Quereinsteiger gibt es seit einigen Jahren immer mehr an Schulen: Handwerker oder Arbeiter, die ihren alten Beruf verlassen, um etwa an einer Berufsschule den angehenden Nachwuchs unterrichten wollen. Die umgekehrte Richtung, weg von der Schule hinein in einen Handwerksbetrieb, gehen da schon deutlich weniger. Einer von ihnen ist Christian Diepold. Der 41-Jährige lebt zusammen mit seiner Frau Andrea seit vier Jahren in Kirchheim und hat den Schuldienst als Lehrer für Englisch und Religion im Sommer am Maristenkolleg gegen eine Lehrstelle in einer Zimmerei getauscht. Warum nur?
Das System brachte den Lehrer an seine Grenzen
„Ich komme mit dem System nicht mehr klar“, gibt Diepold unumwunden zu. Die Vorgaben aus dem Kultusministerium in München, die Anweisungen vom Schulwerk aus Augsburg, die Umstellung auf das G8, dann die Rückkehr zum G9, „das man aber nicht G9 nennen darf, weil es ja sonst das Eingeständnis eines Fehlers wäre“. Das alles setzte Christian Diepold immer mehr zu. „Es entwickelt sich vieles immer weiter weg von den Kindern. Das ist nicht mehr meine Vorstellung von Pädagogik“, sagt er und nennt als Beispiel die Ausgabe der Tablets für alle Schülerinnen und Schüler. „Das mag in Zeiten von Homeschooling sinnvoll gewesen sein. Aber was ist danach? Als Lehrer erlebt man doch jetzt schon, wie Kinder übernächtigt und mit quadratischen Augen in die Schule kommen.“ Früher sei am Morgen in einer fünften Klasse Halligalli gewesen. „Heute ist es ganz still, jeder schaut nur noch auf sein Tablet.“
"Wenn ich weitergemacht hätte, wäre ich krank geworden", sagt Diepold
Man dürfe ihn jedoch nicht falsch verstehen: „Ich bin kein Technikfeind, aber ich frage mich, warum eine Schule einen eigenen Instagramkanal braucht.“ Er habe nicht das Gefühl, dass diese Entwicklung den Kindern guttue. Auch ihm selbst ging es irgendwann nicht mehr gut: „Wenn ich weitergemacht hätte, wäre ich krank geworden.“ Deshalb habe er im 2020 entschieden, dass er doch noch einmal etwas gänzlich anderes wagen will, und kündigte im Dezember beim Schulwerk. Im Sommer des vergangenen Jahres sollte dann, nach elf Jahren, Schluss sein. Nicht nur am Maristenkolleg, wo er seit dem Ende seines Referendariats arbeitete, sondern komplett mit dem Lehrerdasein.
Was er statt des Lehrerberufs machen wollte, war schnell klar: Etwas Handwerkliches, etwas mit Holz („Holz lebt. Damit zu arbeiten und es zu bearbeiten macht Spaß.“) sollte es sein. Sein Onkel sei Zimmermann gewesen, außerdem seien die Renovierungsarbeiten am eigenen Häuschen in Kirchheim eine Art Erweckungserlebnis gewesen, sagt Diepold. „Ich habe den Holzboden im Dachgeschoss selbst gelegt, habe Zwischendecken eingezogen und auch das Gartenhäuschen selbst gebaut. Es hat sich gut angefühlt“, sagt er. Diese Arbeiten und das Wissen, keine zwei linke Hände zu haben, bestärkten ihn letztlich in seinem Entschluss.
Der ehemalige Lehrer verabschiedete sich vom "Wohlstandsbäuchlein"
Für sein neues Arbeitsleben konnte sich Christian Diepold ein halbes Jahr lang vorbereiten. Er machte Sport, um in Form zu kommen, denn „mit einem Wohlstandsbäuchlein auf dem Dach rumturnen ist nicht das beste“, lacht er. Er machte in den Ferienwochen verschiedene Praktika und ist schließlich bei der Rausch GmbH in Wattenweiler hängen geblieben, einer Zimmerei, die sich auf Denkmalschutz und Restaurationen spezialisiert hat. Dort ist Diepold nun seit einem halben Jahr Lehrling – und muss damit wieder die Schulbank drücken. Das war zu Beginn etwas skurril: „Die Mitschüler in der Berufsschule dachten erst, ich wäre ihr Lehrer.“ Selbst die meisten Lehrer seien jünger als er. Während er in der Schule wieder an Flächenberechnungen, Winkelfunktionen und den Satz des Pythagoras erinnert wird, kann er in der Freizeit endlich das Lesen, was ihm Spaß macht. „Es ist ein freieres Lesen“, sagt Diepold. Damit seine Englischkenntnisse nicht einrosten, ist die Lektüre meisten auf Englisch. Sein Favorit ist Ernest Hemingway, „ein Autor, der den Leser sehr viel zwischen den Zeilen lesen lässt“.
Es sind kleine Freiheiten wie diese, die Christian Diepold in seinem neuen Job glücklich machen. Es gibt zwar keine Ferien mehr, dafür aber freie Wochenenden. Er hat nicht mehr die große Verantwortung für seine Schüler, „dafür kann ich als Lehrling vor mich hinwerkeln – und darf dabei auch mal Fehler machen“. All diese Dinge machten aus ihm einen ausgeglicheneren und zufriedeneren Menschen, sagt Diepold.
Die Ausbildung ist auch ein finanzieller Einschnitt
Seiner Frau Andrea, mit der er seit der Schulzeit zusammen ist und die in Bad Wörishofen eine Praxis für Psychotherapie betreibt, sei er sehr dankbar, dass sie seinen Berufswechsel mitgetragen hat. Schließlich bedeutete dieser auch einen finanziellen Einschnitt, Lehrlingsgehalt ist etwas anderes als Lehrergehalt. „Dass ist eine echte Luxussituation für mich. Das kann nicht jeder einfach so machen“, sagt Diepold.
Ob er sich eine Rückkehr an die Schule vorstellen könnte? „Das ist im Moment nicht vorstellbar“, sagt Diepold. „Ich bin sehr gerne Lehrer gewesen und ich muss zugeben, dass mir die Schüler schon fehlen. Aber das Drumherum war nicht mehr meins.“