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Irsingen: Familie Santjohanser in Irsingen: „Bei uns war immer Tag der offenen Tür“

Irsingen

Familie Santjohanser in Irsingen: „Bei uns war immer Tag der offenen Tür“

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    Das Ehepaar Herta und Johann Santjohanser beim Blättern in den schönen Erinnerungen des Lebens.
    Das Ehepaar Herta und Johann Santjohanser beim Blättern in den schönen Erinnerungen des Lebens. Foto: Sabine Schaa-Schilbach

    Das älteste Foto vom Hof des Ehepaars Santjohanser zeigt ihn von oben: das Luftbild wurde 1920, also vor gut 100 Jahren aufgenommen. Irsingen damals: ein Dorf mit einer überschaubaren Anzahl von großen Höfen entlang der Hauptstraße. Das heutige Anwesen gehörte damals der Familie Stadler. Im Jahr 1934 kam es durch Einheirat an Josef Santjohanser. Dieser Josef Santjohanser war der Vater von Johann Santjohanser, dem jetzigen Austragsbauern. Geboren 1935, war Johann der Älteste von sechs Geschwistern: Johann, Luise, Justina, Clemens, Rosina und Josef. Die Mutter Rosina Santjohanser war eine geborene Stadler. 1949 und viel zu früh verstarb der Vater. Der erst 14-jährige Johann als ältester Sohn war auf einen Schlag für die Familie und den Hof verantwortlich. Eine Riesenherausforderung: zusammen mit der Mutter für die jüngeren Geschwister und für die Bewirtschaftung zu sorgen.

    Das Irsinger Anwesen taucht erstmals 1776 in den Archiven auf

    Das Irsinger Anwesen Haus Nr. 9 mit dem alten Hausnamen „Beim Melcher“, heute Dorfstraße 37, taucht in den Archiven 1776 zum ersten Mal auf. Die Besitzer damals waren Jakob und Johann Vögele. Ein zweiter Eintrag nennt 1823 Lorenz Stadler als Besitzer, dann 1867 einen Johann Stadler. Nach dessen Tod 1924 wurde das Anwesen noch zehn Jahre lang von der Ehefrau Justina Stadler weitergeführt, ehe es in den Besitz von Johann Santjohansers Vater Josef überging. 

    Auch das Dorf Irsingen durchlief mehrere Male so etwas wie einen „Besitzerwechsel“. Um etwa 500 n. Chr. vom Volksstamm der Alemannen besiedelt, wird der Ort 1083 erstmals schriftlich erwähnt. Das Kloster Steingaden hatte lange Zeit den größten Besitz im Ort. Später zum Steuerdistrikt Weicht gehörend und 1818 als politische Gemeinde eingestuft, wurde Irsingen 1978 schließlich in den Markt Türkheim eingegliedert und hat heute gut 700 Einwohner. Und eine lebendige Tradition, mit vielen Vereinen und einem außergewöhnlichen dörflichen Gemeinschaftssinn.

    Der 14-jährige Johann Santjohanser hatte 1949 gerade die Schule beendet und, wie er sagt, nie daran gedacht, Bauer zu werden. Er musste in seine Aufgaben hineinwachsen. Es gab noch Knechte und Mägde am Hof, es gab die Oma, es gab Hilfe aus der Familie. Im Stall standen zu der Zeit „etwa 18 Kühe und fünf Rinder“, wie er sich erinnert. Für die Feldarbeit gab es zwei Rösser. Schon nach fünf Jahren wurden die zwei PS dann verabschiedet und der erste Schlepper angeschafft. Auf die Frage, wie er aus heutiger Sicht auf diese ersten Jahre zurückblickt, sagt Johann Santjohanser nur: „Es war eine schwierige Zeit.“

    In der Irsinger Dorfgemeinschaft integriert

    Der jüngere Bruder habe mitgeholfen, sobald es ging. Abends ausgehen? „Unter 18 Jahren durften wir noch nicht in die Wirtschaft!“ Aber es habe eine Jugendgruppe gegeben, man habe Theater gespielt, sei beim Radl-Fest mitgefahren. Der Irsinger Radlerverein durfte bei den Festumzügen in den 1960er-Jahren nicht fehlen, auch die Mädels machten mit.

    Seine Herzensdame hat Johann Santjohanser aber nicht beim Radeln kennengelernt, sondern 1955 bei einem Schiffsausflug auf dem Königssee. Herta Santjohanser stammte aus dem Sudetenland und kam als Flüchtling nach Irsingen. „Als Vertriebene im Dorf, das war damals nicht leicht“, erinnert sie sich. Aber sie habe sich trotzdem gut eingefunden in der neuen Heimat. Geheiratet haben sie 1962. So war für beide 2022 auch ein ganz besonderes Jahr: sie konnten im Kreis der großen Familie ihre Diamantene Hochzeit feiern, bei „einigermaßen“ guter Gesundheit. 

    So sieht der Hof Santjohanser heute aus
    So sieht der Hof Santjohanser heute aus Foto: Sabine Schaa-Schilbach
    Familienbild mit Hof im Jahr 1942: (links) der Vater, (Mitte) die Mutter, zusammen mit den zwei Schwestern, dem ganz kleinen Bruder, der Oma, einer Tante und (ganz links) Johann im Alter von sieben Jahren.
    Familienbild mit Hof im Jahr 1942: (links) der Vater, (Mitte) die Mutter, zusammen mit den zwei Schwestern, dem ganz kleinen Bruder, der Oma, einer Tante und (ganz links) Johann im Alter von sieben Jahren. Foto: Sabine Schaa-Schilbach
    1954 werden die zwei treuen Helfer verabschiedet. Johann Santjohanser ist der zweite von rechts.
    1954 werden die zwei treuen Helfer verabschiedet. Johann Santjohanser ist der zweite von rechts. Foto: Sabine Schaa-Schilbach

    Als Bäuerin und Mutter habe seine Frau alles im Griff gehabt, sagt ihr Mann: „Immer an vorderster Stelle!“ Mit der Haus- und Stallarbeit sei sie voll ausgelastet gewesen, sagt sie selbst. Auch für die Dorfgemeinschaft habe sie sich immer engagiert. 

    Vier Buben hat das Ehepaar: Josef, Erwin, Thomas und Markus. Zwei wohnen mit ihren Familien im Dorf. Es gibt sieben Enkelkinder und vier Urenkel in der großen Familie. Für diesen Familienzusammenhalt über mehrere Generationen hinweg seien sie sehr sehr dankbar, sagen die Eheleute. Sie bekämen immer Hilfe, wenn sie das bräuchten.

    Vor allem die Enkel würden regelmäßig vorbeischauen. Vieles falle ihr inzwischen schwer im Haushalt, erzählt Herta Santjohanser. Und schwer falle es ihr auch, genau das zu akzeptieren und Hilfe anzunehmen. 

    Zusätzlich zur Arbeit im Stall und auf dem Feld kamen in den mehr als 50 Jahren einige Um- und Anbauten an das alte, nach hinten langgestreckte Bauernhaus. Im ersten Stock im vorderen Wohnhaus an der Straßenseite befanden sich damals noch die Zimmer für Knechte und Mägde. 1960 wurde eine kleine Wohnung für die Oma eingerichtet. Dann war der neue Stall an der Reihe. Anstelle des alten Stalls bauten später der Sohn und die Schwiegertochter ein neues Wohnhaus.

    Aktiv in der Landwirtschaft tätig war Johann Santjohanser bis ins Jahr 2000. Sohn Erwin Santjohanser habe den Betrieb noch zehn Jahre weitergeführt. „Dann war Ende. Alle Tiere wurden verkauft.“ Wenn die Sprache auf seinen Hof und die damit verbundenen wirtschaftlichen Zwänge kommt, wird Johann Santjohanser deutlich: „Immer war da der Druck von außen! Die Entwicklung ist uns davongelaufen.“

    Damit meint Johann Santjohanser auch die Investitionen für den neuen Stall, den er damals hinter dem alten Stall für 40 Kühe gebaut hat. In der Landwirtschaftsschule würde einem beigebracht, was man tun müsse. Und „wenn man ein bisschen was werden will, braucht es immer mehr und noch mehr Investitionen.“ Er beneide keinen, der heutzutage in der Landwirtschaft arbeite. Zu der vielen Arbeit käme noch die viele Bürokratie hinzu. Und ihn stört auch „nur noch Mais und Mais und…“

    Jahre der Veränderungen. Mit der Schließung der Milchsammelstelle in Irsingen war ein dörflicher Treffpunkt verloren gegangen. Johann Santjohanser hat das in einem Gedicht in schwäbischer Mundart beschrieben, das so beginnt:

    „Heit wead d´Milch zum letztschda Maul a´gnomma a Stuck Doaf isch mea da Bach na gschwomma mach mr halt dean Fortschritt a no mit ob mir’s mögat oder it.“

    Die Lust am Aufschreiben hat Johann Santjohanser auch im Alter nicht verlassen. Seiner Frau gewidmet hat er das so ausgedrückt: „Sie ist ein geselliger Mensch. Bei uns am Hof war immer Tag der offenen Tür. Ich glaube, die Besucher haben sich in den alten Mauern immer wohlgefühlt.“ 

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