: Ihn gibt es nur mit Hof – oder gar nicht. Sie selbst arbeitete bei einem Zahnarzt, das Leben und der Alltag in der Landwirtschaft waren ihr fremd. Sie konnte anfangs nicht verstehen, wieso er im Sommer plötzlich am Samstagnachmittag aufs Feld musste und im Winter ständig in den Wald. Und auch mit der Schwiegermutter gab es immer wieder unterschiedliche Ansichten. Manuela und Hermann Frei haben ihre Konflikte gelöst, sie aber nicht vergessen. Mit ihrer eigenen Erfahrung möchten sie nun anderen helfen.

    Hermann und Manuela Frei betreiben selbst einen Bauernhof in Salgen.
    Hermann und Manuela Frei betreiben selbst einen Bauernhof in Salgen. Foto: Melanie Lippl

    Die beiden ergänzen sich gut: Die 53-Jährige spricht sanft und ruhig, kann aber direkt sein und weiß genau, was sie möchte – manchmal sogar zu viel, wie ihr heute klar ist. "Bei meinem ersten Sohn habe ich gedacht, der muss so sein, wie ich das will", sagt sie. Diese Geduld, einen Schritt nach dem anderen zu gehen, das habe sie erst lernen müssen. Noch heute bringen sie Dinge schneller auf die Palme als ihren Ehemann. "Er hat Nerven wie Drahtseile", sagt sie bewundernd, während Hermann Frei grinst und einen Moment lang wie ein Lausbub wirkt, der gerade den neuesten Streich ausgeheckt hat. Doch in der nächsten Sekunde kann der 57-Jährige auch wieder ernst sein und von seiner Oma erzählen, mit der er als Kind viel Zeit verbracht hat. Sie hat ihn geprägt, hat ihm viel über das Leben und die Leute beigebracht. Es ist ein Wissen, das er und seine Frau später mit der nötigen Theorie unterfüttert haben.

    Auf dem Bauernhof ist er nicht Berater, sondern vor allem Kollege

    Doch wenn Hermann Frei auf einen Hof gerufen wird, dann ist er erst mal nicht nur der Berater von außen, sondern vor allem eins: ein Kollege, der sich auskennt damit, wie es auf Bauernhöfen zugeht. Er achtet bestehende Hierarchien: Wo sitzt der Altbauer, wo der Nachfolger? So mancher Landwirt, der beim Gespräch am Esstisch kein Wort herausbringt, öffnet sich, wenn Hermann Frei mit ihm in den Stall geht und sich Vieh und Maschinen zeigen lässt. Und plötzlich, wenn der 57-Jährige oder seine Frau die richtigen Fragen stellen, sprudelt es aus den Menschen heraus. Da erzählt zum Beispiel die Bäuerin, dass sie eben deshalb keinen Melkroboter will, weil ihr sonst der tägliche Austausch mit ihrem Mann im Melkstand fehlt. Es ist die einzige Zeit, die die beiden am Tag wirklich gemeinsam verbringen.

    "Das Kernthema ist fast immer die Kommunikation", sagt Hermann Frei. Es klingt verrückt, aber es passiert regelmäßig: Da ist ein Paar 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche zusammen, arbeitet gemeinsam, isst gemeinsam, schläft nebeneinander ein und wacht nebeneinander auf, funktioniert für den Hof – doch das Paarsein bleibt auf der Strecke. Sich immer wieder zu sagen, dass man sich lieb hat? Das muss doch nicht sein, das weiß der andere doch sowieso. "In jedem Bürojob macht man regelmäßige Meetings", sagt Hermann Frei. Warum nicht auch in der Landwirtschaft? Zeit füreinander einplanen, und sei es bei einem gemeinsamen Einkauf oder einem Spaziergang, das sei wichtig. "So kommt man ins Gespräch", sagt Hermann Frei. "Und wenn das funktioniert, kann man über alles reden." Sein Rat gilt nicht nur für Landwirte: "Einfach mal die Träume, die Ziele, auf den Tisch legen." Denn häufig wisse man gar nicht, was sich der eigene Partner wünsche. "Manches bleiben Träume, aber sie dürfen ausgesprochen werden. Und es ist nicht immer der 936er Fendt Vario."

    Manuela Frei ist es wichtig, in der Beratung auch das Positive hervorzuheben. "Landwirtschaft hat viele schöne Seiten", sagt sie. Doch manche Bauern würden das angesichts ihrer Belastung gar nicht mehr erkennen. Oft komme ein Generationenkonflikt hinzu: Die Jungen fühlen den Druck, das Erbe zu bewahren, aber wollen dennoch Dinge verändern; die Alten haben das Gefühl, dass das, was sie erreicht und wofür sie gekämpft haben, dadurch entwertet wird. Nicht jeder hat genügend Privatsphäre, gesichert etwa durch klare Regeln oder getrennte Eingänge zu den jeweiligen Wohnungen. Eigene Wünsche würden als Vorwürfe formuliert, ehrliches Lob gebe es viel zu selten – ein weiterer Schritt in der Abwärtsspirale.

    Auf Nachhaltigkeit wird auf den Feldern Wert gelegt, aber nicht im eigenen Leben. "Manche stehen kurz vorm Herzinfarkt und sagen immer noch: Ich schaff' das", sagt Hermann Frei. "Irgendwie wird das schon gehen", diesen Satz hat er häufig gehört. Es ist ein strukturelles Problem: Der Bauer könne zwar zum Arzt gehen, doch eine Krankschreibung hilft ihm nur wenig, denn die Arbeit muss ja trotzdem erledigt werden. "Die Hemmschwelle, sich rauszunehmen, ist massiv hoch", sagt Manuela Frei. Viele hätten das Gefühl, ihre Familie hängenzulassen, denn Betriebshelfer seien meist nur für wirkliche Notfälle zu bekommen. Hinzu kommt, dass man sich dazu eingestehen muss, dass es nicht mehr alleine geht – auch das ein schwieriges Thema in einer Branche, in der Arbeit einen hohen Stellenwert hat. "Manche schieben es so lang, bis es vielleicht zu spät ist."

    Landwirte sind gefährdeter für Angst, Depression und Burn-out

    Dass Landwirte viel später als andere Arbeitnehmer zum Arzt gehen, diesen Eindruck hat man auch bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Für Deutschland gibt es kaum Daten, aber Studien aus Frankreich zeigen, dass die Suizidrate in der Landwirtschaft deutlich erhöht sei, sagt Stefan Adelsberger. Eine Masterarbeit, für die rund 2800 Landwirte und Bäuerinnen aus

    Die Versicherungsgesellschaft SVLFG will vorbeugen: Es gibt eine zentrale Telefonnummer für Menschen aus grünen Berufen und eine Krisenhotline. Die meisten Anrufe drehen sich um zwischenmenschliche Konflikte, sagt Stefan Adelsberger. Es gibt Einzelberatungen, Onlinetrainings und Seminare, aber auch Gruppenangebote zu verschiedensten Themen wie Hofübergabe oder häusliche Pflege – eigentlich als Vorsorge gedacht. "Häufig wird aber sehr lange gewartet, bis das in Anspruch genommen wird."

    Hermann Frei fragt bewusst provokativ: "In der Landwirtschaft hat man für Tierwohl viele Gesetze, aber wen interessiert das Menschenwohl?" Er sieht Beratungsangebote wie seines als Investition in die Zukunft, um in der Landwirtschaft handlungsfähig und stabil zu bleiben. "Einfach mal reden", das ist auch in den Augen seiner Frau die beste Vorsorge gegen Krisen. Gerade dann, wenn man seinen Ballast bei einer Person abladen kann, die neutral ist, ein Thema nicht bewertet und es bei sich behält. "Wenn etwas ausgesprochen wurde, ist es leichter", so ihre Erfahrung.

    Die Treffpunkte für Bauern werden weniger

    Als Betriebsleiter eines Hofs ist man es gewohnt, eigenständig Entscheidungen zu treffen – auch über Leben und Tod der eigenen Tiere. Das kann belastend sein. Selbst die eigene Partnerin oder den Partner dabei einzubinden, ist für so manchen alles andere als leicht, dabei sind es gerade sie, die als Erstes merken, wenn etwas nicht stimmt. "Wir sind soziale Wesen", sagt Hermann Frei. Früher, da habe es mehr neutrale Treffpunkte gegeben, an denen Landwirte sich austauschen konnten: Der Stammtisch oder die Käskuch, in der man seine Milch ablieferte, fehlen heutzutage. Hier haben sich die Bauern täglich getroffen. Ging es einem von ihnen schlecht, fiel das den anderen auf. 

    Bei den Bauernprotesten Anfang des Jahres hätten die Landwirte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einmal zusammengestanden. Es habe ein "Wir" gegeben und er habe viele leuchtende Augen gesehen, sagt Hermann Frei. Er hofft, dass diese Gemeinschaft, die viele Bauern dort zum ersten Mal wieder gefühlt hätten, positiv nachwirkt. In Notsituationen, etwa wenn ein Betriebsleiter plötzlich stirbt, helfen die Bauern im Ort ganz selbstverständlich zusammen. Doch über psychische Belastungen im Alltag zu sprechen, fällt vielen immer noch schwer. "Untereinander redet man über jede Maschine, über die Kühe", sagt Hermann Frei. "Aber über solche Probleme redet man nicht."

    Hier gibt es Ansprechpartner:

    • Die Bäuerliche Familienberatung der Diözese erreicht man über die Telefonnummer 08222/411166 oder unter bfb@bistum-augsburg.de
    • Die Krisenhotline der SVLFG ist täglich rund um die Uhr unter 0561/785–10101 erreichbar. Mehr zu den weiteren Angeboten der SVLFG (Krisenhotline, Coaching, Gesundheitstraining) gibt es unter www.svlfg.de
    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden