Manchmal sagt die Zugabe mehr über einen Konzertabend als tausend Worte. Beim Festival der Nationen in Bad Wörishofen war es kurz vor der Pause, als sich Starpianist Igor Levit noch einmal an den Flügel setzte. Gerade eben hatte ihn das Publikum frenetisch gefeiert: es gab stürmischen, rhythmischen Applaus als Lohn für wunderbare Musik.
Für Igor Levit war es der vierte große Auftritt im Allgäu binnen zwei Tagen. Nachdem er am Vortag das Kinderkonzert bestritten hatte, in Fischen mit dem vbw-Orchester aufgetreten und wenige Stunden später für die erkrankte Geigerin Janine Jansen spontan beim Eröffnungskonzert, wieder in der Kneippstadt, eingesprungen war, stand am Samstagabend Beethovens fünftes Klavierkonzert auf dem Programm. Mit dem ersten Intermezzo von Johannes Brahms, Opus 117, Nummer 1, als Zugabe beendete Levit seinen Konzertmarathon. Nach all den Strapazen, nach – man muss es sich mal vorstellen – abertausenden Tönen, mächtigen, schnellen und ruhigen Klängen und Melodien, wählte Levit also dieses kleine Klavierstück: meditativ, besinnlich, ohne ein dynamisches Aufbäumen, im leicht wiegenden Sechs-Achtel-Takt.
Bei Brahms wurde deutlich, weshalb das Festivalpublikum Igor Levit mittlerweile fest ins Herz geschlossen hat. Levit, einer der besten Pianisten unserer Zeit, verfügt über eine grandiose Bühnenpräsenz. Die nicht ganz idealen akustischen und raumtechnischen Umstände im Kursaal macht sich Levit zur Tugend. Der Flügel steht ganz vorne an der Vorbühne, direkt vor dem Publikum und dennoch mitten im vbw-Orchester. Levit gibt sich als Künstler zum Anfassen, der mit seiner Musik berührt. Jedem Einzelnen im Publikum vermittelt er, jetzt, in diesem Moment mache ich Musik für dich.
Igor Levit als Inspiration für Bayerns beste Nachwuchsklassiker in Bad Wörishofen
Was bei Brahms im Kleinen gelang, zelebrierte der Pianist bei Beethoven im Großen. Was für ein Vorbild, was für eine Inspiration für das Jugendorchester, das vbw-Festivalorchester, unter dem routinierten Dirigat von Professor Christoph Adt! Der Künstlerische Leiter bereitet jedes Jahr in relativ kurzer Zeit zusammen mit einem Team hochkarätiger Orchestermusiker die jungen Musizierenden auf ihren Auftritt beim „Festival der Nationen“ vor. Im Kursaal trafen die bestens präparierten jungen Leute dann auf den großen Meister am Klavier.
Bei Beethovens Klavierkonzert gelangen ihnen wunderbare Momente. Levit spielte perlend-leicht oder kräftig-zupackend, sein Anschlag ist differenziert und kontrastreich, oft herrlich schwebend und zart. Im Zusammenspiel mit dem vbw-Orchester ist Levit höchst flexibel, er beharrt nicht, sondern zeigt sich rücksichtsvoll im Umgang mit dem Jugendorchester, das ja hervorragend spielt, aber selbstverständlich nicht über die Routine eines Profiberufsorchesters verfügt. Dennoch ist es immer wieder staunenswert, zu welchen Leistungen junge Menschen im Alter von 14 bis 20 Jahren fähig sind. Exemplarisch seien wenige Hörerinnerungen genannt: ein unglaublich präziser und tonschöner Horneinsatz, oft intonationsstarke Streicherklänge, wuchtige Blechbläserakkorde.
Christoph Adt hat sein Orchester darauf abgestimmt, dass der Solist nie überdeckt wird. Das ist ein wohldosiertes Orchestermusizieren in einem schönen, gepflegten und kultivierten Klang. Den zweiten Konzertteil bestritt das vbw-Orchester ohne Igor Levit. Bei Schumanns „Rheinischer“, der dritten Sinfonie des Romantikers, zeigte das vbw-Orchester große Spielfreude im Forte und bei ausladenden Melodien. Dass am vorgerückten Abend manches Zusammenspiel etwas fahrig wirkte, kann dem jungen Spitzenorchester verziehen werden. Den Gesamteindruck konnte es nicht trüben. Das vbw-Festivalorchester beschenkte einmal mehr das Publikum mit seiner großen Lust, mit dem so besonderen jugendlich-leichten, auch unverkrampften Zugang zur Musik und mit einer begeisternden und berührenden Musizierfreude. Hut ab!