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Kammlach: Wie ein Kammlacher mit einem Kunstherz lebt und anderen helfen will

Kammlach

Wie ein Kammlacher mit einem Kunstherz lebt und anderen helfen will

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    Seit der Operation ist Thomas Krauß zum Hobby-Brotbäcker geworden. Die Umhängetasche ist sein ständiger Begleiter im Alltag: Die darin befindlichen Akkus und das Steuergerät sind mit dem Kunstherzen verbunden.
    Seit der Operation ist Thomas Krauß zum Hobby-Brotbäcker geworden. Die Umhängetasche ist sein ständiger Begleiter im Alltag: Die darin befindlichen Akkus und das Steuergerät sind mit dem Kunstherzen verbunden. Foto: Dominik Schätzle

    Mit einem freundlichen Lächeln sitzt Thomas Krauß auf der Terrasse vor seinem Haus in Kammlach. Er wirkt wie jemand, der mitten im Leben steht. Dass er vor etwa zwei Jahren fast gestorben wäre, würde man nicht ahnen. Der 44-jährige Kammlacher lebt seit einem lebensbedrohlichen kardiogenen Schock und Multiorganversagen seit 2019 mit einem Herzunterstützungssystem, häufig auch Kunstherz genannt. Er wartet auf eine Herztransplantation. Zum heutigen Tag der Organspende, der jedes Jahr am ersten Samstag im Juni begangen wird, erzählt Krauß, wie sein Leben in den vergangenen Jahren auf den Kopf gestellt wurde. Doch es geht ihm um mehr als seine eigene Geschichte.

    2013 nimmt alles seinen Anfang: Krauß ist Mitte 30, hat mit seiner Frau zwei Kinder und arbeitet bei Grob in Mindelheim in der Konstruktion. Er merkt, dass seine Leistungsfähigkeit abnimmt. Schritt für Schritt wird sie schlechter. Ein Kardiologe stellt schließlich eine mäßige Herzschwäche fest, ausgelöst durch eine verschleppte Infektion, die eine Herzmuskelentzündung zur Folge hatte. Mit Medikamenten soll eine Erholung des Herzens erreicht werden. Doch diese schlagen nicht an.

    2019 landet Krauß auf der Dringlichkeitsliste für eine Herztransplantation

    In der Folge verschlechtert sich die Auswurfleistung des Herzens weiter. 2018 ist die Pumpfunktion schließlich hochgradig eingeschränkt – Krauß kommt ins Münchner Klinikum in Großhadern und wird nach einigen Untersuchungen zur Herztransplantation gelistet. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends. Er bekommt ein beklemmendes Gefühl im Brustkorb, dazu Wassereinlagerungen und Erstickungsanfälle. Dieser Zustand hält sich über Monate. „Das war die schlimmste Zeit“, sagt Krauß rückblickend. „Ich weiß nicht, ob ich das noch mal durchstehen würde.“ Es wird so schlimm, dass Krauß im Sommer 2019 auf der Dringlichkeitsliste für Transplantationen landet. Doch es kommt zum kardiogenen Schock: Seine Nieren und die Leber versagen. Ohne Besserung hat er nur noch wenige Tage. Er wird auf der Intensivstation an Maschinen angeschlossen. Krauß erlebt diese Zeit im „Dämmerzustand“, wie er es beschreibt. Er hat keinerlei Erinnerung mehr daran. „Da war ich schon am Sterben“, sagt er nachdenklich.

    Tatsächlich kommt es fast so weit: Krauß bekommt Kammerflimmern – und wird nur vom bereits eingesetzten internen Defibrillator am Leben gehalten. Die Ärzte können nicht mehr auf ein Spenderherz warten und müssen Krauß ein Kunstherz transplantieren.

    Das Kunstherz pumpt Blut aus der linken Herzkammer ins Kreislaufsystem

    Die Operation dauert länger als sechs Stunden. Das Kunstherz wird an das Herz angeschlossen, pumpt Blut aus der kranken, linken Herzkammer in das Kreislaufsystem. Die Pumpe wird mit Akkus und einem Steuergerät betrieben. Ein Schlauch, der Krauß im Inneren durchquert und weiter unten durch die Bauchdecke den Körper verlässt, verbindet das Kunstherz mit den Akkus. Diese muss Krauß Tag und Nacht bei sich tragen, weshalb er rund um die Uhr eine Umhängetasche trägt.

    Ein halbes Jahr lang heißt es für ihn, sich ins Leben zurückzukämpfen. „Ich war so dermaßen tief erschöpft“, beschreibt er seinen Zustand. „Nach der OP muss man sehr diszipliniert sein.“ Am Anfang macht ihm der Kreislauf zu schaffen. Außerdem dauert es eine Weile bis er seine Situation akzeptiert hat. Auch muss er sich daran gewöhnen, dass die Tasche mit den Geräten für das Kunstherz sein ständiger Begleiter ist. Dass er beispielsweise fürs Duschen eine Duschtasche braucht. Und die Stelle abkleben muss, an der der Schlauch seinen Bauch verlässt. „Am Anfang braucht man erst mal Sicherheit in den alltäglichen Abläufen. Vieles, was normalerweise wie selbstverständlich geht, musste ich wieder erlernen“, sagt Krauß. Von Monat zu Monat macht er Fortschritte. Er geht so oft wie möglich an seine Belastungsgrenze, macht viel Physiotherapie. Für die Helfer im Krankenhaus empfindet er tiefe Dankbarkeit. „Die Leute haben sich richtig reingekniet, haben mitgefiebert und sich über meine Fortschritte gefreut.“

    Ein halbes Jahr zurückkämpfen: "Ich war so dermaßen tief erschöpft"

    Zu seinem neuen Leben nach der Transplantation gehören nun auch neue Routinen. Er muss ständig für seine Ärzte erreichbar sein, jeden Tag seine Blutgerinnung messen, täglich Gerinnungsmittel und zehn verschiedene Medikamente nehmen. Außerdem muss sein Verband am Bauch alle zwei Tage gewechselt werden. Seine Frau, die gelernte Krankenschwester ist, hilft ihm beim Verbandwechsel – genau wie in vielen anderen Lebenssituationen.

    Seit der OP sind mehr als eineinhalb Jahre vergangen. Und Krauß geht es gut. „Ich habe einen ganz normalen, aus meiner Sicht hochwertigen Alltag. Mir geht es ziemlich gut und ich komme auch psychisch gut mit meiner Situation zurecht.“ Aus dem Homeoffice kann er in Teilzeit auch weiterhin bei Grob arbeiten. Das alles sollte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass er immer noch ein Spenderherz braucht. Das Kunstherz gilt als Übergangslösung und ist nur auf etwa fünf bis zehn Jahre ausgelegt.

    Ein Spenderherz in Deutschland zu bekommen ist schwierig

    Ein Spenderherz zu bekommen ist aber schwierig. Realität in Deutschland ist, dass es zu wenige Spenderherzen gibt. Gute Chancen auf eine Transplantation hat man erst, wenn man auf der HU-Liste (von englisch „High Urgency“, hohe Dringlichkeit) steht. Weil es so wenige Spenderherzen gibt, ergibt sich eine paradoxe Situation: Nur wem es sehr schlecht geht, steht auf der HU-Liste. Geht es Patienten gewissermaßen „zu gut“, so stehen die Chancen erst einmal schlechter. Da es Krauß beispielsweise verhältnismäßig gut geht, ist es momentan nicht absehbar, wann es zur Transplantation kommen könnte. Die Chancen verbessern sich erst dann, wenn die Situation eintritt, in die man überhaupt nicht gelangen möchte – wenn sich der Zustand deutlich verschlechtert. Mit seiner Geschichte möchte Thomas Krauß Menschen helfen. Aufklären über seine Krankheit, aber auch über das Thema Organspende. Er will einem schwierigen Thema ein Gesicht geben. Mit einer ehemaligen Ärztin, die ihn vor ihrem Ruhestand als Patient betreut hatte, möchte Krauß deshalb an Schulen gehen. „Es sollte nicht so abstrakt sein, wie es sonst im Unterricht ist“, findet Krauß. Es sei wichtig, mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, zu sagen: „Wo sind eure Fragen?“ Auch bei anderen Aufklärungsveranstaltungen und mit Erwachsenen möchte er über seine Krankheit sprechen. Etwa um in Selbsthilfegruppen anderen Unterstützung anzubieten.

    Bezüglich der gesetzlichen Organspende-Regelung hat Krauß eine klare Meinung: „Ich würde niemals versuchen, jemanden zu einer Organspende zu überreden. Das muss jeder selbst wissen. Ich finde es aber nicht zu viel verlangt, dass man die Menschen fragt, ob sie Organspender sein wollen und das dann digital festhält.“ Das könne beispielsweise beim Hausarztbesuch abgefragt werden. Auch Organspendeausweise hält Krauß für sinnvoll – ebenso wie eine Patientenverfügung. Weil der Patientenwille im Ernstfall im Zentrum steht, sei es auch ratsam, sich mit den Eltern oder dem Partner zu besprechen, was man für bestimmte Umstände selbst wollen würde. „Für meine Frau ist es eine große Hilfe gewesen, dass wir bereits im Vorfeld darüber gesprochen haben.“

    Krauß will über Organspende und seine Krankheit aufklären

    Bis Krauß endlich in Schulen gehen kann – durch Corona musste der Plan verschoben werden – widmet er sich seinen neuen und alten Hobbys. Seit seiner OP hat er etwa Spaß am Brotbacken gefunden. Inzwischen kann er auch das Holz für den Ofen wieder selbst hacken. Er freut sich außerdem auch schon aufs Frundsbergfest im nächsten Jahr. Als erster Schützenmeister der Königlich privilegierten Feuerschützengesellschaft Mindelheim „Frundsberg 1523“ ist er bereits fleißig am planen. Gerade näht er sich eine Ledertasche für seine Akkus. „Dann fallen sie weniger auf, wenn ich als Landsknecht gekleidet bin“, sagt er mit einem Schmunzeln.

    Eine Herztransplantation ist für Thomas Krauß noch nicht absehbar – doch sie wird irgendwann kommen. Krauß hat dazu noch gemischte Gefühle. „Ich bin noch gar nicht so scharf drauf“, sagt er verlegen und mit einem Lachen. „Die ersten Momente, wenn klar wird, dass es jetzt zur Transplantation geht, werden bestimmt eine wahnsinnig intensive Phase.“ Krauß ist optimistisch. Sein Transplantationsarzt habe ihm gesagt: „Es wird nicht noch mal so schlimm.“

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