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Kochen im Unterallgäu: Die Küche als ukrainischer Mikrokosmos

Gastfreundschaft wird in der Ukraine groß geschrieben. Von links nach rechts: Olga Kulinij, Oksana Kulinij und Yana Gudelj. Vorne sitzt eine Kosakenfigur.
Kochen im Unterallgäu

Erinnerung an verlorene Heimat: Die Küche als ukrainischer Mikrokosmos

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    Das grüne Trachtenkleid von Oksana Kulinij ist übersät mit hellgrünen Stickereien, die ein Muster aus Vierecken ergeben. Ihren Hals ziert eine Kette aus roten, dicken Perlen. Sie gehören zur traditionellen, ukrainischen Kleidung, die rote Farbe steht für Fruchtbarkeit. Schwester Yana Gudelj trägt die Perlen am Arm, Mutter Olga Kulinij ein rote Blume im geflochtenen Haar. Auf dem Küchentisch steht Schwarzbrot mit Speck, Knoblauch und saurer Gurke. Die drei Frauen reden drauflos, die Küche ist gefüllt von ukrainischer und deutscher Sprache, Gelächter und dem Geruch der Brühe, die für den Borschtsch bereits auf dem Herd köchelt.

    Während Oksana Kulinij am Herd steht und Zwiebeln, Karotten, Rote Beete und Paprika für den Borschtsch anbrät, erzählt Yana Gudelj von den ersten Wochen ihrer Schwester in Deutschland. Im März 2022, nur wenige Tage nach Beginn des Krieges, kam sie mit ihrem Sohn Stanislaw und Mutter Olga in Türkheim an, später konnte auch ihr Mann nachkommen. "Sie wollten nicht herkommen, aber mein Mann und ich konnten sie überzeugen", sagt Yana. Sie selbst lebt bereits seit vielen Jahren in

    Einen Konflikt zwischen Ukrainern und Russen gab es für die Familie nie 

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    Dass sie bereits in Deutschland gelebt hat und in Türkheim gut vernetzt ist, war ein Glücksfall für die Familie Kulinij. Schnell fanden sie eine eigene Wohnung, Oksana konnte wenige Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland beim Pflegedienst Benjamin Akel beginnen. Obwohl sie in der Ukraine als Buchhalterin gearbeitet hat, macht ihr der neue Beruf Spaß: "Die Leute freuen sich, wenn ich komme, und ich verbringe auch gerne Zeit mit ihnen", sagt sie. Außerdem sei es eine gute Möglichkeit, regelmäßig Deutsch zu sprechen. Allerdings mache es ihr der hiesige Dialekt manchmal erschwert, die Leute gut zu verstehen.

    Die Suppe Borschtsch wird traditionell mit saurer Sahne gegessen.
    Die Suppe Borschtsch wird traditionell mit saurer Sahne gegessen. Foto: Josephine von der Haar

    Dass es heute einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine gibt, ist für alle noch immer schwer zu begreifen. In der Ukraine sind sie zweisprachig aufgewachsen, ihr Vater sprach Russisch, die Mutter spricht Ukrainisch. Für die Familie gab es nie einen Konflikt zwischen Russen und Ukrainern. "Das war für uns nie ein Thema", sagt Yana Gudelj. Wie eng die beiden Länder historisch und kulturell miteinander verbunden sind, verdeutlicht auch das Essen, das Oksana Kulinij kocht. Borschtsch, eine Suppe mit Roter Beete, Weißkohl und Schweinefleisch, ist in allen osteuropäischen Ländern verbreitet. Und auch die mit Kartoffeln gefüllten Teigtaschen Wareniki kommen zwar aus der Ukraine, sind jedoch in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion beliebt.

    Kochen ist eine Erinnerung an die Ukraine

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    Das Kochen ist für Oksana Kulinij eine Erinnerung an ihre Kindheit. Sie kocht deshalb hauptsächlich ukrainische Gerichte. Ihre Küche in Türkheim ist ein Mikrokosmos, die Ukraine im Kleinen. Hier findet sich vieles von dem, was das Land ausmacht. Die Sprache, die Herzlichkeit und Offenheit der drei Frauen. Das Essen mit Borschtsch und Wareniki. Dazu Uswar, ein kalter Tee aus getrockneten Früchten. Gorilka, ukrainischer Wodka, zum Anstoßen: auf die Ukraine, auf die Freundschaft. Eingeschenkt wird aus einer Kosakenfigur aus Ton.

    Die Teigtaschen Wareniki können mit Kartoffeln, aber auch mit Sauerkraut, Pilzen oder sogar süßen Füllungen gefüllt werden.
    Die Teigtaschen Wareniki können mit Kartoffeln, aber auch mit Sauerkraut, Pilzen oder sogar süßen Füllungen gefüllt werden. Foto: Josephine von der Haar

    Und der Krieg. Seit zwei Jahren gehört auch er zur Ukraine. In Oksana Kulinijs Küche erinnert daran stets das Porträt ihres Sohnes, das auf der Eckbank steht und der dadurch symbolisch immer mit am Tisch sitzt. Er wäre in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden. Doch Ende vergangenen Jahres fiel er im Krieg. Wenige Tage, bevor er seiner Freundin einen Heiratsantrag machen wollte, den Ring hatte er schon mit seiner Mutter ausgesucht. 

    Ihr Leben sei eingeteilt in ein Davor und ein Danach, sagt Oksana Kulinij. Die Trauer über den Verlust, die Sehnsucht nach der Ukraine und dem alten Leben, sitzen eng neben der Hoffnung, die sich im Trinkspruch "Auf die Ukraine" ausdrückt, und der Offenheit und Gastfreundschaft der Frauen. 

    "In der Ukraine ist nie jemand alleine."

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    Aufgewachsen sind Oksana und ihre Schwester Yana auf dem Land, südlich von Kiew. Der Zusammenhalt unter den Menschen ist auf dem Land besonders groß, erzählt Yana. Es sei normal, Nachbarinnen und Nachbarn, Freundinnen und Freunde zum Essen einzuladen, später noch gemeinsam weiterzuziehen. "In der Ukraine ist nie jemand alleine", sagt Oksana.

    Borschtsch: Das Rezept zum Nachkochen

    Zutaten für die Bouillon:

    • Schweinerippen
    • 1 Zwiebel
    • 1 Karotte
    • 2-3 Lorbeerblätter
    • Pfefferkörner
    • Salz
    • geschnittene Kartoffeln
    • Weißkohl

    Weitere Zutaten:

    • Zwiebeln
    • Karotten
    • Rote Beete
    • Paprika
    • 2 EL Tomatenmark
    • 1 Glas Tomatensaft oder 1 Dose passierte Tomaten
    • ca. 2 EL Zitronensaft
    • 1 EL Honig (Geheimzutat nach Tscherkassy Art)

    Zum Servieren:

    • Saure Sahne
    • Kräuter, z.B. Petersilie
    • Speck
    • Knoblauch

    Die Zutaten für die Bouillon werden zunächst eine Stunde lang in heißer Brühe gekocht. Danach kommt dünn geschnittener Weißkohl hinzu.

    Währenddessen werden in der Pfanne Zwiebeln angedünstet. Karotten, Rote Beete und Paprika werden klein geschnitten oder geraspelt und ebenfalls in der Pfanne gedünstet. Wenn alles gedünstet ist, wird Tomatenmark und Tomatensaft hinzugegeben. Alles kommt in die Brühe. Mit Zitronensaft und Honig abschmecken.

    Serviert wird Borschtsch mit Saurer Sahne, Kräutern, Speck und Knoblauch.

    Die beiden Schwestern und ihre Mutter sind unter verschiedenen Voraussetzungen nach Deutschland gekommen. Das prägt ihren Blick auf das Land und auf ihre Heimat. Sie alle bekräftigen, wie willkommen sie sich von Beginn an in Deutschland gefühlt haben. Besonders schwer ist der Neuanfang jedoch für Mutter Olga, die Schwierigkeiten hat, die neue Sprache zu lernen. Und während Yana Gudelj sich in Türkheim ein Leben aufgebaut hat, hofft Oksana Kulinij, eines Tages in die Ukraine zurückkehren zu können: "Ich will nach Hause, aber im Moment es geht nicht."

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