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Zweites EM-Spiel für DFB-Elf: Darum warnt Kalle Riedle vor Ungarn
![Fußball-Weltmeister, Champions-League-Sieger, aber nie Europameister. Im Interview mit unserer Redaktion in seinem Heimatort Weiler-Simmerberg blickt Karl-Heinz Riedle auch auf die „bittere“ Finalniederlage bei der EM 1992 in Schweden gegen Dänemark zurück. Fußball-Weltmeister, Champions-League-Sieger, aber nie Europameister. Im Interview mit unserer Redaktion in seinem Heimatort Weiler-Simmerberg blickt Karl-Heinz Riedle auch auf die „bittere“ Finalniederlage bei der EM 1992 in Schweden gegen Dänemark zurück.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674144167-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Fußball-Weltmeister Karl-Heinz Riedle aus Oberstaufen im Allgäu analysiert die ersten Spiele der Europameisterschaft, lobt das DFB-Team – und warnt es zugleich.
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Karl-Heinz Riedle, Sie waren im Mannschaftshotel der Ungarn in Weiler und haben mit Torhüter Péter Gulásci von RB Leipzig und Márton Dárdai von Hertha BSC Berlin sprechen können. Wie war denn die Stimmung nach der enttäuschenden 1:3-Niederlage gegen die Schweiz?
Karl-Heinz Riedle: Natürlich waren sie ein bisschen bedrückt. Aber sie wissen natürlich auch, mit einer Niederlage ist im Turnier noch nicht alles verloren. Es wird schwer für sie, weil Deutschland aus einer guten Position raus jetzt ein richtig unangenehmer Gegner ist. Aber, das hab’ ich schon auch durchgehört: Die Ungarn wissen ganz genau, dass sie deutlich besser spielen können, als das, was sie gegen die Schweizer gezeigt haben.
Ist der Druck nicht schon verdammt groß für die Ungarn?
Riedle: Jein, sie sollten nicht hoch verlieren gegen Deutschland. Und dann müssen sie im letzten Gruppenspiel gegen Schottland klar gewinnen. Dann haben sie schon noch die Chance aufs Weiterkommen. Noch ist alles offen.
Tipps, wie sie es gegen Deutschland besser machen müssen, haben Sie den Ungarn aber hoffentlich nicht gegeben ...
Riedle: Nein, ich muss denen keine Tipps geben. Die haben Experten genug. Und sie wissen, wie man gegen Deutschland gewinnen kann. Der Sieg in der Nations League war sehr beachtlich. Sie werden sich starkreden und sagen: Wir wissen, dass Deutschland schlagbar ist.
Alle sind sich einig: Im Spiel gegen die Ungarn erwartet die deutsche Mannschaft mehr Gegenwehr. Glauben Sie das auch?
Riedle: Ja, das wird ein anderes Spiel als gegen Schottland. Natürlich hat die DFB-Elf Selbstvertrauen getankt, aber man muss schon auch realistisch sagen, dass die Schotten nicht wirklich ein Maßstab waren. Ungarn hat das bessere Team und auch die besseren Einzelspieler. Es wäre fatal, wenn unsere Spieler glauben würden, diesen Gegner hätten sie im Sack. Ich bin überzeugt: Das wird kein Spaziergang gegen Ungarn.
![Fußball-EM: Jubel beim Public Viewing in Bad Wörishofen und Türkheim Der erste Auftritt der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft lässt die Fans bei den Public Viewings in Bad Wörishofen und Türkheim jubeln.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674144167-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Warum?
Riedle: Die Ungarn haben – aus welchem Grund auch immer – die erste Halbzeit gegen die Schweiz komplett verschlafen. In so einem Turnier ist das brutal. Du verlierst das erste Spiel und kommst brutal unter Druck. Aber ich bin überzeugt, sie werden gegen den Gastgeber der EM ganz anders rangehen. Und sie haben mehrfach gezeigt, dass sie die Qualität haben.
Ist der Rucksack für den jungen Spielmacher Dominik Szoboszlai nicht doch zu schwer?
Riedle: Er ist schon der Leistungsträger in der Mannschaft und nimmt diese Rolle auch an. Szoboszlai hat auch beim FC Liverpool eine überragende Saison gespielt. Natürlich sollte nicht die ganze Last auf seinen Schultern ruhen. Dafür hat er genügend gute Spieler aus den Top-Ligen Europas um sich rum. Aber ja: Sie müssen eine bessere Team-Leistung zeigen als gegen die Schweiz. Und vor allem in der Abwehr sicherer stehen. Das war zum Teil schon sehr wacklig.
Das sagt "Kalle" Riedle zur Leistung der deutschen Nationalmannschaft
War es auch für Sie überraschend, dass Deutschland zum Auftakt so souverän aufgetreten ist?
Riedle: Ja, die deutsche Mannschaft hat das gut gemacht. Sie hat ruhig gespielt, hatte alles unter Kontrolle. Die Schotten kamen ja in der ersten Halbzeit gar nie an den Ball. Und dann fielen die Tore natürlich immer zum richtigen Zeitpunkt. Von Wirtz und Musiala waren das echt zwei super Einzelaktionen. Die Rote Karte und der Elfmeter haben den Schotten dann das Genick gebrochen. Was kannst du da noch retten, bei einem 0:3 zur Halbzeit? Ich denke, da war dann nur noch Schadensbegrenzung angesagt. Spielerisch war es schon enttäuschend, was die Schotten präsentiert haben. Da hätte ich mir deutlich mehr erwartet.
Schreiben Sie die Schotten, die mit so vielen Fans nach Deutschland gereist sind, also schon frühzeitig ab? Heimreise nach der Vorrunde?
Riedle: Dieses 1:5 steckst du nicht so leicht weg. Und jetzt kommen die starken Schweizer. Da geht es dann im dritten und letzten Spiel um alles oder nichts. Es wird extrem schwer für die Schotten.
Hat Sie die Art und Weise, wie Deutschland die Schotten dominiert hat, eigentlich überrascht?
Riedle: Eigentlich nicht. Sie spielen das, was sie können. Ich bin der Meinung, wir haben noch nie so gute Einzelspieler in der Nationalmannschaft gehabt wie jetzt gerade. Wenn man sich den Wirtz oder Musiala anschaut, das ist so was von außergewöhnlich. Beide sind Virtuosen am Ball. Die Bewegungen, die sie drauf haben, sind Wahnsinn. Und dann hast du einen Gündogan, der seit Jahren absolute Weltklasse spielt, bei Man City und bei Barcelona. Auch der Harvertz vorn drin ist technisch ein überragender Spieler.
Außergewöhnlich, dass bei der Aufzählung der Name Toni Kroos noch nicht gefallen ist ...
Riedle: Natürlich war das ein richtig guter Schachzug, ihn zurückzuholen in die Nationalmannschaft. Er gibt im Mittelfeld eine unglaubliche Sicherheit und Stabilität. Und Andrich, der so ungefähr alles wegbeißt. Auch die Abwehr steht. Insgesamt hat das Team wenig Schwächen. Aber man muss abwarten, wie es sich gegen eine richtig starke Mannschaft schlägt. Wenn’s eng wird, wenn der Gegner Druck und Tempo macht, wenn richtig Härte ins Spiel kommt. Was die Holländer, Spanier und Italiener da in ihren ersten Spielen gezeigt haben, war schon imposant.
Wie sehen Sie die Entwicklung des Nationalteams unter Julian Nagelsmann überhaupt?
Riedle: Schon beachtlich. Aber man darf nicht vergessen. Diese Mannschaft ist noch jung. Die muss sich erst mal finden, braucht noch etliche Spiele – und natürlich ein großes Turnier, in dem sie sich durchbeißen und ihre Grenzen ausloten muss. Ein Tennisspieler, der ohne Satzverlust locker durch ein Turnier geht, hat’s im Finale oft schwerer, als derjenige, der auf viele Widerstände getroffen ist und diese überwunden hat.
Sommermärchen 2024? Karl-Heinz Riedle: "Na ja..."
Alle reden vom Sommermärchen 2.0 ...
Riedle: Na ja, das war jetzt mal ein guter Anfang. Klar ist so ein 5:1 schon zuträglich für eine Euphorie. Aber jetzt müssen sie schon nachlegen, damit so ein richtiger Drive entsteht. Und Stimmung entsteht auch durch guten Fußball. Das Spiel der Holländer gegen Polen, das war schon auf richtig hohem Niveau. Solche Spiele machen Spaß. Ein paar mehr von dieser Kategorie – und die Euphorie steigt ganz automatisch.
Apropos Fußball-Begeisterung: Die ist in Ihrem Heimatort Weiler-Simmerberg gerade ziemlich groß, weil die Ungarn hier ihr EM-Quartier bezogen haben ...
Riedle: Ja, das freut mich natürlich ungemein. Es ist eine Riesengeschichte für Weiler, die Region und das ganze Allgäu, so eine tolle und sympathische Mannschaft wie Ungarn hier beherbergen zu dürfen. Auch Péter Gulásci hat mir bestätigt, dass sich das gesamte Team super wohlfühlt. Am Hotel und den Trainingsplätzen liegt es jedenfalls nicht, dass sie nicht gut ins Turnier gestartet sind.
Was haben Sie in Ihrer Karriere bevorzugt. Trainingslager in der Abgeschiedenheit – oder Ablenkung in der Großstadt?
Riedle: Auf jeden Fall die Abgeschiedenheit. 1990 beim WM-Titel waren wir ja auch ganz weit draußen, ganz abgeschottet. Du willst dich ja eigentlich komplett auf den Fußball konzentrieren. In den Städten ist viel zu viel Trubel, du wirst ständig angesprochen. Da ist so ein familiäres Umfeld wie hier einfach besser. Das haben mir auch die Ungarn bestätigt.
Was bringt den Ungarn der Allgäuer Wohlfühlfaktor am Mittwoch? Darf ich Ihnen einen Tipp abringen?
Riedle: Mein Gefühl sagt mir: Deutschland wird gewinnen. Weil sie einfach in einem Fluss sind. Sie werden die Ungarn nach der Niederlage in der Nations League nicht unterschätzen und unter Julian Nagelsmann sicher den Fehler kein zweites Mal machen, so ein Spiel falsch anzugehen. Ja, klare Ansage: Deutschland gewinnt.
Und wenn es um die EM-Favoriten geht: Gibt’s da schon erste Erkenntnisse?
Riedle: Holland und Spanien waren stark. Für mich ist aber Frankreich der Top-Top-Favorit, wenn man sich die Einzelspieler anschaut. Und Portugal darf man nicht vergessen.
Sie selbst haben viele Titel gewonnen, aber nicht den EM-Pokal. Wie sind Ihre Erinnerungen an das Turnier 1992 in Schweden?
Riedle: Das war brutal frustrierend, dass wir damals den Titel nicht geholt haben. Das Finale gegen Dänemark war so ein Spiel, das man eigentlich nicht verlieren darf. Für mich war es bitter, weil ich diesen Titel schon unglaublich gerne gehabt hätte. Und ich denke heute noch: Der wäre locker möglich gewesen. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung bleiben nur die Triumphe hängen. Über Finalniederlagen redet nach ein paar Jahren keiner mehr.
Das sollten Sie über Karl-Heinz Riedle wissen
Karl-Heinz Riedle , Spitzname „Kalle“, ist 58 Jahre alt, wurde im Westallgäu geboren und lernte das Fußballspielen in Kindheit und Jugend beim TSV Ellhofen. Bevor er Profi wurde, erlernte er den Beruf des Metzgers. Über den FC Augsburg, Blau-Weiß 90 Berlin und Werder Bremen arbeitete er sich hoch zum Topstürmer der Bundesliga. 1990 wurde er Weltmeister im Team von Franz Beckenbauer, ging danach zu Lazio Rom und feierte mit Borussia Dortmund große Erfolge, etwa als zweifacher Finaltorschütze den Champions-League-Triumph 1997 in München gegen Juventus Turin. Riedle hat drei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau Gabriele in Oberstaufen.
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