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Interview: Jüdischer Autor erlebt Antisemitismus: „Du hast so ’ne Nase“

Interview

Jüdischer Autor erlebt Antisemitismus: „Du hast so ’ne Nase“

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    Thomas Meyer liest am Freitag aus seinen Romanen.
    Thomas Meyer liest am Freitag aus seinen Romanen. Foto: Lukas Lienhard

    Herr Meyer, bei Ihrer Lesung in Mindelheim wird es um Antisemitismus gehen. Woran machen Sie denn

    Meyer: Das ist natürlich etwas, das ich erlebe, wenn Menschen erfahren, dass ich jüdisch bin. Da kommen dann diese Bemerkungen über „die Juden“, auch die Klischees. Der Klassiker ist: „Ach, du bist Jude, das hab ich doch schon gedacht, du hast so ne Nase“. So etwas kam schon viele, viele, viele Male vor. Das ist aber nur eins dieser Klischees, mit denen man konfrontiert wird. Wenn man das versucht zu berichtigen, macht man die Erfahrung, dass einem das nicht erlaubt wird. Den Klischees wird mehr geglaubt als den jüdischen Menschen, die eigentlich besser Bescheid wissen.

    Würden Sie sagen, dass der Antisemitismus im Alltag mehr oder weniger wird?

    Meyer: Das kann ich schlecht beurteilen. Aber ich glaube, das ist konstant. Ich unterscheide stark zwischen dem Antisemitismus, von dem man in der Zeitung liest. Den tatsächlich gewalttätigen Übergriffen. Und einem Alltagsantisemitismus, der nicht handgreiflich ist. Wenn jemand sagt „du jüdische Nase“, da kommt ja nicht die Polizei und sperrt den Tatort ab. Das ist eine, ich sage mal, vergleichsweise harmlose Angelegenheit, die aber eben sehr häufig auftritt. Das, was zum Beispiel in Halle geschehen ist, passiert ja zum Glück sehr selten. In der Schweiz glaube ich sogar noch seltener als in Deutschland oder Frankreich. Das verleitet hier aber viele Leute dazu, zu glauben, wir hätten das Problem nicht. Man glaubt, Antisemitismus seien rechtsextreme oder islamistische Straftaten gegen jüdische Menschen oder Einrichtungen. Wenn dann aber jemand sagt, „du hast eine Judennase“, das ist mir Hunderte Male begegnet. Das hat damit zu tun, mit wem man spricht und wie dieser Mensch so drauf ist.

    Wie sollten sich Außenstehende denn verhalten, wenn sie solche körperlichen oder laute verbale Übergriffe mitbekommen?

    Meyer: Wenn wirklich ein Übergriff stattfindet, ich sag jetzt mal, ein offensichtlich jüdischer Mensch wird bespuckt, geschlagen oder geschubst. Dann denke ich natürlich, da ist Zivilcourage gefordert. Aber die ist bei allen Arten von Übergriffen gefordert. Dass jemand aufsteht und sagt: „Stopp! Sofort aufhören damit!“ Aber das ist nicht das eigentliche Problem, da diese Art von Übergriffen eher eine Ausnahme darstellt. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Ja, ich auch nicht. Das sind Ausnahmen. Wie gesagt: Die Regel ist, dass man glaubt, zu wissen, wie Juden seien. Die hätten alle bestimmte Eigenschaften. Und wenn dann tatsächlich ein Jude dasteht, glaubt man, den zu kennen. „Denn das ist ja einer von denen.“ Und wenn dieser Jude dann berichtigt und sagt: „Nein, schau mal, das mit der Judennase ist Nazipropaganda und ich habe eigentlich sogar eine eher kleine Nase“, dann kommt der große Widerstand. Und das ist für mich der weitaus schlimmere Teil, weil er so normal ist.

    In Ihrem Buch „Wolkenbruch“ geht es um einen Juden aus einer streng orthodoxen Familie, der sich in eine Nichtjüdin verliebt. Sind Sie selbst der Protagonist Motti

    Meyer: Ich muss schon sagen, es gibt Parallelen zwischen uns beiden. Anfangs dachte ich: „Ne, das bin überhaupt nicht ich. Er ist ja ein Orthodoxer. Aber ich hatte schon auch eine Mutter, die lange überzeugt war, alles besser zu wissen und zu allem eine Meinung haben zu müssen. Es gab schon auch starke elterliche Erwartungen an mich, denen ich mich widersetzen musste.

    Werden solche Dinge in vielen jüdischen Familien noch so streng gehandhabt?

    Meyer: Ich glaube, das ist in vielen fundamental religiösen Familien so. Die Frage: „Was gehört sich und was nicht.“ Das wird ja auch im konservativ-christlichen Umfeld noch stark diskutiert. Oder wenn eine türkische Frau einen nicht-türkischen Mann mit nach Hause gebracht hat. Die Intoleranz ist ja keine jüdische Erfindung. Aber ja, in vielen orthodox-jüdischen Familien ist die Haltung wohl eher streng.

    Info Thomas Meyer liest am Freitag, 17. Juni um 19.30 Uhr aus seinen beiden „Wolkenbruch-Romanen“ im Silvestersaal vor. Einlass bei freier Platzwahl ist ab 19 Uhr. Karten sind beim MZ-Kartenservice unter der Telefonnummer 08261/991375 und an der Abendkasse erhältlich.

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