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Unterallgäu: 150 Fälle im Jahr im Unterallgäu: Wenn Gewalt in der Beziehung normal ist

Unterallgäu

150 Fälle im Jahr im Unterallgäu: Wenn Gewalt in der Beziehung normal ist

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    Fast jeden zweiten Tag verzeichnet die Polizei im Unterallgäu eine Gewalttat in oder nach einer Beziehung.
    Fast jeden zweiten Tag verzeichnet die Polizei im Unterallgäu eine Gewalttat in oder nach einer Beziehung. Foto: Maurizio Gambarini, dpa/lbn

    Die Ergebnisse einer Umfrage der Organisation "Plan International" sorgten jüngst für Gesprächsstoff: Ein Drittel der befragten jungen Männer zwischen 18 und 35 Jahren findet Gewalt in einer Beziehung demnach "akzeptabel" und habe kein Problem damit, wenn einem im Streit mit der eigenen Freundin "mal die Hand ausrutscht". Inzwischen wird zwar Kritik an der Methodik der Befragung laut, dennoch geht es darin um ein wichtiges Thema: Gewalt in der Partnerschaft. Sie ist häufig nach außen hin unsichtbar, aber es gibt sie überall – auch in unserer Region. Polizeioberkommissarin Isabel Schreck erklärt, wer die Täter und die Opfer sind, und was man tun kann, um sich selbst oder anderen zu helfen.

    Wie viele Fälle häuslicher Gewalt gab es in den vergangenen Jahren im Unterallgäu?

    Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West kann dazu keine genauen Zahlen vorlegen, da diese nicht in der Kriminalstatistik erhoben werden. "Wir lagen jährlich über einen Vergleichszeitraum von fünf Jahren bei 150 Fällen im Unterallgäu", erläutert Isabel Schreck. 2018 waren die Fallzahlen am geringsten. 2020 sei es im ganzen Präsidiumsbereich zu einem Anstieg um zwölf Prozent gekommen. Ob Corona der Grund war? So einfach ist es offenbar nicht: Eine Auswertung der Polizei habe keine eindeutigen Erklärungsansätze für diesen Anstieg ergeben, so Schreck. Während der Lockdowns habe es zwar deutlich mehr Gelegenheiten zu solchen Taten gegeben, weil die Familie zu Hause war, die Schulen und oft auch die Arbeitsstätten geschlossen waren. Die Sozialkontrolle war in dieser Zeit jedoch ebenfalls größer, weil die Nachbarn ebenfalls daheim waren. Bereits 2021 sanken die Zahlen wieder.

    Wer waren die Opfer?

    Bei den Opfern handelt es sich laut der Definition von "häuslicher Gewalt" um (Ex-)Partner der Täter oder Täterinnen. Der Anteil der männlichen Opfer in der Statistik beträgt der Polizeisprecherin Schreck zufolge seit Jahren rund 20 Prozent, wobei hier auch gegenseitige Anzeigen erfasst worden sind. Dass Männer seltener Anzeige erstatten, liegt wohl daran, dass die Scham größer und die Angst vor schwerwiegenderen Verletzungen niedriger ist, glaubt Schreck.

    Wie alt waren die Täter?

    "Häusliche Gewalt kommt in jeder Altersklasse vor, am häufigsten in den 30er-Jahren", erläutert die Polizeioberkommissarin.

    Was kann ich tun, wenn ich selbst Opfer bin?

    Die Polizeisprecherin rät:

    • Offenbaren Sie sich einer nahestehenden Person wie der Freundin, Familienangehörigen oder einer anderweitigen Vertrauensperson, zum Beispiel dem Hausarzt. Diese können eine wichtige Unterstützung sein und helfen, mögliche Lösungen gemeinsam anzugehen und den Mut zu finden, vorhandene Hilfen anzunehmen.
    • Vorhandene Verletzungen sollten zeitnah dokumentiert werden: mit eigenen Fotos, einem Besuch beim Hausarzt oder in den Gewaltschutzambulanzen in Ulm oder München, in denen Spuren gesichert und vertraulich dokumentiert werden, sodass sie später auch gerichtsverwertbar sind.
    • Um weitere körperliche Übergriffe zu unterbinden, rät die Polizei, zeitnah eine Strafanzeige zu erstatten. So könne die Polizei Schutzmaßnahmen wie ein Kontaktverbot oder Verhaltenstipps veranlassen.
    • Opfer häuslicher Gewalt können zudem ganz unabhängig von einer Strafanzeige bei der Polizei einen Gewaltschutzbeschluss, also ein gerichtliches Kontaktverbot, beim jeweiligen Amtsgericht beantragen, also in Memmingen.

    Welche Ansprechpartner in der Region gibt es für Opfer häuslicher Gewalt?

    Weißer Ring Memmingen/Unterallgäu, Telefon 09078/89494, E-Mail: memmingen-unterallgaeu@mail.weisser-ring.de

    • Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, Telefon 0831/9909-1312 und -1315
    • Beratungsstelle Frauenhaus Memmingen, Telefon 08331/4644, E-Mail: info@frauenhaus-memmingen.de
    • Weißer Ring Memmingen/Unterallgäu, Telefon 09078/89494, E-Mail: memmingen-unterallgaeu@mail.weisser-ring.de
    • Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (bundesweit), Telefon 08000/116016 (kostenfrei, anonym, in 18 Fremdsprachen)
    • Hilfetelefon „Gewalt an Männern“ (bundesweit), Telefon 0800/1239900 (auch Online-Beratung möglich)
    • Für Männer: Via – Wege aus der Gewalt, Beratungsstelle bei häuslicher Gewalt, Telefon 0821/45033920, E-Mail: via@awo-augsburg.de, online: maennerberatung.awo-augsburg.de

    Wo können sich Menschen hinwenden, die keine Täter oder Täterinnen sein oder werden möchten?

    • Fachstelle Täter*innenarbeit bei häuslicher Gewalt (gesamtes Allgäu), Telefon 0176/16610377, E-Mail an andrea.springborn@caritas-kempten.de
    • AntigewaltKompetenzZentrum AKZ, Kontaktformular: akz-allgaeu.de

    Was kann ich tun, wenn ich häusliche Gewalt mitbekomme, zum Beispiel bei den Nachbarn?

    "Sollte man Zeuge häuslicher Gewalt werden, ist es wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, um zu helfen", sagt Polizeisprecherin Isabel Schreck. Allerdings sollte dabei die eigene Sicherheit und die Sicherheit der betroffenen Person an erster Stelle stehen.

    Wer hautnah einen Übergriff mitbekommt, sollte den Notruf unter der Telefonnummer 110 verständigen. Wer bei einem zufälligen Aufeinandertreffen Verletzungen wie ein blaues Auge entdeckt, sollte die betroffene Person auf die Verletzung ansprechen und ihr Hilfe anbieten: Das kann ein Gespräch sein, aber auch, dass man sie zum Arzt und/oder zur Polizei begleitet oder ihr Anlaufadressen mitteilt. Erklärt die Person, dass sie nicht geschlagen wurde, sollte man künftig auf weitere Anzeichen achten und sie erneut ansprechen, rät die

    Unabhängig davon, ob die betroffene Person einen gewalttätigen Übergriff einräumt, könne man sich jederzeit an die Polizei wenden und seine Beobachtungen mitteilen, so Polizeioberkommissarin Schreck. Sollte man verunsichert sein, könne man sich auch jederzeit an die oben genannten Ansprechpartner wenden. (home, mz)

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