Üblicherweise ist es kein gutes Zeichen, wenn ein Solist mit dem Applaus sofort hinter der Bühne verschwindet. Aber bei Pianist Daniil Trifonov ist das kein Maßstab. Der russische Solist steht einfach nicht gerne im Rampenlicht. Mit seiner zurückhaltenden Art schloss ihn das Publikum am Sonntagskonzert des Festivals der Nationen in seine Herzen. Verstecken brauchte sich Trifonov nicht – ganz im Gegenteil: Eine spezielle Charakterstärke wurde nach dem Schlussakkord laut umjubelt.
Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang. Der zweifache Echo-Klassik-Preisträger gehört zur weltweiten Spitzenklasse am Klavier. In der Fachpresse wird der 29-Jährige unter anderem als der vielleicht talentierteste Pianist des 21. Jahrhunderts gefeiert. In Bad Wörishofen zeigte er, dass an den Lobeshymnen etwas dran ist.
Es gibt viele virtuose Klavierspieler. Welche, die scheinbar all das spielen können, wo andere schon längst ihre Finger verknotet oder gebrochen hätten. Daniil Trifonov ist einer dieser Tastenakrobaten. Die beethovenschen Chromatik-Läufe über alle Harmonien hinweg sind für ihn ein Kinderspiel. Womit der junge Russe allerdings besonders punktet, ist nichts Technisches, sondern seine unglaubliche Musikalität.
Ein Gespür dafür, was nicht in den Noten steht
Musik lebt von Phrasierungen, von dem, was nicht in den Noten steht. Trifonov hat das Gespür dafür, schüttelt die Passagen locker aus dem Handgelenk. Sein Anschlag hat eine Perfektion, die ihresgleichen sucht. Der langsame Satz des in Wörishofen aufgeführten dritten Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven ist ihm wie auf den Leib geschrieben: malerische Lyrik, träumerische Poesie. Konzertkritikern wird oft vorgeworfen, beim Schreiben in anderen Sphären zu schweben. Im Falle Trifonovs zählt dieser Vorwurf nicht, man kann einfach nicht anders. Als Zuhörer verweilte man am Sonntag in einer anderen Welt, konnte die widrigen Festival-Umstände, die Corona heuer mitbringt, ausblenden.
Aber Vorsicht, Beethoven ist nicht Schumann, er ist und bleibt ein Klassiker. Es gibt nicht wenige Pianisten, die es übertreiben und ihn zu romantisiert spielen. Besonders russische Künstler zählen augenscheinlich gehäuft zu jener Kategorie. Trifonov hatte stets das Temperament im Griff und schaffte den Spagat zwischen Form und Freiheit.
Es wurde zu sehr auf die Pauke gehaut
Das Orchester an seiner Seite, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Ruth Reinhardt, unterstützte ihn dabei. Bereits im ersten Teil des Konzerts, zeigte das Ensemble mit Haydns 84. Sinfonie, auch die „Pariser Sinfonie“ genannt, was es auszeichnet: kammermusikalische Kompaktheit und Größe durch dynamische Finesse. Durch die Bank war es eine herausragende Leistung, vom smarten Konzertmeister über die grazil agierenden Oboisten zu den feierlich wie lupenrein spielenden Hornisten.
Lediglich die Pauke, bedingt durch den gebotenen Abstand auf der Bühne, war bei Beethoven ein kleiner Störfaktor: Das Schlaginstrument musste rechts direkt hinter den Streichern platziert werden. Die gewählten harten Schlägel erzeugten eine ungewohnte Präsenz. Das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.
Das Konzert mit Daniil Trifonov war der Festival-Auftakt zur Beethoven-Reihe mit all seinen Klavierkonzerten. Am Donnerstag, 1. Oktober, spielt Rudolf Buchbinder mit den Wiener Symphonikern das Konzert Nr. 2 und Nr. 4. Am Tag darauf folgen das erste und fünfte Klavierkonzert.
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